Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

"Laßt sie holen!" rief Georg flammend. "Dann wird
sich zeigen, wer im Recht ist! Dann wird sich zeigen, warum
Ihr die Tertschka eingeschlossen habt! Dann wird zu Tage
kommen, wie Ihr sie von klein auf mißhandelt, wie Ihr der
Armen schändlich nachgestellt und ihr den sauer verdienten
Taglohn und das Erbtheil der Mutter, deren Tod Euch auf
dem Gewissen brennt, vorenthalten habt! Dann wird zu Tage
kommen, wie Ihr hier oben mit den Schwachen und Wehr¬
losen umgeht und wie Ihr Euch mästet mit dem Schweiß und
Blut der Arbeiter, die man Euch anvertraut!" -- Georg hielt
unwillkürlich inne. Die Wucht und die Wahrheit dieser An¬
klagen hatten bei dem Aufseher das Maaß zu Rande und ihn
selbst um alle Besinnung gebracht. Sein Antlitz war bläulich
fahl geworden; aufbrüllend wie ein verwundeter Stier, schäu¬
menden Mundes, die Augen weit vorgequollen -- so stürzte
er sich mit hochgeschwungenem Messer auf Georg. Dieser
aber hatte den Hammer erfaßt und schwang ihn gegen den
Angreifer. Ein dumpfer Schlag erdröhnte; der Aufseher, vor
die Brust getroffen, wankte -- und taumelte, während sich
ein Schwall dunklen Blutes aus seinem Munde ergoß, röchelnd
zu Boden.

Einen Augenblick herrschte lautlose Stille; stummes, ödes
Grausen hatte die Anwesenden ergriffen, Georg aber stand
da, wie David an der Leiche Goliaths. "Resi! Resi!" rief
er jetzt, indem er mit raschen Schlägen das Thürschloß auf¬

„Laßt ſie holen!“ rief Georg flammend. „Dann wird
ſich zeigen, wer im Recht iſt! Dann wird ſich zeigen, warum
Ihr die Tertſchka eingeſchloſſen habt! Dann wird zu Tage
kommen, wie Ihr ſie von klein auf mißhandelt, wie Ihr der
Armen ſchändlich nachgeſtellt und ihr den ſauer verdienten
Taglohn und das Erbtheil der Mutter, deren Tod Euch auf
dem Gewiſſen brennt, vorenthalten habt! Dann wird zu Tage
kommen, wie Ihr hier oben mit den Schwachen und Wehr¬
loſen umgeht und wie Ihr Euch mäſtet mit dem Schweiß und
Blut der Arbeiter, die man Euch anvertraut!“ — Georg hielt
unwillkürlich inne. Die Wucht und die Wahrheit dieſer An¬
klagen hatten bei dem Aufſeher das Maaß zu Rande und ihn
ſelbſt um alle Beſinnung gebracht. Sein Antlitz war bläulich
fahl geworden; aufbrüllend wie ein verwundeter Stier, ſchäu¬
menden Mundes, die Augen weit vorgequollen — ſo ſtürzte
er ſich mit hochgeſchwungenem Meſſer auf Georg. Dieſer
aber hatte den Hammer erfaßt und ſchwang ihn gegen den
Angreifer. Ein dumpfer Schlag erdröhnte; der Aufſeher, vor
die Bruſt getroffen, wankte — und taumelte, während ſich
ein Schwall dunklen Blutes aus ſeinem Munde ergoß, röchelnd
zu Boden.

