Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

war wohl nur gegenseitige Fassungslosigkeit, daß wir mit
einem Gruße vor einander stehen blieben. Wir stammelten
einige Worte, die freudig klingen sollten; endlich wies sie auf
ihren Begleiter und sagte: "Mein Mann, Baron --" sie
nannte einen Namen, der nichts zur Sache thut. Ich warf,
während er sich nachlässig verbeugte, einen Blick auf ihn.
Er war nicht mehr jung, von hohem Wuchse und wohlbeleibt.
Sein Antlitz mußte einst schön gewesen sein, jetzt aber zeigte
es sich aufgedunsen und der Ausdruck niedriger Leidenschaften
lag darin. Sein Anzug war eine Mischung von Sorgfalt
und Verlotterung; auch Ludovica sah in ihrem Aeußern ziem¬
lich herabgekommen aus. Ich schützte Eile vor und empfahl
mich. "Freut mich sehr, einen alten Freund meiner Frau
kennen gelernt zu haben", sagte der Baron in einem singenden
mitteldeutschen Dialekte; "machen Sie uns einmal das Ver¬
gnügen -- wir wohnen --" Das Weitere vernahm ich nicht
mehr. Ich konnte mich nicht enthalten, in einiger Entfernung
stehen zu bleiben und dem Paare nachzublicken. Ein eigen¬
thümliches Gefühl überkam mich, als ich das Weib, das ich
zwar nicht geliebt hatte, welches ich aber, wie ich noch jetzt
fühlte, unsäglich hätte lieben können, mit diesem Manne vereint,
dahin gehen sah. --

Nach Verlauf einiger Wochen trat ich Abends in ein
Kaffeehaus, um die Zeitungen zu durchblättern. Da gewahrte
ich den Baron, der in einer Fensternische saß und mich offenbar

war wohl nur gegenſeitige Faſſungsloſigkeit, daß wir mit
einem Gruße vor einander ſtehen blieben. Wir ſtammelten
einige Worte, die freudig klingen ſollten; endlich wies ſie auf
ihren Begleiter und ſagte: „Mein Mann, Baron —“ ſie
nannte einen Namen, der nichts zur Sache thut. Ich warf,
während er ſich nachläſſig verbeugte, einen Blick auf ihn.
Er war nicht mehr jung, von hohem Wuchſe und wohlbeleibt.
Sein Antlitz mußte einſt ſchön geweſen ſein, jetzt aber zeigte
es ſich aufgedunſen und der Ausdruck niedriger Leidenſchaften
lag darin. Sein Anzug war eine Miſchung von Sorgfalt
und Verlotterung; auch Ludovica ſah in ihrem Aeußern ziem¬
lich herabgekommen aus. Ich ſchützte Eile vor und empfahl
mich. „Freut mich ſehr, einen alten Freund meiner Frau
kennen gelernt zu haben“, ſagte der Baron in einem ſingenden
mitteldeutſchen Dialekte; „machen Sie uns einmal das Ver¬
gnügen — wir wohnen —“ Das Weitere vernahm ich nicht
mehr. Ich konnte mich nicht enthalten, in einiger Entfernung
ſtehen zu bleiben und dem Paare nachzublicken. Ein eigen¬
thümliches Gefühl überkam mich, als ich das Weib, das ich
zwar nicht geliebt hatte, welches ich aber, wie ich noch jetzt
fühlte, unſäglich hätte lieben können, mit dieſem Manne vereint,
dahin gehen ſah. —

