Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wurde. Er sollte das Abenteuer allein bestehen; sein Begleiter ward daher von ihm entlassen, damit er versteckt in dem Gestrüppe der Schlucht den Zugang zur Gartenmauer bewache, den Rückzug ihm sichere. Er horchte noch einen Augenblick auf die behutsam leisen Schritte des Dieners, welche bald in der Ferne verhallten. Als er sich nun ganz allein wußte, überlief ihn ein kalter, gespenstischer Schauder. Es flüsterte die innere Stimme ihm zu, daß seine Leidenschaft nicht Liebe, nicht Zärtlichkeit, nicht einmal Begierde sei, daß er nur einem dunkeln, ihm unverständlichen Zuge nachfolge. Vielleicht war, was ihn lenkte, bloß Herrschsucht und herrische Neigung, Gewalt und Macht zu üben; vielleicht jene unfreiwillige Verehrung und Huldigung, welche die Schönheit auf ihren erhabensten Stufen auch von verderbten und rohen Menschen erzwingt. Noch zweifelte er, ob er in die halbgeöffnete Thüre eintreten oder zurückweichen und davoneilen wolle, als auf der Flur über der Treppe Cassandra ihm sich zeigte, reizender, als da er zuerst sie gesehen. Sie hatte mit Sorgfalt sich geschmückt, hielt die Lampe in malerisch schöner Stellung empor, ihr eigenes Antlitz günstiger zu beleuchten. Da widerstand er nicht länger ihrem wehmüthig sehnsuchtsvollen Blicke, ihrem bezaubernd anmuthsvollen Lächeln. Er eilte die Treppe hinauf, folgte ihr, da sie vor ihm, den Finger auf den Mund legend, langsam zurückwich, bis an die Schwelle der Waffenkammer. Cassandra öffnete die Thüre, indem sie ihm wurde. Er sollte das Abenteuer allein bestehen; sein Begleiter ward daher von ihm entlassen, damit er versteckt in dem Gestrüppe der Schlucht den Zugang zur Gartenmauer bewache, den Rückzug ihm sichere. Er horchte noch einen Augenblick auf die behutsam leisen Schritte des Dieners, welche bald in der Ferne verhallten. Als er sich nun ganz allein wußte, überlief ihn ein kalter, gespenstischer Schauder. Es flüsterte die innere Stimme ihm zu, daß seine Leidenschaft nicht Liebe, nicht Zärtlichkeit, nicht einmal Begierde sei, daß er nur einem dunkeln, ihm unverständlichen Zuge nachfolge. Vielleicht war, was ihn lenkte, bloß Herrschsucht und herrische Neigung, Gewalt und Macht zu üben; vielleicht jene unfreiwillige Verehrung und Huldigung, welche die Schönheit auf ihren erhabensten Stufen auch von verderbten und rohen Menschen erzwingt. Noch zweifelte er, ob er in die halbgeöffnete Thüre eintreten oder zurückweichen und davoneilen wolle, als auf der Flur über der Treppe Cassandra ihm sich zeigte, reizender, als da er zuerst sie gesehen. Sie hatte mit Sorgfalt sich geschmückt, hielt die Lampe in malerisch schöner Stellung empor, ihr eigenes Antlitz günstiger zu beleuchten. Da widerstand er nicht länger ihrem wehmüthig sehnsuchtsvollen Blicke, ihrem bezaubernd anmuthsvollen Lächeln. Er eilte die Treppe hinauf, folgte ihr, da sie vor ihm, den Finger auf den Mund legend, langsam zurückwich, bis an die Schwelle der Waffenkammer. Cassandra öffnete die Thüre, indem sie ihm <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0083"/> wurde. Er sollte das Abenteuer allein bestehen; sein Begleiter ward daher von ihm entlassen, damit er versteckt in dem Gestrüppe der Schlucht den Zugang zur Gartenmauer bewache, den Rückzug ihm sichere.</p><lb/> <p>Er horchte noch einen Augenblick auf die behutsam leisen Schritte des Dieners, welche bald in der Ferne verhallten. Als er sich nun ganz allein wußte, überlief ihn ein kalter, gespenstischer Schauder. Es flüsterte die innere Stimme ihm zu, daß seine Leidenschaft nicht Liebe, nicht Zärtlichkeit, nicht einmal Begierde sei, daß er nur einem dunkeln, ihm unverständlichen Zuge nachfolge. Vielleicht war, was ihn lenkte, bloß Herrschsucht und herrische Neigung, Gewalt und Macht zu üben; vielleicht jene unfreiwillige Verehrung und Huldigung, welche die Schönheit auf ihren erhabensten Stufen auch von verderbten und rohen Menschen erzwingt. Noch zweifelte er, ob er in die halbgeöffnete Thüre eintreten oder zurückweichen und davoneilen wolle, als auf der Flur über der Treppe Cassandra ihm sich zeigte, reizender, als da er zuerst sie gesehen. Sie hatte mit Sorgfalt sich geschmückt, hielt die Lampe in malerisch schöner Stellung empor, ihr eigenes Antlitz günstiger zu beleuchten. Da widerstand er nicht länger ihrem wehmüthig sehnsuchtsvollen Blicke, ihrem bezaubernd anmuthsvollen Lächeln. Er eilte die Treppe hinauf, folgte ihr, da sie vor ihm, den Finger auf den Mund legend, langsam zurückwich, bis an die Schwelle der Waffenkammer. Cassandra öffnete die Thüre, indem sie ihm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
wurde. Er sollte das Abenteuer allein bestehen; sein Begleiter ward daher von ihm entlassen, damit er versteckt in dem Gestrüppe der Schlucht den Zugang zur Gartenmauer bewache, den Rückzug ihm sichere.
Er horchte noch einen Augenblick auf die behutsam leisen Schritte des Dieners, welche bald in der Ferne verhallten. Als er sich nun ganz allein wußte, überlief ihn ein kalter, gespenstischer Schauder. Es flüsterte die innere Stimme ihm zu, daß seine Leidenschaft nicht Liebe, nicht Zärtlichkeit, nicht einmal Begierde sei, daß er nur einem dunkeln, ihm unverständlichen Zuge nachfolge. Vielleicht war, was ihn lenkte, bloß Herrschsucht und herrische Neigung, Gewalt und Macht zu üben; vielleicht jene unfreiwillige Verehrung und Huldigung, welche die Schönheit auf ihren erhabensten Stufen auch von verderbten und rohen Menschen erzwingt. Noch zweifelte er, ob er in die halbgeöffnete Thüre eintreten oder zurückweichen und davoneilen wolle, als auf der Flur über der Treppe Cassandra ihm sich zeigte, reizender, als da er zuerst sie gesehen. Sie hatte mit Sorgfalt sich geschmückt, hielt die Lampe in malerisch schöner Stellung empor, ihr eigenes Antlitz günstiger zu beleuchten. Da widerstand er nicht länger ihrem wehmüthig sehnsuchtsvollen Blicke, ihrem bezaubernd anmuthsvollen Lächeln. Er eilte die Treppe hinauf, folgte ihr, da sie vor ihm, den Finger auf den Mund legend, langsam zurückwich, bis an die Schwelle der Waffenkammer. Cassandra öffnete die Thüre, indem sie ihm
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Zitationshilfe: | Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/83>, abgerufen am 19.07.2024. |