Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

welche in Kriegs- und Friedensgeschäften ergraut wären. Denn wer in irgend einer Sache lange Zeit bloß mit Untergeordnetem sich beschäftigt, durch Anstrengung und Ausdauer darin Meisterschaft zu erlangen strebt und erlangt, verliert nothwendig den Ueberblick des Ganzen, wenn er überhaupt ihn jemals sich erworben. So gewöhnlich sind die Erfahrungen dieser Art, und so häufig übertragen hinaufgerückte Staatsmänner die Kleinlichkeit der untergeordneten Geschäftszweige auf die Verwaltung der großen und allgemeinen Sachen, daß man darauf ein Sprichwort gebaut hat, welches Allen bekannt und geläufig ist. Gewiß berechnete Margaretha schon damals die unvermeidlichen Folgen der täglich zunehmenden Unabhängigkeit unter den höheren Staatsbeamten ihres Vaters. Bei Wahrnehmung dieser Uebel beunruhigte sie die Schwäche ihres rechtmäßigen Bruders Philipp; denn richtig schloß sie aus seinen Handlungen und Aeußerungen, daß er künftig mehr dem Scheine als dem Wesen der Herrschaft nachgehen, also knechtisch Denen Folge leisten werde, welche vor ihm Gehorsam und gänzliche Unterordnung des Willens recht täuschend zu heucheln wissen. Allein auch ihre eigene Stellung war besorglich. Sie hatte ihren stolzen, unzugänglichen Bruder, die Mächtigen des gegenwärtigen und künftigen Hofes ruhig und ohne Leidenschaft geprüft, konnte daher nicht länger sich verhehlen, daß ihr Ansehen mit dem Tode des Kaisers erlöschen, ihr Einfluß aufhören werde. Die neue, noch unbeliebte Größe des farnesischen Hauses der alternde

welche in Kriegs- und Friedensgeschäften ergraut wären. Denn wer in irgend einer Sache lange Zeit bloß mit Untergeordnetem sich beschäftigt, durch Anstrengung und Ausdauer darin Meisterschaft zu erlangen strebt und erlangt, verliert nothwendig den Ueberblick des Ganzen, wenn er überhaupt ihn jemals sich erworben. So gewöhnlich sind die Erfahrungen dieser Art, und so häufig übertragen hinaufgerückte Staatsmänner die Kleinlichkeit der untergeordneten Geschäftszweige auf die Verwaltung der großen und allgemeinen Sachen, daß man darauf ein Sprichwort gebaut hat, welches Allen bekannt und geläufig ist. Gewiß berechnete Margaretha schon damals die unvermeidlichen Folgen der täglich zunehmenden Unabhängigkeit unter den höheren Staatsbeamten ihres Vaters. Bei Wahrnehmung dieser Uebel beunruhigte sie die Schwäche ihres rechtmäßigen Bruders Philipp; denn richtig schloß sie aus seinen Handlungen und Aeußerungen, daß er künftig mehr dem Scheine als dem Wesen der Herrschaft nachgehen, also knechtisch Denen Folge leisten werde, welche vor ihm Gehorsam und gänzliche Unterordnung des Willens recht täuschend zu heucheln wissen. Allein auch ihre eigene Stellung war besorglich. Sie hatte ihren stolzen, unzugänglichen Bruder, die Mächtigen des gegenwärtigen und künftigen Hofes ruhig und ohne Leidenschaft geprüft, konnte daher nicht länger sich verhehlen, daß ihr Ansehen mit dem Tode des Kaisers erlöschen, ihr Einfluß aufhören werde. Die neue, noch unbeliebte Größe des farnesischen Hauses der alternde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013"/>
welche in Kriegs- und Friedensgeschäften ergraut                wären. Denn wer in irgend einer Sache lange Zeit bloß mit Untergeordnetem sich                beschäftigt, durch Anstrengung und Ausdauer darin Meisterschaft zu erlangen strebt                und erlangt, verliert nothwendig den Ueberblick des Ganzen, wenn er überhaupt ihn                jemals sich erworben. So gewöhnlich sind die Erfahrungen dieser Art, und so häufig                übertragen hinaufgerückte Staatsmänner die Kleinlichkeit der untergeordneten                Geschäftszweige auf die Verwaltung der großen und allgemeinen Sachen, daß man darauf                ein Sprichwort gebaut hat, welches Allen bekannt und geläufig ist. Gewiß berechnete                Margaretha schon damals die unvermeidlichen Folgen der täglich zunehmenden                Unabhängigkeit unter den höheren Staatsbeamten ihres Vaters. Bei Wahrnehmung dieser                Uebel beunruhigte sie die Schwäche ihres rechtmäßigen Bruders Philipp; denn richtig                schloß sie aus seinen Handlungen und Aeußerungen, daß er künftig mehr dem Scheine als                dem Wesen der Herrschaft nachgehen, also knechtisch Denen Folge leisten werde, welche                vor ihm Gehorsam und gänzliche Unterordnung des Willens recht täuschend zu heucheln                wissen. Allein auch ihre eigene Stellung war besorglich. Sie hatte ihren stolzen,                unzugänglichen Bruder, die Mächtigen des gegenwärtigen und künftigen Hofes ruhig und                ohne Leidenschaft geprüft, konnte daher nicht länger sich verhehlen, daß ihr Ansehen                mit dem Tode des Kaisers erlöschen, ihr Einfluß aufhören werde. Die neue, noch                unbeliebte Größe des farnesischen Hauses der alternde<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] welche in Kriegs- und Friedensgeschäften ergraut wären. Denn wer in irgend einer Sache lange Zeit bloß mit Untergeordnetem sich beschäftigt, durch Anstrengung und Ausdauer darin Meisterschaft zu erlangen strebt und erlangt, verliert nothwendig den Ueberblick des Ganzen, wenn er überhaupt ihn jemals sich erworben. So gewöhnlich sind die Erfahrungen dieser Art, und so häufig übertragen hinaufgerückte Staatsmänner die Kleinlichkeit der untergeordneten Geschäftszweige auf die Verwaltung der großen und allgemeinen Sachen, daß man darauf ein Sprichwort gebaut hat, welches Allen bekannt und geläufig ist. Gewiß berechnete Margaretha schon damals die unvermeidlichen Folgen der täglich zunehmenden Unabhängigkeit unter den höheren Staatsbeamten ihres Vaters. Bei Wahrnehmung dieser Uebel beunruhigte sie die Schwäche ihres rechtmäßigen Bruders Philipp; denn richtig schloß sie aus seinen Handlungen und Aeußerungen, daß er künftig mehr dem Scheine als dem Wesen der Herrschaft nachgehen, also knechtisch Denen Folge leisten werde, welche vor ihm Gehorsam und gänzliche Unterordnung des Willens recht täuschend zu heucheln wissen. Allein auch ihre eigene Stellung war besorglich. Sie hatte ihren stolzen, unzugänglichen Bruder, die Mächtigen des gegenwärtigen und künftigen Hofes ruhig und ohne Leidenschaft geprüft, konnte daher nicht länger sich verhehlen, daß ihr Ansehen mit dem Tode des Kaisers erlöschen, ihr Einfluß aufhören werde. Die neue, noch unbeliebte Größe des farnesischen Hauses der alternde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:26:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:26:17Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/13
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/13>, abgerufen am 26.04.2024.