Nach Verlauf einiger Wochen trat ich Abends in ein
Kaffeehaus, um die Zeitungen zu durchblättern. Da gewahrte
ich den Baron, der in einer Fenſterniſche ſaß und mich offenbar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0256" n="240"/>
war wohl nur gegen&#x017F;eitige Fa&#x017F;&#x017F;ungslo&#x017F;igkeit, daß wir mit<lb/>
einem Gruße vor einander &#x017F;tehen blieben. Wir &#x017F;tammelten<lb/>
einige Worte, die freudig klingen &#x017F;ollten; endlich wies &#x017F;ie auf<lb/>
ihren Begleiter und &#x017F;agte: &#x201E;Mein Mann, Baron &#x2014;&#x201C; &#x017F;ie<lb/>
nannte einen Namen, der nichts zur Sache thut. Ich warf,<lb/>
während er &#x017F;ich nachlä&#x017F;&#x017F;ig verbeugte, einen Blick auf ihn.<lb/>
Er war nicht mehr jung, von hohem Wuch&#x017F;e und wohlbeleibt.<lb/>
Sein Antlitz mußte ein&#x017F;t &#x017F;chön gewe&#x017F;en &#x017F;ein, jetzt aber zeigte<lb/>
es &#x017F;ich aufgedun&#x017F;en und der Ausdruck niedriger Leiden&#x017F;chaften<lb/>
lag darin. Sein Anzug war eine Mi&#x017F;chung von Sorgfalt<lb/>
und Verlotterung; auch Ludovica &#x017F;ah in ihrem Aeußern ziem¬<lb/>
lich herabgekommen aus. Ich &#x017F;chützte Eile vor und empfahl<lb/>
mich. &#x201E;Freut mich &#x017F;ehr, einen alten Freund meiner Frau<lb/>
kennen gelernt zu haben&#x201C;, &#x017F;agte der Baron in einem &#x017F;ingenden<lb/>
mitteldeut&#x017F;chen Dialekte; &#x201E;machen Sie uns einmal das Ver¬<lb/>
gnügen &#x2014; wir wohnen &#x2014;&#x201C; Das Weitere vernahm ich nicht<lb/>
mehr. Ich konnte mich nicht enthalten, in einiger Entfernung<lb/>
&#x017F;tehen zu bleiben und dem Paare nachzublicken. Ein eigen¬<lb/>
thümliches Gefühl überkam mich, als ich das Weib, das ich<lb/>
zwar nicht geliebt hatte, welches ich aber, wie ich noch jetzt<lb/>
fühlte, un&#x017F;äglich hätte lieben können, mit die&#x017F;em Manne vereint,<lb/>
dahin gehen &#x017F;ah. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Nach Verlauf einiger Wochen trat ich Abends in ein<lb/>
Kaffeehaus, um die Zeitungen zu durchblättern. Da gewahrte<lb/>
ich den Baron, der in einer Fen&#x017F;terni&#x017F;che &#x017F;aß und mich offenbar<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0256] war wohl nur gegenſeitige Faſſungsloſigkeit, daß wir mit einem Gruße vor einander ſtehen blieben. Wir ſtammelten einige Worte, die freudig klingen ſollten; endlich wies ſie auf ihren Begleiter und ſagte: „Mein Mann, Baron —“ ſie nannte einen Namen, der nichts zur Sache thut. Ich warf, während er ſich nachläſſig verbeugte, einen Blick auf ihn. Er war nicht mehr jung, von hohem Wuchſe und wohlbeleibt. Sein Antlitz mußte einſt ſchön geweſen ſein, jetzt aber zeigte es ſich aufgedunſen und der Ausdruck niedriger Leidenſchaften lag darin. Sein Anzug war eine Miſchung von Sorgfalt und Verlotterung; auch Ludovica ſah in ihrem Aeußern ziem¬ lich herabgekommen aus. Ich ſchützte Eile vor und empfahl mich. „Freut mich ſehr, einen alten Freund meiner Frau kennen gelernt zu haben“, ſagte der Baron in einem ſingenden mitteldeutſchen Dialekte; „machen Sie uns einmal das Ver¬ gnügen — wir wohnen —“ Das Weitere vernahm ich nicht mehr. Ich konnte mich nicht enthalten, in einiger Entfernung ſtehen zu bleiben und dem Paare nachzublicken. Ein eigen¬ thümliches Gefühl überkam mich, als ich das Weib, das ich zwar nicht geliebt hatte, welches ich aber, wie ich noch jetzt fühlte, unſäglich hätte lieben können, mit dieſem Manne vereint, dahin gehen ſah. — Nach Verlauf einiger Wochen trat ich Abends in ein Kaffeehaus, um die Zeitungen zu durchblättern. Da gewahrte ich den Baron, der in einer Fenſterniſche ſaß und mich offenbar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/256
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/256>, abgerufen am 17.07.2024.