achten schien, sondern mit gesenktem Haupte vorwärts schritt, mehrere Male nach einander; so daß mir also nichts er¬ übrigte, als hinauszutreten und mich ihnen zu nähern. Das Kind wollte, um mich zu erwarten, stehen bleiben; aber Mari¬ anne ließ seine Hand los und ging immer weiter; erst als ich dicht hinter ihr war, hielt sie an und wandte mir ihr Antlitz zu. "Ich habe sie oben allein gelassen," begann sie langsam; "ich glaube, sie fühlen jetzt das Bedürfniß, sich un¬ gestört auszuweinen." Sie sah nach einer kleinen Uhr, die sie im Gürtel trug, "Es ist schon spät; mein Mann soll noch kommen. Er war heute Nachmittag sehr beschäftigt."
"Wie ich höre, werden auch Sie jetzt von häuslichen Geschäften sehr in Anspruch genommen, Frau Dorner," sagte ich, um etwas zu sagen.
Sie erröthete flüchtig. "Allerdings; und ich kann mich noch nicht ganz zurecht finden. Aber es ist gut; man vergißt so Manches darüber."
Ich schwieg, und so gingen wir eine Zeit lang, ohne zu sprechen, neben einander hin. Es war schon dunkel geworden und durch die Bäume wehte es feucht und kühl.
"Welch' eine rauhe Abendluft", sagte sie endlich und zog ihr Tuch fröstelnd um die Schultern. "Man merkt, daß der Herbst bereits im Anzug ist. -- Das arme Kind; heute liegt es in der kalten Erde."
Saar, Novellen aus Oesterreich. 8
achten ſchien, ſondern mit geſenktem Haupte vorwärts ſchritt, mehrere Male nach einander; ſo daß mir alſo nichts er¬ übrigte, als hinauszutreten und mich ihnen zu nähern. Das Kind wollte, um mich zu erwarten, ſtehen bleiben; aber Mari¬ anne ließ ſeine Hand los und ging immer weiter; erſt als ich dicht hinter ihr war, hielt ſie an und wandte mir ihr Antlitz zu. „Ich habe ſie oben allein gelaſſen,“ begann ſie langſam; „ich glaube, ſie fühlen jetzt das Bedürfniß, ſich un¬ geſtört auszuweinen.“ Sie ſah nach einer kleinen Uhr, die ſie im Gürtel trug, „Es iſt ſchon ſpät; mein Mann ſoll noch kommen. Er war heute Nachmittag ſehr beſchäftigt.“
„Wie ich höre, werden auch Sie jetzt von häuslichen Geſchäften ſehr in Anſpruch genommen, Frau Dorner,“ ſagte ich, um etwas zu ſagen.
Sie erröthete flüchtig. „Allerdings; und ich kann mich noch nicht ganz zurecht finden. Aber es iſt gut; man vergißt ſo Manches darüber.“
Ich ſchwieg, und ſo gingen wir eine Zeit lang, ohne zu ſprechen, neben einander hin. Es war ſchon dunkel geworden und durch die Bäume wehte es feucht und kühl.
„Welch' eine rauhe Abendluft“, ſagte ſie endlich und zog ihr Tuch fröſtelnd um die Schultern. „Man merkt, daß der Herbſt bereits im Anzug iſt. — Das arme Kind; heute liegt es in der kalten Erde.“
Saar, Novellen aus Oeſterreich. 8
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0129"n="113"/>
achten ſchien, ſondern mit geſenktem Haupte vorwärts ſchritt,<lb/>
mehrere Male nach einander; ſo daß mir alſo nichts er¬<lb/>
übrigte, als hinauszutreten und mich ihnen zu nähern. Das<lb/>
Kind wollte, um mich zu erwarten, ſtehen bleiben; aber Mari¬<lb/>
anne ließ ſeine Hand los und ging immer weiter; erſt als<lb/>
ich dicht hinter ihr war, hielt ſie an und wandte mir ihr<lb/>
Antlitz zu. „Ich habe ſie oben allein gelaſſen,“ begann ſie<lb/>
langſam; „ich glaube, ſie fühlen jetzt das Bedürfniß, ſich un¬<lb/>
geſtört auszuweinen.“ Sie ſah nach einer kleinen Uhr, die<lb/>ſie im Gürtel trug, „Es iſt ſchon ſpät; mein Mann ſoll noch<lb/>
kommen. Er war heute Nachmittag ſehr beſchäftigt.“</p><lb/><p>„Wie ich höre, werden auch Sie jetzt von häuslichen Geſchäften<lb/>ſehr in Anſpruch genommen, Frau Dorner,“ſagte ich, um<lb/>
etwas zu ſagen.</p><lb/><p>Sie erröthete flüchtig. „Allerdings; und ich kann mich noch<lb/>
nicht ganz zurecht finden. Aber es iſt gut; man vergißt ſo<lb/>
Manches darüber.“</p><lb/><p>Ich ſchwieg, und ſo gingen wir eine Zeit lang, ohne zu<lb/>ſprechen, neben einander hin. Es war ſchon dunkel geworden<lb/>
und durch die Bäume wehte es feucht und kühl.</p><lb/><p>„Welch' eine rauhe Abendluft“, ſagte ſie endlich und zog<lb/>
ihr Tuch fröſtelnd um die Schultern. „Man merkt, daß der<lb/>
Herbſt bereits im Anzug iſt. — Das arme Kind; heute liegt es<lb/>
in der kalten Erde.“<lb/></p><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Saar</hi>, Novellen aus Oeſterreich. 8<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[113/0129]
achten ſchien, ſondern mit geſenktem Haupte vorwärts ſchritt,
mehrere Male nach einander; ſo daß mir alſo nichts er¬
übrigte, als hinauszutreten und mich ihnen zu nähern. Das
Kind wollte, um mich zu erwarten, ſtehen bleiben; aber Mari¬
anne ließ ſeine Hand los und ging immer weiter; erſt als
ich dicht hinter ihr war, hielt ſie an und wandte mir ihr
Antlitz zu. „Ich habe ſie oben allein gelaſſen,“ begann ſie
langſam; „ich glaube, ſie fühlen jetzt das Bedürfniß, ſich un¬
geſtört auszuweinen.“ Sie ſah nach einer kleinen Uhr, die
ſie im Gürtel trug, „Es iſt ſchon ſpät; mein Mann ſoll noch
kommen. Er war heute Nachmittag ſehr beſchäftigt.“
„Wie ich höre, werden auch Sie jetzt von häuslichen Geſchäften
ſehr in Anſpruch genommen, Frau Dorner,“ ſagte ich, um
etwas zu ſagen.
Sie erröthete flüchtig. „Allerdings; und ich kann mich noch
nicht ganz zurecht finden. Aber es iſt gut; man vergißt ſo
Manches darüber.“
Ich ſchwieg, und ſo gingen wir eine Zeit lang, ohne zu
ſprechen, neben einander hin. Es war ſchon dunkel geworden
und durch die Bäume wehte es feucht und kühl.
„Welch' eine rauhe Abendluft“, ſagte ſie endlich und zog
ihr Tuch fröſtelnd um die Schultern. „Man merkt, daß der
Herbſt bereits im Anzug iſt. — Das arme Kind; heute liegt es
in der kalten Erde.“
Saar, Novellen aus Oeſterreich. 8
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/129>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.