Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

seit vier Wochen bin ich hier -- doch in welchem Zustande!
Ach Freund, was sind die Entschlüsse des Menschen! Vorüber¬
gehen wollt' ich an dem geliebten Weibe, das mir bestimmt
schien, zugefallen durch einen holden Ausgleich der Natur --
und nun! -- -- Aber ich will mich fassen, will Dir Alles
niederschreiben und diese Blätter wie ein letztes Vermächtniß
in deine Hände legen. --

Der Tag, den ich mir zur Abreise festgesetzt, war immer
näher gekommen. Ich hatte es, ohne zu wissen warum, stets
hinausgeschoben, meinen Hausgenossen unsere bevorstehende
Trennung mitzutheilen, und nun zeigte sich die alte Frau, die
mir im Laufe der Jahre eine fast mütterliche Theilnahme und
Fürsorge erwiesen, sehr ergriffen. Sie wischte sich die Augen,
und sagte, sie wolle meine Stube gar nicht weiter vermiethen;
denn sie würde keinen Fremden darin sehen können. Ihr
Sohn bekräftigte dies, indem er mir wiederholt die Hände
schüttelte und hinzufügte, sie hätten gehofft, mich nicht früher
zu verlieren, als bis ich einmal des Hagestolzenlebens müde
und Willens geworden sei, einen eigenen Heerd zu gründen.
Und das sollt' ich auch: denn ich sei ganz der Mann, ein
Weib glücklich zu machen. Nur Frau Louise, die gegen mich
in letzter Zeit etwas zurückhaltend gewesen, schien wie erleich¬
tert aufzuathmen. Sie ward mit einem Male wieder herzlich
und freundlich, und ermunterte mich sogar, die Hochzeit Emi¬
liens abzuwarten, zu deren Feier, wie ich nun hörte, der fünf¬

8*

ſeit vier Wochen bin ich hier — doch in welchem Zuſtande!
Ach Freund, was ſind die Entſchlüſſe des Menſchen! Vorüber¬
gehen wollt' ich an dem geliebten Weibe, das mir beſtimmt
ſchien, zugefallen durch einen holden Ausgleich der Natur —
und nun! — — Aber ich will mich faſſen, will Dir Alles
niederſchreiben und dieſe Blätter wie ein letztes Vermächtniß
in deine Hände legen. —

Der Tag, den ich mir zur Abreiſe feſtgeſetzt, war immer
näher gekommen. Ich hatte es, ohne zu wiſſen warum, ſtets
hinausgeſchoben, meinen Hausgenoſſen unſere bevorſtehende
Trennung mitzutheilen, und nun zeigte ſich die alte Frau, die
mir im Laufe der Jahre eine faſt mütterliche Theilnahme und
Fürſorge erwieſen, ſehr ergriffen. Sie wiſchte ſich die Augen,
und ſagte, ſie wolle meine Stube gar nicht weiter vermiethen;
denn ſie würde keinen Fremden darin ſehen können. Ihr
Sohn bekräftigte dies, indem er mir wiederholt die Hände
ſchüttelte und hinzufügte, ſie hätten gehofft, mich nicht früher
zu verlieren, als bis ich einmal des Hageſtolzenlebens müde
und Willens geworden ſei, einen eigenen Heerd zu gründen.
Und das ſollt' ich auch: denn ich ſei ganz der Mann, ein
Weib glücklich zu machen. Nur Frau Louiſe, die gegen mich
in letzter Zeit etwas zurückhaltend geweſen, ſchien wie erleich¬
tert aufzuathmen. Sie ward mit einem Male wieder herzlich
und freundlich, und ermunterte mich ſogar, die Hochzeit Emi¬
liens abzuwarten, zu deren Feier, wie ich nun hörte, der fünf¬