Einen Augenblick herrſchte lautloſe Stille; ſtummes, ödes
Grauſen hatte die Anweſenden ergriffen, Georg aber ſtand
da, wie David an der Leiche Goliaths. „Reſi! Reſi!“ rief
er jetzt, indem er mit raſchen Schlägen das Thürſchloß auf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0188" n="172"/>
        <p>&#x201E;Laßt &#x017F;ie holen!&#x201C; rief Georg flammend. &#x201E;Dann wird<lb/>
&#x017F;ich zeigen, wer im Recht i&#x017F;t! Dann wird &#x017F;ich zeigen, warum<lb/>
Ihr die Tert&#x017F;chka einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en habt! Dann wird zu Tage<lb/>
kommen, wie Ihr &#x017F;ie von klein auf mißhandelt, wie Ihr der<lb/>
Armen &#x017F;chändlich nachge&#x017F;tellt und ihr den &#x017F;auer verdienten<lb/>
Taglohn und das Erbtheil der Mutter, deren Tod Euch auf<lb/>
dem Gewi&#x017F;&#x017F;en brennt, vorenthalten habt! Dann wird zu Tage<lb/>
kommen, wie Ihr hier oben mit den Schwachen und Wehr¬<lb/>
lo&#x017F;en umgeht und wie Ihr Euch mä&#x017F;tet mit dem Schweiß und<lb/>
Blut der Arbeiter, die man Euch anvertraut!&#x201C; &#x2014; Georg hielt<lb/>
unwillkürlich inne. Die Wucht und die Wahrheit die&#x017F;er An¬<lb/>
klagen hatten bei dem Auf&#x017F;eher das Maaß zu Rande und ihn<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t um alle Be&#x017F;innung gebracht. Sein Antlitz war bläulich<lb/>
fahl geworden; aufbrüllend wie ein verwundeter Stier, &#x017F;chäu¬<lb/>
menden Mundes, die Augen weit vorgequollen &#x2014; &#x017F;o &#x017F;türzte<lb/>
er &#x017F;ich mit hochge&#x017F;chwungenem Me&#x017F;&#x017F;er auf Georg. Die&#x017F;er<lb/>
aber hatte den Hammer erfaßt und &#x017F;chwang ihn gegen den<lb/>
Angreifer. Ein dumpfer Schlag erdröhnte; der Auf&#x017F;eher, vor<lb/>
die Bru&#x017F;t getroffen, wankte &#x2014; und taumelte, während &#x017F;ich<lb/>
ein Schwall dunklen Blutes aus &#x017F;einem Munde ergoß, röchelnd<lb/>
zu Boden.</p><lb/>
        <p>Einen Augenblick herr&#x017F;chte lautlo&#x017F;e Stille; &#x017F;tummes, ödes<lb/>
Grau&#x017F;en hatte die Anwe&#x017F;enden ergriffen, Georg aber &#x017F;tand<lb/>
da, wie David an der Leiche Goliaths. &#x201E;Re&#x017F;i! Re&#x017F;i!&#x201C; rief<lb/>
er jetzt, indem er mit ra&#x017F;chen Schlägen das Thür&#x017F;chloß auf¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0188] „Laßt ſie holen!“ rief Georg flammend. „Dann wird ſich zeigen, wer im Recht iſt! Dann wird ſich zeigen, warum Ihr die Tertſchka eingeſchloſſen habt! Dann wird zu Tage kommen, wie Ihr ſie von klein auf mißhandelt, wie Ihr der Armen ſchändlich nachgeſtellt und ihr den ſauer verdienten Taglohn und das Erbtheil der Mutter, deren Tod Euch auf dem Gewiſſen brennt, vorenthalten habt! Dann wird zu Tage kommen, wie Ihr hier oben mit den Schwachen und Wehr¬ loſen umgeht und wie Ihr Euch mäſtet mit dem Schweiß und Blut der Arbeiter, die man Euch anvertraut!“ — Georg hielt unwillkürlich inne. Die Wucht und die Wahrheit dieſer An¬ klagen hatten bei dem Aufſeher das Maaß zu Rande und ihn ſelbſt um alle Beſinnung gebracht. Sein Antlitz war bläulich fahl geworden; aufbrüllend wie ein verwundeter Stier, ſchäu¬ menden Mundes, die Augen weit vorgequollen — ſo ſtürzte er ſich mit hochgeſchwungenem Meſſer auf Georg. Dieſer aber hatte den Hammer erfaßt und ſchwang ihn gegen den Angreifer. Ein dumpfer Schlag erdröhnte; der Aufſeher, vor die Bruſt getroffen, wankte — und taumelte, während ſich ein Schwall dunklen Blutes aus ſeinem Munde ergoß, röchelnd zu Boden. Einen Augenblick herrſchte lautloſe Stille; ſtummes, ödes Grauſen hatte die Anweſenden ergriffen, Georg aber ſtand da, wie David an der Leiche Goliaths. „Reſi! Reſi!“ rief er jetzt, indem er mit raſchen Schlägen das Thürſchloß auf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/188
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/188>, abgerufen am 24.11.2024.