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Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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tigen Fünfecks für unentbehrliche Widerlagen des aufstrebenden Palastes zu nehmen geneigt ist. Dort, in der Bogenhalle, welche gegen die Ebene sich öffnet, liebte die Prinzessin langsam hin und wieder zu gehen; gern übersah sie von dieser luftigen Höhe das verödete weite Land, wendete den Blick bisweilen abwärts gegen die ernste Bergreihe, welche zur Linken die Fläche begrenzt. Ein wehmüthig schöner Anblick; er stand im Einklang mit ihrer Gemüthsstimmung.

Schwach und krank hatte sie ihren kaiserlichen Vater verlassen, anschaulich von der Wahrheit des Gerüchtes sich überzeugt, daß seine Lebenskraft allmählich versiege, sein Wille gebrochen sei. Mit Innigkeit liebte sie in dem Vater ihren Wohlthäter, den Schöpfer ihrer Größe, deren Werth sie empfand. Doch schwerer, als jene allgemeineren Gefühle kindlichen Antheils, bedrängte sie die Voraussicht der Uebel und Verwicklungen, welche die gegenwärtige Schwäche und der unvermeidlich nahe Tod des Kaisers herbeizuführen drohten. Ihr männlicher Geist war zeitig gereift. Sie genoß das Vertrauen des Vaters, welcher sie tief in das Geheimniß seiner kühnen und edeln Entwürfe hatte eindringen lassen. Ihre Bestimmung ahnend, suchte er sie auf die Lenkung der großen Weltgeschäfte vorzubereiten, indem er ihr in freien Augenblicken anvertraute, was er bestrebt, erreicht oder verfehlt hatte. Aus einem höheren Standpunkte erblickte sie daher die Staatenverhältnisse ihrer Zeit, faßte sie weit allgemeiner auf als Diejenigen,

tigen Fünfecks für unentbehrliche Widerlagen des aufstrebenden Palastes zu nehmen geneigt ist. Dort, in der Bogenhalle, welche gegen die Ebene sich öffnet, liebte die Prinzessin langsam hin und wieder zu gehen; gern übersah sie von dieser luftigen Höhe das verödete weite Land, wendete den Blick bisweilen abwärts gegen die ernste Bergreihe, welche zur Linken die Fläche begrenzt. Ein wehmüthig schöner Anblick; er stand im Einklang mit ihrer Gemüthsstimmung.

Schwach und krank hatte sie ihren kaiserlichen Vater verlassen, anschaulich von der Wahrheit des Gerüchtes sich überzeugt, daß seine Lebenskraft allmählich versiege, sein Wille gebrochen sei. Mit Innigkeit liebte sie in dem Vater ihren Wohlthäter, den Schöpfer ihrer Größe, deren Werth sie empfand. Doch schwerer, als jene allgemeineren Gefühle kindlichen Antheils, bedrängte sie die Voraussicht der Uebel und Verwicklungen, welche die gegenwärtige Schwäche und der unvermeidlich nahe Tod des Kaisers herbeizuführen drohten. Ihr männlicher Geist war zeitig gereift. Sie genoß das Vertrauen des Vaters, welcher sie tief in das Geheimniß seiner kühnen und edeln Entwürfe hatte eindringen lassen. Ihre Bestimmung ahnend, suchte er sie auf die Lenkung der großen Weltgeschäfte vorzubereiten, indem er ihr in freien Augenblicken anvertraute, was er bestrebt, erreicht oder verfehlt hatte. Aus einem höheren Standpunkte erblickte sie daher die Staatenverhältnisse ihrer Zeit, faßte sie weit allgemeiner auf als Diejenigen,

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Thomas Weitin: Herausgeber
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:26:17Z)

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/12>, abgerufen am 20.04.2024.