holen, ziemlich spät erscheint, ist sie stiller und schweigsamer. Denn man kann deutlich merken, daß er nach Art trockener und halbgebildeter Menschen, ihr munteres und offenes Wesen als etwas Unziemliches empfindet und dasselbe, sowie die holde, echt weibliche Beschränktheit, welche Marianne in ge¬ wissen Dingen verräth, für Thorheit und Mangel an Verstand ansieht. So hatte er unlängst ein Kartenspiel (die einzige Unterhaltung nach seinem Geschmacke) in Vorschlag gebracht, bei welchem Jeder die Augen seiner Karten zu zählen hatte. Marianne konnte damit nie rasch genug zu Stande kommen und mußte oft die Spitze ihres Zeigefingers zu Hilfe nehmen, bis ihr endlich Dorner mit der Bemerkung: sie solle doch we¬ nigstens zählen lernen, die bemalten Blätter ziemlich unsanft aus der Hand nahm und auf den Tisch warf. Ich zuckte zu¬ sammen; Marianne schwieg; nach und nach aber kam eine glühende Schaamröthe in ihrem Antlitz zum Vorschein. Auch die Anderen waren betroffen und eine peinliche, unerquickliche Stimmung blieb zurück. Ueberhaupt wirkt die Anwesenheit Dorners stets lähmend und niederdrückend auf Alle: es wagt sich Niemand mit einem freien, fröhlichen Worte hervor. Selbst die Hauskatze, welche jeden Abend, um ein paar Bissen zu erhaschen, schnurrend den Tisch umkreist, ergreift bei seinem Erscheinen augenblicklich die Flucht, weil er gleich das erste Mal mit dem Stocke nach ihr geschlagen hatte. -- Wenn die lebensfrohe junge Frau beim Abschied den Arm des harten,
holen, ziemlich ſpät erſcheint, iſt ſie ſtiller und ſchweigſamer. Denn man kann deutlich merken, daß er nach Art trockener und halbgebildeter Menſchen, ihr munteres und offenes Weſen als etwas Unziemliches empfindet und dasſelbe, ſowie die holde, echt weibliche Beſchränktheit, welche Marianne in ge¬ wiſſen Dingen verräth, für Thorheit und Mangel an Verſtand anſieht. So hatte er unlängſt ein Kartenſpiel (die einzige Unterhaltung nach ſeinem Geſchmacke) in Vorſchlag gebracht, bei welchem Jeder die Augen ſeiner Karten zu zählen hatte. Marianne konnte damit nie raſch genug zu Stande kommen und mußte oft die Spitze ihres Zeigefingers zu Hilfe nehmen, bis ihr endlich Dorner mit der Bemerkung: ſie ſolle doch we¬ nigſtens zählen lernen, die bemalten Blätter ziemlich unſanft aus der Hand nahm und auf den Tiſch warf. Ich zuckte zu¬ ſammen; Marianne ſchwieg; nach und nach aber kam eine glühende Schaamröthe in ihrem Antlitz zum Vorſchein. Auch die Anderen waren betroffen und eine peinliche, unerquickliche Stimmung blieb zurück. Ueberhaupt wirkt die Anweſenheit Dorners ſtets lähmend und niederdrückend auf Alle: es wagt ſich Niemand mit einem freien, fröhlichen Worte hervor. Selbſt die Hauskatze, welche jeden Abend, um ein paar Biſſen zu erhaſchen, ſchnurrend den Tiſch umkreiſt, ergreift bei ſeinem Erſcheinen augenblicklich die Flucht, weil er gleich das erſte Mal mit dem Stocke nach ihr geſchlagen hatte. — Wenn die lebensfrohe junge Frau beim Abſchied den Arm des harten,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0116"n="100"/>
holen, ziemlich ſpät erſcheint, iſt ſie ſtiller und ſchweigſamer.<lb/>
Denn man kann deutlich merken, daß er nach Art trockener<lb/>
