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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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waren, rettete Alexis, der nun wieder in's tiefste Elend zurück¬
sank, vor gerichtlicher Verfolgung. In der Aufregung dieser
Tage -- Mimi war inzwischen mit einem Attache der fran¬
zösischen Gesandtschaft nach Paris gereist -- zog sich der Un¬
glückliche eine rasche Krankheit zu, die ihn auf's Todtenbett
warf. Ludovica hat ihn in ihrer ärmlichen Stube gepflegt
und mit dem Erlöse ihrer letzten Habseligteiten begraben lassen.
Er ist in ihren Armen gestorben. --


Es war wieder ganz still im Gemache; mir von der
Straße herauf klang das dumpfe Rollen eines verspäteten
Wagens.

"Die Geschichte ist noch nicht zu Ende", sagte ich.

"Nein; aber was jetzt folgt, ist nur ein kurzes Nachspiel
oder vielmehr ein häßliches Seitenstück zu dem, was Sie bis
jetzt gehört haben. Es müßte unbegreiflich erscheinen, wenn
nicht gerade das Unbegreifliche die Natur des Weibes wäre.
Und dennoch werden Sie darin das unerbittlich und gleich¬
mäßig waltende Geschick erkennen, welches Ludovica dem Ab¬
grunde zutrieb. --

Drei Jahre waren vergangen und ich hatte sie nicht
wieder gesehen. Da begegnete ich ihr eines Tages auf der
Straße, wie sie am Arme eines Mannes einherschritt. Es

waren, rettete Alexis, der nun wieder in's tiefſte Elend zurück¬
ſank, vor gerichtlicher Verfolgung. In der Aufregung dieſer
Tage — Mimi war inzwiſchen mit einem Attaché der fran¬
zöſiſchen Geſandtſchaft nach Paris gereiſt — zog ſich der Un¬
glückliche eine raſche Krankheit zu, die ihn auf's Todtenbett
warf. Ludovica hat ihn in ihrer ärmlichen Stube gepflegt
und mit dem Erlöſe ihrer letzten Habſeligteiten begraben laſſen.
Er iſt in ihren Armen geſtorben. —


Es war wieder ganz ſtill im Gemache; mir von der
Straße herauf klang das dumpfe Rollen eines verſpäteten
Wagens.

„Die Geſchichte iſt noch nicht zu Ende“, ſagte ich.

„Nein; aber was jetzt folgt, iſt nur ein kurzes Nachſpiel
oder vielmehr ein häßliches Seitenſtück zu dem, was Sie bis
jetzt gehört haben. Es müßte unbegreiflich erſcheinen, wenn
nicht gerade das Unbegreifliche die Natur des Weibes wäre.
Und dennoch werden Sie darin das unerbittlich und gleich¬
mäßig waltende Geſchick erkennen, welches Ludovica dem Ab¬
grunde zutrieb. —

Drei Jahre waren vergangen und ich hatte ſie nicht
wieder geſehen. Da begegnete ich ihr eines Tages auf der
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[239/0255] waren, rettete Alexis, der nun wieder in's tiefſte Elend zurück¬ ſank, vor gerichtlicher Verfolgung. In der Aufregung dieſer Tage — Mimi war inzwiſchen mit einem Attaché der fran¬ zöſiſchen Geſandtſchaft nach Paris gereiſt — zog ſich der Un¬ glückliche eine raſche Krankheit zu, die ihn auf's Todtenbett warf. Ludovica hat ihn in ihrer ärmlichen Stube gepflegt und mit dem Erlöſe ihrer letzten Habſeligteiten begraben laſſen. Er iſt in ihren Armen geſtorben. — Es war wieder ganz ſtill im Gemache; mir von der Straße herauf klang das dumpfe Rollen eines verſpäteten Wagens. „Die Geſchichte iſt noch nicht zu Ende“, ſagte ich. „Nein; aber was jetzt folgt, iſt nur ein kurzes Nachſpiel oder vielmehr ein häßliches Seitenſtück zu dem, was Sie bis jetzt gehört haben. Es müßte unbegreiflich erſcheinen, wenn nicht gerade das Unbegreifliche die Natur des Weibes wäre. Und dennoch werden Sie darin das unerbittlich und gleich¬ mäßig waltende Geſchick erkennen, welches Ludovica dem Ab¬ grunde zutrieb. — Drei Jahre waren vergangen und ich hatte ſie nicht wieder geſehen. Da begegnete ich ihr eines Tages auf der Straße, wie ſie am Arme eines Mannes einherſchritt. Es

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/255>, abgerufen am 23.11.2024.