zum ersten und letzten Male!" Sie sah mich wie erschreckt an; dann aber stand sie auf und sank mir in die Arme. -- Ach, welche Wonne war es, mit ihr in dem beginnenden Wirbel hinzutreiben, der uns immer rascher, immer stürmischer mit sich fortriß! Wie ein Kind lag sie an meiner Brust: weich, hingebend, die Lippen leicht geöffnet, die Augen halb durch die gesenkten Wimpern verschleiert. Ihr Herz pochte neben meinem; die Rosen in ihrem Haar umdufteten mein Antlitz. Und es war mir, als müsse es ewig so dauern -- ewig! Aber die Musik verstummte. Ich reichte dem süßen Weibe den Arm. Sie nahm ihn und lehnte sich innig an mich. "Marianne!" rief ich leise und bebend. Sie verstand mich; denn sie schwieg und blickte zu Boden. Inzwischen hatten mehrere Ungenüg¬ same mit lautem Rufen und Händeklatschen eine Wiederholung des Galopps verlangt und das Orchester fiel von neuem ein. "Noch einmal!" flüsterte ich und umfaßte sie. Und als wir uns jetzt bei den rasenden Klängen zum zweiten Mal in den Armen lagen, da brach in mir die lang niedergehaltene Leiden¬ schaft gleich einer entfesselten Naturgewalt hervor. Ich zog Marianne an mich; ich beugte mein Haupt zu ihr nieder; mein Mund streifte ihre Haare, ihre Stirn. Sie ließ es ge¬ schehen und sah mich lächelnd an. Und fester und fester um¬ schlangen wir uns; unsere Wangen, unsere Lippen berührten sich; unser Odem floß in einen Hauch zusammen. So flogen wir hin, in seliger Trunkenheit, weltentrückt, zwischen Himmel
zum erſten und letzten Male!“ Sie ſah mich wie erſchreckt an; dann aber ſtand ſie auf und ſank mir in die Arme. — Ach, welche Wonne war es, mit ihr in dem beginnenden Wirbel hinzutreiben, der uns immer raſcher, immer ſtürmiſcher mit ſich fortriß! Wie ein Kind lag ſie an meiner Bruſt: weich, hingebend, die Lippen leicht geöffnet, die Augen halb durch die geſenkten Wimpern verſchleiert. Ihr Herz pochte neben meinem; die Roſen in ihrem Haar umdufteten mein Antlitz. Und es war mir, als müſſe es ewig ſo dauern — ewig! Aber die Muſik verſtummte. Ich reichte dem ſüßen Weibe den Arm. Sie nahm ihn und lehnte ſich innig an mich. „Marianne!“ rief ich leiſe und bebend. Sie verſtand mich; denn ſie ſchwieg und blickte zu Boden. Inzwiſchen hatten mehrere Ungenüg¬ ſame mit lautem Rufen und Händeklatſchen eine Wiederholung des Galopps verlangt und das Orcheſter fiel von neuem ein. „Noch einmal!“ flüſterte ich und umfaßte ſie. Und als wir uns jetzt bei den raſenden Klängen zum zweiten Mal in den Armen lagen, da brach in mir die lang niedergehaltene Leiden¬ ſchaft gleich einer entfeſſelten Naturgewalt hervor. Ich zog Marianne an mich; ich beugte mein Haupt zu ihr nieder; mein Mund ſtreifte ihre Haare, ihre Stirn. Sie ließ es ge¬ ſchehen und ſah mich lächelnd an. Und feſter und feſter um¬ ſchlangen wir uns; unſere Wangen, unſere Lippen berührten ſich; unſer Odem floß in einen Hauch zuſammen. So flogen wir hin, in ſeliger Trunkenheit, weltentrückt, zwiſchen Himmel
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zum erſten und letzten Male!“ Sie ſah mich wie erſchreckt
an; dann aber ſtand ſie auf und ſank mir in die Arme. — Ach,
welche Wonne war es, mit ihr in dem beginnenden Wirbel
hinzutreiben, der uns immer raſcher, immer ſtürmiſcher mit
ſich fortriß! Wie ein Kind lag ſie an meiner Bruſt: weich,
hingebend, die Lippen leicht geöffnet, die Augen halb durch die
geſenkten Wimpern verſchleiert. Ihr Herz pochte neben meinem;
die Roſen in ihrem Haar umdufteten mein Antlitz. Und es
war mir, als müſſe es ewig ſo dauern — ewig! Aber die
Muſik verſtummte. Ich reichte dem ſüßen Weibe den Arm.
Sie nahm ihn und lehnte ſich innig an mich. „Marianne!“
rief ich leiſe und bebend. Sie verſtand mich; denn ſie ſchwieg
und blickte zu Boden. Inzwiſchen hatten mehrere Ungenüg¬
ſame mit lautem Rufen und Händeklatſchen eine Wiederholung
des Galopps verlangt und das Orcheſter fiel von neuem ein.
„Noch einmal!“ flüſterte ich und umfaßte ſie. Und als wir
uns jetzt bei den raſenden Klängen zum zweiten Mal in den
Armen lagen, da brach in mir die lang niedergehaltene Leiden¬
ſchaft gleich einer entfeſſelten Naturgewalt hervor. Ich zog
Marianne an mich; ich beugte mein Haupt zu ihr nieder;
mein Mund ſtreifte ihre Haare, ihre Stirn. Sie ließ es ge¬
ſchehen und ſah mich lächelnd an. Und feſter und feſter um¬
ſchlangen wir uns; unſere Wangen, unſere Lippen berührten
ſich; unſer Odem floß in einen Hauch zuſammen. So flogen
wir hin, in ſeliger Trunkenheit, weltentrückt, zwiſchen Himmel
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/137>, abgerufen am 24.11.2024.
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