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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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das Knäblein der Gattin Heidrichs, welche mit Erni auf einer
nahen Bank saß, in den Armen. Der Sonnenstrahl, der
durch die Zweige brach, umschimmerte ihr dunkelblondes Haar
und ihr rosiges Antlitz, das sie mit schalkhafter Zärtlichkeit zu
dem blassen, verfallenen Gesichtchen des Kleinen hinabneigte.
Sie gab ihm die wunderlichsten Schmeichelnamen, küßte ihn,
und fing endlich, indem sie ihn mit reizender Geberde gegen
die Brust drückte, ein leichtes Getänzel an, wobei zwei schmale,
längliche Füßchen unter dem Saume ihres hellfarbigen Kleides
zum Vorschein kamen. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt
stehen und eine dunkle Röthe schoß ihr in's Gesicht. Sie
mußte offenbar den Späher bemerkt haben, und schon im näch¬
sten Augenblick war sie auf Frau Louise zugeeilt und hatte
ihr das Kind in den Schooß gelegt. Nun überkam mich eine
sonderbare Verlegenheit; ich wußte nicht, ob ich mich zurückziehen,
ob ich eintreten sollte. Endlich entschloß ich mich zu letzterem
und ging rasch, wie um etwas zu holen, an den Frauen vor¬
über. Als ich mich gleich darauf mit einem Buche unter dem
Arme wieder entfernen wollte, hielt mich Frau Louise mit den
Worten an: "Wohin so eilig? Bleiben Sie doch ein wenig
bei uns." Und mit einer Handbewegung fügte sie hinzu:
"Herr A. -- meine Schwester Marianne." Diese aber, nach¬
dem sie sich, noch immer flammend und verwirrt, ohne mich
anzusehen, leicht verneigt hatte, langte ein rundes Hütlein
herab, das an einem Baumzweige hing, stülpte es auf den

das Knäblein der Gattin Heidrichs, welche mit Erni auf einer
nahen Bank ſaß, in den Armen. Der Sonnenſtrahl, der
durch die Zweige brach, umſchimmerte ihr dunkelblondes Haar
und ihr roſiges Antlitz, das ſie mit ſchalkhafter Zärtlichkeit zu
dem blaſſen, verfallenen Geſichtchen des Kleinen hinabneigte.
Sie gab ihm die wunderlichſten Schmeichelnamen, küßte ihn,
und fing endlich, indem ſie ihn mit reizender Geberde gegen
die Bruſt drückte, ein leichtes Getänzel an, wobei zwei ſchmale,
längliche Füßchen unter dem Saume ihres hellfarbigen Kleides
zum Vorſchein kamen. Plötzlich blieb ſie wie angewurzelt
ſtehen und eine dunkle Röthe ſchoß ihr in's Geſicht. Sie
mußte offenbar den Späher bemerkt haben, und ſchon im näch¬
ſten Augenblick war ſie auf Frau Louiſe zugeeilt und hatte
ihr das Kind in den Schooß gelegt. Nun überkam mich eine
ſonderbare Verlegenheit; ich wußte nicht, ob ich mich zurückziehen,
ob ich eintreten ſollte. Endlich entſchloß ich mich zu letzterem
und ging raſch, wie um etwas zu holen, an den Frauen vor¬
über. Als ich mich gleich darauf mit einem Buche unter dem
Arme wieder entfernen wollte, hielt mich Frau Louiſe mit den
Worten an: „Wohin ſo eilig? Bleiben Sie doch ein wenig
bei uns.“ Und mit einer Handbewegung fügte ſie hinzu:
„Herr A. — meine Schweſter Marianne.“ Dieſe aber, nach¬
dem ſie ſich, noch immer flammend und verwirrt, ohne mich
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[88/0104] das Knäblein der Gattin Heidrichs, welche mit Erni auf einer nahen Bank ſaß, in den Armen. Der Sonnenſtrahl, der durch die Zweige brach, umſchimmerte ihr dunkelblondes Haar und ihr roſiges Antlitz, das ſie mit ſchalkhafter Zärtlichkeit zu dem blaſſen, verfallenen Geſichtchen des Kleinen hinabneigte. Sie gab ihm die wunderlichſten Schmeichelnamen, küßte ihn, und fing endlich, indem ſie ihn mit reizender Geberde gegen die Bruſt drückte, ein leichtes Getänzel an, wobei zwei ſchmale, längliche Füßchen unter dem Saume ihres hellfarbigen Kleides zum Vorſchein kamen. Plötzlich blieb ſie wie angewurzelt ſtehen und eine dunkle Röthe ſchoß ihr in's Geſicht. Sie mußte offenbar den Späher bemerkt haben, und ſchon im näch¬ ſten Augenblick war ſie auf Frau Louiſe zugeeilt und hatte ihr das Kind in den Schooß gelegt. Nun überkam mich eine ſonderbare Verlegenheit; ich wußte nicht, ob ich mich zurückziehen, ob ich eintreten ſollte. Endlich entſchloß ich mich zu letzterem und ging raſch, wie um etwas zu holen, an den Frauen vor¬ über. Als ich mich gleich darauf mit einem Buche unter dem Arme wieder entfernen wollte, hielt mich Frau Louiſe mit den Worten an: „Wohin ſo eilig? Bleiben Sie doch ein wenig bei uns.“ Und mit einer Handbewegung fügte ſie hinzu: „Herr A. — meine Schweſter Marianne.“ Dieſe aber, nach¬ dem ſie ſich, noch immer flammend und verwirrt, ohne mich anzuſehen, leicht verneigt hatte, langte ein rundes Hütlein herab, das an einem Baumzweige hing, ſtülpte es auf den

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/104>, abgerufen am 24.11.2024.