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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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holen, ziemlich spät erscheint, ist sie stiller und schweigsamer.
Denn man kann deutlich merken, daß er nach Art trockener
und halbgebildeter Menschen, ihr munteres und offenes Wesen
als etwas Unziemliches empfindet und dasselbe, sowie die
holde, echt weibliche Beschränktheit, welche Marianne in ge¬
wissen Dingen verräth, für Thorheit und Mangel an Verstand
ansieht. So hatte er unlängst ein Kartenspiel (die einzige
Unterhaltung nach seinem Geschmacke) in Vorschlag gebracht,
bei welchem Jeder die Augen seiner Karten zu zählen hatte.
Marianne konnte damit nie rasch genug zu Stande kommen
und mußte oft die Spitze ihres Zeigefingers zu Hilfe nehmen,
bis ihr endlich Dorner mit der Bemerkung: sie solle doch we¬
nigstens zählen lernen, die bemalten Blätter ziemlich unsanft
aus der Hand nahm und auf den Tisch warf. Ich zuckte zu¬
sammen; Marianne schwieg; nach und nach aber kam eine
glühende Schaamröthe in ihrem Antlitz zum Vorschein. Auch
die Anderen waren betroffen und eine peinliche, unerquickliche
Stimmung blieb zurück. Ueberhaupt wirkt die Anwesenheit
Dorners stets lähmend und niederdrückend auf Alle: es wagt
sich Niemand mit einem freien, fröhlichen Worte hervor.
Selbst die Hauskatze, welche jeden Abend, um ein paar Bissen
zu erhaschen, schnurrend den Tisch umkreist, ergreift bei seinem
Erscheinen augenblicklich die Flucht, weil er gleich das erste
Mal mit dem Stocke nach ihr geschlagen hatte. -- Wenn die
lebensfrohe junge Frau beim Abschied den Arm des harten,

holen, ziemlich ſpät erſcheint, iſt ſie ſtiller und ſchweigſamer.
Denn man kann deutlich merken, daß er nach Art trockener
und halbgebildeter Menſchen, ihr munteres und offenes Weſen
als etwas Unziemliches empfindet und dasſelbe, ſowie die
holde, echt weibliche Beſchränktheit, welche Marianne in ge¬
wiſſen Dingen verräth, für Thorheit und Mangel an Verſtand
anſieht. So hatte er unlängſt ein Kartenſpiel (die einzige
Unterhaltung nach ſeinem Geſchmacke) in Vorſchlag gebracht,
bei welchem Jeder die Augen ſeiner Karten zu zählen hatte.
Marianne konnte damit nie raſch genug zu Stande kommen
und mußte oft die Spitze ihres Zeigefingers zu Hilfe nehmen,
bis ihr endlich Dorner mit der Bemerkung: ſie ſolle doch we¬
nigſtens zählen lernen, die bemalten Blätter ziemlich unſanft
aus der Hand nahm und auf den Tiſch warf. Ich zuckte zu¬
ſammen; Marianne ſchwieg; nach und nach aber kam eine
glühende Schaamröthe in ihrem Antlitz zum Vorſchein. Auch
die Anderen waren betroffen und eine peinliche, unerquickliche
Stimmung blieb zurück. Ueberhaupt wirkt die Anweſenheit
Dorners ſtets lähmend und niederdrückend auf Alle: es wagt
ſich Niemand mit einem freien, fröhlichen Worte hervor.
Selbſt die Hauskatze, welche jeden Abend, um ein paar Biſſen
zu erhaſchen, ſchnurrend den Tiſch umkreiſt, ergreift bei ſeinem
Erſcheinen augenblicklich die Flucht, weil er gleich das erſte
Mal mit dem Stocke nach ihr geſchlagen hatte. — Wenn die
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[100/0116] holen, ziemlich ſpät erſcheint, iſt ſie ſtiller und ſchweigſamer. Denn man kann deutlich merken, daß er nach Art trockener und halbgebildeter Menſchen, ihr munteres und offenes Weſen als etwas Unziemliches empfindet und dasſelbe, ſowie die holde, echt weibliche Beſchränktheit, welche Marianne in ge¬ wiſſen Dingen verräth, für Thorheit und Mangel an Verſtand anſieht. So hatte er unlängſt ein Kartenſpiel (die einzige Unterhaltung nach ſeinem Geſchmacke) in Vorſchlag gebracht, bei welchem Jeder die Augen ſeiner Karten zu zählen hatte. Marianne konnte damit nie raſch genug zu Stande kommen und mußte oft die Spitze ihres Zeigefingers zu Hilfe nehmen, bis ihr endlich Dorner mit der Bemerkung: ſie ſolle doch we¬ nigſtens zählen lernen, die bemalten Blätter ziemlich unſanft aus der Hand nahm und auf den Tiſch warf. Ich zuckte zu¬ ſammen; Marianne ſchwieg; nach und nach aber kam eine glühende Schaamröthe in ihrem Antlitz zum Vorſchein. Auch die Anderen waren betroffen und eine peinliche, unerquickliche Stimmung blieb zurück. Ueberhaupt wirkt die Anweſenheit Dorners ſtets lähmend und niederdrückend auf Alle: es wagt ſich Niemand mit einem freien, fröhlichen Worte hervor. Selbſt die Hauskatze, welche jeden Abend, um ein paar Biſſen zu erhaſchen, ſchnurrend den Tiſch umkreiſt, ergreift bei ſeinem Erſcheinen augenblicklich die Flucht, weil er gleich das erſte Mal mit dem Stocke nach ihr geſchlagen hatte. — Wenn die lebensfrohe junge Frau beim Abſchied den Arm des harten,

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/116>, abgerufen am 24.11.2024.