Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ein Zeichen gab, ihr nachzufolgen. Im Hereintreten ließ er den Mantel fallen; wohl seinen edeln Wuchs, seine kunstvoll reiche Kleidung offen zu legen; oder auch unbesinnlich und absichtslos. Um so leichter und sicherer traf ihn Giustiniano, welcher, hinter der Thüre versteckt, dem Eintretenden aufgelauert hatte und nun in einem einzigen Stoße sein Herz traf und durchschnitt. Während der That, oder doch unmittelbar nachdem sie geschehen, ergriff beide Gatten ein ungewisses, zweifelhaftes Gefühl. Der Freude, so schnell und leicht mit ihm geendet zu haben, gab das Mitleid eine schmerzliche Stimmung. Im Todeskrampfe war der edle Jüngling anmuthsvoll, nicht starr und leichenähnlich, zu Boden gesunken; denn es begleitet die Anmuth den Menschen bis jenseit der Grenze des Lebens. Sein halbabgewendetes, von ungeordneten Haarlocken malerisch umspieltes Antlitz erschien noch immer schön, edel, gebietend, herrisch. Mit Rührung, ja mit Zärtlichkeit blickte Cassandra auf ihn hernieder; wer denn vermöchte so ganz ohne Schmerz für eine Ewigkeit zu scheiden von Dem, was jemals ihm einigen Antheil eingeflößt? -- Sie glaubte nicht, daß ein todter Körper den Neid der Lebendigen erwecken könne, gab daher sorglos und ohne Verstellung dem Eindrucke des schönen Bildes, den Gefühlen des seltenen Augenblickes sich hin. Doch nährt des Menschen Herz einen Argwohn tieferer und höherer Art, welchen der Tod nicht sühnt; doch ist Denen, welche wahrhaft und bis in den Grund der Seele lieben, Nichts unerträg- ein Zeichen gab, ihr nachzufolgen. Im Hereintreten ließ er den Mantel fallen; wohl seinen edeln Wuchs, seine kunstvoll reiche Kleidung offen zu legen; oder auch unbesinnlich und absichtslos. Um so leichter und sicherer traf ihn Giustiniano, welcher, hinter der Thüre versteckt, dem Eintretenden aufgelauert hatte und nun in einem einzigen Stoße sein Herz traf und durchschnitt. Während der That, oder doch unmittelbar nachdem sie geschehen, ergriff beide Gatten ein ungewisses, zweifelhaftes Gefühl. Der Freude, so schnell und leicht mit ihm geendet zu haben, gab das Mitleid eine schmerzliche Stimmung. Im Todeskrampfe war der edle Jüngling anmuthsvoll, nicht starr und leichenähnlich, zu Boden gesunken; denn es begleitet die Anmuth den Menschen bis jenseit der Grenze des Lebens. Sein halbabgewendetes, von ungeordneten Haarlocken malerisch umspieltes Antlitz erschien noch immer schön, edel, gebietend, herrisch. Mit Rührung, ja mit Zärtlichkeit blickte Cassandra auf ihn hernieder; wer denn vermöchte so ganz ohne Schmerz für eine Ewigkeit zu scheiden von Dem, was jemals ihm einigen Antheil eingeflößt? — Sie glaubte nicht, daß ein todter Körper den Neid der Lebendigen erwecken könne, gab daher sorglos und ohne Verstellung dem Eindrucke des schönen Bildes, den Gefühlen des seltenen Augenblickes sich hin. Doch nährt des Menschen Herz einen Argwohn tieferer und höherer Art, welchen der Tod nicht sühnt; doch ist Denen, welche wahrhaft und bis in den Grund der Seele lieben, Nichts unerträg- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0084"/> ein Zeichen gab, ihr nachzufolgen. Im Hereintreten ließ er den Mantel fallen; wohl seinen edeln Wuchs, seine kunstvoll reiche Kleidung offen zu legen; oder auch unbesinnlich und absichtslos. Um so leichter und sicherer traf ihn Giustiniano, welcher, hinter der Thüre versteckt, dem Eintretenden aufgelauert hatte und nun in einem einzigen Stoße sein Herz traf und durchschnitt.</p><lb/> <p>Während der That, oder doch unmittelbar nachdem sie geschehen, ergriff beide Gatten ein ungewisses, zweifelhaftes Gefühl. Der Freude, so schnell und leicht mit ihm geendet zu haben, gab das Mitleid eine schmerzliche Stimmung. Im Todeskrampfe war der edle Jüngling anmuthsvoll, nicht starr und leichenähnlich, zu Boden gesunken; denn es begleitet die Anmuth den Menschen bis jenseit der Grenze des Lebens. Sein halbabgewendetes, von ungeordneten Haarlocken malerisch umspieltes Antlitz erschien noch immer schön, edel, gebietend, herrisch. Mit Rührung, ja mit Zärtlichkeit blickte Cassandra auf ihn hernieder; wer denn vermöchte so ganz ohne Schmerz für eine Ewigkeit zu scheiden von Dem, was jemals ihm einigen Antheil eingeflößt? — Sie glaubte nicht, daß ein todter Körper den Neid der Lebendigen erwecken könne, gab daher sorglos und ohne Verstellung dem Eindrucke des schönen Bildes, den Gefühlen des seltenen Augenblickes sich hin. Doch nährt des Menschen Herz einen Argwohn tieferer und höherer Art, welchen der Tod nicht sühnt; doch ist Denen, welche wahrhaft und bis in den Grund der Seele lieben, Nichts unerträg-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
ein Zeichen gab, ihr nachzufolgen. Im Hereintreten ließ er den Mantel fallen; wohl seinen edeln Wuchs, seine kunstvoll reiche Kleidung offen zu legen; oder auch unbesinnlich und absichtslos. Um so leichter und sicherer traf ihn Giustiniano, welcher, hinter der Thüre versteckt, dem Eintretenden aufgelauert hatte und nun in einem einzigen Stoße sein Herz traf und durchschnitt.
Während der That, oder doch unmittelbar nachdem sie geschehen, ergriff beide Gatten ein ungewisses, zweifelhaftes Gefühl. Der Freude, so schnell und leicht mit ihm geendet zu haben, gab das Mitleid eine schmerzliche Stimmung. Im Todeskrampfe war der edle Jüngling anmuthsvoll, nicht starr und leichenähnlich, zu Boden gesunken; denn es begleitet die Anmuth den Menschen bis jenseit der Grenze des Lebens. Sein halbabgewendetes, von ungeordneten Haarlocken malerisch umspieltes Antlitz erschien noch immer schön, edel, gebietend, herrisch. Mit Rührung, ja mit Zärtlichkeit blickte Cassandra auf ihn hernieder; wer denn vermöchte so ganz ohne Schmerz für eine Ewigkeit zu scheiden von Dem, was jemals ihm einigen Antheil eingeflößt? — Sie glaubte nicht, daß ein todter Körper den Neid der Lebendigen erwecken könne, gab daher sorglos und ohne Verstellung dem Eindrucke des schönen Bildes, den Gefühlen des seltenen Augenblickes sich hin. Doch nährt des Menschen Herz einen Argwohn tieferer und höherer Art, welchen der Tod nicht sühnt; doch ist Denen, welche wahrhaft und bis in den Grund der Seele lieben, Nichts unerträg-
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