und halbgebildeter Menſchen, ihr munteres und offenes Weſen<lb/>
als etwas Unziemliches empfindet und dasſelbe, ſowie die<lb/>
holde, echt weibliche Beſchränktheit, welche Marianne in ge¬<lb/>
wiſſen Dingen verräth, für Thorheit und Mangel an Verſtand<lb/>
anſieht. So hatte er unlängſt ein Kartenſpiel (die einzige<lb/>
Unterhaltung nach ſeinem Geſchmacke) in Vorſchlag gebracht,<lb/>
bei welchem Jeder die Augen ſeiner Karten zu zählen hatte.<lb/>
Marianne konnte damit nie raſch genug zu Stande kommen<lb/>
und mußte oft die Spitze ihres Zeigefingers zu Hilfe nehmen,<lb/>
bis ihr endlich Dorner mit der Bemerkung: ſie ſolle doch we¬<lb/>
nigſtens zählen lernen, die bemalten Blätter ziemlich unſanft<lb/>
aus der Hand nahm und auf den Tiſch warf. Ich zuckte zu¬<lb/>ſammen; Marianne ſchwieg; nach und nach aber kam eine<lb/>
glühende Schaamröthe in ihrem Antlitz zum Vorſchein. Auch<lb/>
die Anderen waren betroffen und eine peinliche, unerquickliche<lb/>
Stimmung blieb zurück. Ueberhaupt wirkt die Anweſenheit<lb/>
Dorners ſtets lähmend und niederdrückend auf Alle: es wagt<lb/>ſich Niemand mit einem freien, fröhlichen Worte hervor.<lb/>
Selbſt die Hauskatze, welche jeden Abend, um ein paar Biſſen<lb/>
zu erhaſchen, ſchnurrend den Tiſch umkreiſt, ergreift bei ſeinem<lb/>
Erſcheinen augenblicklich die Flucht, weil er gleich das erſte<lb/>
Mal mit dem Stocke nach ihr geſchlagen hatte. — Wenn die<lb/>
lebensfrohe junge Frau beim Abſchied den Arm des harten,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[100/0116]
holen, ziemlich ſpät erſcheint, iſt ſie ſtiller und ſchweigſamer.
Denn man kann deutlich merken, daß er nach Art trockener
und halbgebildeter Menſchen, ihr munteres und offenes Weſen
als etwas Unziemliches empfindet und dasſelbe, ſowie die
holde, echt weibliche Beſchränktheit, welche Marianne in ge¬
wiſſen Dingen verräth, für Thorheit und Mangel an Verſtand
anſieht. So hatte er unlängſt ein Kartenſpiel (die einzige
Unterhaltung nach ſeinem Geſchmacke) in Vorſchlag gebracht,
bei welchem Jeder die Augen ſeiner Karten zu zählen hatte.
Marianne konnte damit nie raſch genug zu Stande kommen
und mußte oft die Spitze ihres Zeigefingers zu Hilfe nehmen,
bis ihr endlich Dorner mit der Bemerkung: ſie ſolle doch we¬
nigſtens zählen lernen, die bemalten Blätter ziemlich unſanft
aus der Hand nahm und auf den Tiſch warf. Ich zuckte zu¬
ſammen; Marianne ſchwieg; nach und nach aber kam eine
glühende Schaamröthe in ihrem Antlitz zum Vorſchein. Auch
die Anderen waren betroffen und eine peinliche, unerquickliche
Stimmung blieb zurück. Ueberhaupt wirkt die Anweſenheit
Dorners ſtets lähmend und niederdrückend auf Alle: es wagt
ſich Niemand mit einem freien, fröhlichen Worte hervor.
Selbſt die Hauskatze, welche jeden Abend, um ein paar Biſſen
zu erhaſchen, ſchnurrend den Tiſch umkreiſt, ergreift bei ſeinem
Erſcheinen augenblicklich die Flucht, weil er gleich das erſte
Mal mit dem Stocke nach ihr geſchlagen hatte. — Wenn die
lebensfrohe junge Frau beim Abſchied den Arm des harten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/116>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.