Dort, wo die schwärzlichen Schienen längs der rauschen¬ den Mur, an grünen Wiesen und anmuthigen Auen vorüber, sich hinziehen; im Umkreise des Schlosses Ehrenhausen, das von einem bewaldeten Hügel freundlich auf den Ort gleichen Namens hinab schaut: steht ein einsames Bahnwächterhaus. Ein winziges Stückchen Feld, mit Mais und Gemüse bepflanzt, liegt dahinter, und vor der Thüre, umfriedet von einer dichten Bohnenhecke, blühen röthliche Malven und großhäuptige Son¬ nenblumen. In diesem Häuschen, das den Vorüberfahrenden gar still und friedlich anmuthet, leben, wie sie es einst kaum zu hoffen gewagt, Georg und Tertschka seit mehr als fünfzehn Jahren als Mann und Frau, und es braucht wohl nicht eigens bemerkt zu werden, daß ihnen der gute Oberst zu dem kleinen Anwesen verholfen hatte. Man merkt kaum, daß sie älter geworden, und sie verrichten gemeinsam den Dienst, der ihnen bei Tag und Nacht schwere Verantwortlichkeit auf¬ erlegt. Aber sie finden dennoch nebenher Zeit und Gelegen¬ heit, ihr Streifchen Feld zu bebauen, eine Ziege sammt einigen gackernden Hühnern zu halten -- und zwei flachshaarige Kin¬ der aufzuziehen, die sich als willkommene Spätlinge eingestellt haben und ganz munter hinter dem Bohnenzaune heranwachsen. Auch trauliche Abendstunden sind ihnen vergönnt, wo sie Hand in Hand vor der Thüre sitzen, der untergehenden Sonne nach¬ schauen und noch immer den Tag preisen, an welchem sie sich zum ersten Male auf der Höhe des Semmerings begegnet.
Dort, wo die ſchwärzlichen Schienen längs der rauſchen¬ den Mur, an grünen Wieſen und anmuthigen Auen vorüber, ſich hinziehen; im Umkreiſe des Schloſſes Ehrenhauſen, das von einem bewaldeten Hügel freundlich auf den Ort gleichen Namens hinab ſchaut: ſteht ein einſames Bahnwächterhaus. Ein winziges Stückchen Feld, mit Mais und Gemüſe bepflanzt, liegt dahinter, und vor der Thüre, umfriedet von einer dichten Bohnenhecke, blühen röthliche Malven und großhäuptige Son¬ nenblumen. In dieſem Häuschen, das den Vorüberfahrenden gar ſtill und friedlich anmuthet, leben, wie ſie es einſt kaum zu hoffen gewagt, Georg und Tertſchka ſeit mehr als fünfzehn Jahren als Mann und Frau, und es braucht wohl nicht eigens bemerkt zu werden, daß ihnen der gute Oberſt zu dem kleinen Anweſen verholfen hatte. Man merkt kaum, daß ſie älter geworden, und ſie verrichten gemeinſam den Dienſt, der ihnen bei Tag und Nacht ſchwere Verantwortlichkeit auf¬ erlegt. Aber ſie finden dennoch nebenher Zeit und Gelegen¬ heit, ihr Streifchen Feld zu bebauen, eine Ziege ſammt einigen gackernden Hühnern zu halten — und zwei flachshaarige Kin¬ der aufzuziehen, die ſich als willkommene Spätlinge eingeſtellt haben und ganz munter hinter dem Bohnenzaune heranwachſen. Auch trauliche Abendſtunden ſind ihnen vergönnt, wo ſie Hand in Hand vor der Thüre ſitzen, der untergehenden Sonne nach¬ ſchauen und noch immer den Tag preiſen, an welchem ſie ſich zum erſten Male auf der Höhe des Semmerings begegnet.
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Dort, wo die ſchwärzlichen Schienen längs der rauſchen¬
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ſich hinziehen; im Umkreiſe des Schloſſes Ehrenhauſen, das
von einem bewaldeten Hügel freundlich auf den Ort gleichen
Namens hinab ſchaut: ſteht ein einſames Bahnwächterhaus.
Ein winziges Stückchen Feld, mit Mais und Gemüſe bepflanzt,
liegt dahinter, und vor der Thüre, umfriedet von einer dichten
Bohnenhecke, blühen röthliche Malven und großhäuptige Son¬
nenblumen. In dieſem Häuschen, das den Vorüberfahrenden
gar ſtill und friedlich anmuthet, leben, wie ſie es einſt kaum
zu hoffen gewagt, Georg und Tertſchka ſeit mehr als fünfzehn
Jahren als Mann und Frau, und es braucht wohl nicht
eigens bemerkt zu werden, daß ihnen der gute Oberſt zu dem
kleinen Anweſen verholfen hatte. Man merkt kaum, daß ſie
älter geworden, und ſie verrichten gemeinſam den Dienſt,
der ihnen bei Tag und Nacht ſchwere Verantwortlichkeit auf¬
erlegt. Aber ſie finden dennoch nebenher Zeit und Gelegen¬
heit, ihr Streifchen Feld zu bebauen, eine Ziege ſammt einigen
gackernden Hühnern zu halten — und zwei flachshaarige Kin¬
der aufzuziehen, die ſich als willkommene Spätlinge eingeſtellt
haben und ganz munter hinter dem Bohnenzaune heranwachſen.
Auch trauliche Abendſtunden ſind ihnen vergönnt, wo ſie Hand
in Hand vor der Thüre ſitzen, der untergehenden Sonne nach¬
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/198>, abgerufen am 23.11.2024.
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