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0131" n="115"/>
&#x017F;eit vier Wochen bin ich hier &#x2014; doch in welchem Zu&#x017F;tande!<lb/>
Ach Freund, was &#x017F;ind die Ent&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e des Men&#x017F;chen! Vorüber¬<lb/>
gehen wollt' ich an dem geliebten Weibe, das mir be&#x017F;timmt<lb/>
&#x017F;chien, zugefallen durch einen holden Ausgleich der Natur &#x2014;<lb/>
und nun! &#x2014; &#x2014; Aber ich will mich fa&#x017F;&#x017F;en, will Dir Alles<lb/>
nieder&#x017F;chreiben und die&#x017F;e Blätter wie ein letztes Vermächtniß<lb/>
in deine Hände legen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der Tag, den ich mir zur Abrei&#x017F;e fe&#x017F;tge&#x017F;etzt, war immer<lb/>
näher gekommen. Ich hatte es, ohne zu wi&#x017F;&#x017F;en warum, &#x017F;tets<lb/>
hinausge&#x017F;choben, meinen Hausgeno&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;ere bevor&#x017F;tehende<lb/>
Trennung mitzutheilen, und nun zeigte &#x017F;ich die alte Frau, die<lb/>
mir im Laufe der Jahre eine fa&#x017F;t mütterliche Theilnahme und<lb/>
Für&#x017F;orge erwie&#x017F;en, &#x017F;ehr ergriffen. Sie wi&#x017F;chte &#x017F;ich die Augen,<lb/>
und &#x017F;agte, &#x017F;ie wolle meine Stube gar nicht weiter vermiethen;<lb/>
denn &#x017F;ie würde keinen Fremden darin &#x017F;ehen können. Ihr<lb/>
Sohn bekräftigte dies, indem er mir wiederholt die Hände<lb/>
&#x017F;chüttelte und hinzufügte, &#x017F;ie hätten gehofft, mich nicht früher<lb/>
zu verlieren, als bis ich einmal des Hage&#x017F;tolzenlebens müde<lb/>
und Willens geworden &#x017F;ei, einen eigenen Heerd zu gründen.<lb/>
Und das &#x017F;ollt' ich auch: denn ich &#x017F;ei ganz der Mann, ein<lb/>
Weib glücklich zu machen. Nur Frau Loui&#x017F;e, die gegen mich<lb/>
in letzter Zeit etwas zurückhaltend gewe&#x017F;en, &#x017F;chien wie erleich¬<lb/>
tert aufzuathmen. Sie ward mit einem Male wieder herzlich<lb/>
und freundlich, und ermunterte mich &#x017F;ogar, die Hochzeit Emi¬<lb/>
liens abzuwarten, zu deren Feier, wie ich nun hörte, der fünf¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0131] ſeit vier Wochen bin ich hier — doch in welchem Zuſtande! Ach Freund, was ſind die Entſchlüſſe des Menſchen! Vorüber¬ gehen wollt' ich an dem geliebten Weibe, das mir beſtimmt ſchien, zugefallen durch einen holden Ausgleich der Natur — und nun! — — Aber ich will mich faſſen, will Dir Alles niederſchreiben und dieſe Blätter wie ein letztes Vermächtniß in deine Hände legen. — Der Tag, den ich mir zur Abreiſe feſtgeſetzt, war immer näher gekommen. Ich hatte es, ohne zu wiſſen warum, ſtets hinausgeſchoben, meinen Hausgenoſſen unſere bevorſtehende Trennung mitzutheilen, und nun zeigte ſich die alte Frau, die mir im Laufe der Jahre eine faſt mütterliche Theilnahme und Fürſorge erwieſen, ſehr ergriffen. Sie wiſchte ſich die Augen, und ſagte, ſie wolle meine Stube gar nicht weiter vermiethen; denn ſie würde keinen Fremden darin ſehen können. Ihr Sohn bekräftigte dies, indem er mir wiederholt die Hände ſchüttelte und hinzufügte, ſie hätten gehofft, mich nicht früher zu verlieren, als bis ich einmal des Hageſtolzenlebens müde und Willens geworden ſei, einen eigenen Heerd zu gründen. Und das ſollt' ich auch: denn ich ſei ganz der Mann, ein Weib glücklich zu machen. Nur Frau Louiſe, die gegen mich in letzter Zeit etwas zurückhaltend geweſen, ſchien wie erleich¬ tert aufzuathmen. Sie ward mit einem Male wieder herzlich und freundlich, und ermunterte mich ſogar, die Hochzeit Emi¬ liens abzuwarten, zu deren Feier, wie ich nun hörte, der fünf¬ 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/131
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/131>, abgerufen am 14.05.2024.