Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.nicht wieder erkannte. Er hatte ein geleertes Liqueurglas vor Ich habe Ludovica erst heute wieder gesehen. Ich ahnte Saar, Novellen aus Oesterreich. 16
nicht wieder erkannte. Er hatte ein geleertes Liqueurglas vor Ich habe Ludovica erſt heute wieder geſehen. Ich ahnte Saar, Novellen aus Oeſterreich. 16
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0257" n="241"/> nicht wieder erkannte. Er hatte ein geleertes Liqueurglas vor<lb/> ſich ſtehen und blickte von Zeit zu Zeit, wie Jemanden er¬<lb/> wartend, durch die Scheiben auf die Straße. Endlich zeigten<lb/> ſich vor dem Fenſter die Umriſſe einer weiblichen Geſtalt.<lb/> Der Baron erhob ſich raſch, warf kleine Münze auf die Un¬<lb/> tertaſſe und eilte hinaus. Es trieb mich, ihm zu folgen und<lb/> ich konnte noch gewahren, wie ihm Ludovica — denn ſie war<lb/> es — Etwas überreichte, womit er nicht zufrieden zu ſein ſchien.<lb/> Er geſticulirte heftig und ſeine Stimme klang laut und drohend.<lb/> Endlich mußte ſie ihn beſchwichtigt haben, denn er gab ihr den<lb/> Arm. Zuletzt bogen ſie in eine Seitengaſſe ein, wo ich ſie<lb/> aus den Augen verlor. —</p><lb/> <p>Ich habe Ludovica erſt heute wieder geſehen. Ich ahnte<lb/> ſogleich, wie Alles gekommen ſei; denn ſeit jenem Abend hegte<lb/> ich die traurigſten Vorſtellungen. Aber ich wollte Gewißheit<lb/> und fuhr mit Ihnen nach dem Laden des Kaufmanns Berger.<lb/> Dort wurde mir Alles beſtätigt. Sie hatte, weiß Gott, wie<lb/> und wo, den Baron kennen gelernt, der ſich unter dem Vor¬<lb/> wande, einen Erbſchaftsprozeß durchzuführen, hier herumtrieb.<lb/> Er drang in Ludovica, ihn zu heirathen — und ſie that es,<lb/> wie ich überzeugt bin, nicht aus Neigung — ſondern nur von<lb/> jenem beklagenswerthen Drang beſtimmt, der endlich faſt jedes<lb/> Weib überkommt, wohl oder übel einem Manne dauernd an¬<lb/> zugehören. Sie unterhielt einſtweilen ſich — und ihn durch<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Saar</hi>, Novellen aus Oeſterreich. 16<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [241/0257]
nicht wieder erkannte. Er hatte ein geleertes Liqueurglas vor
ſich ſtehen und blickte von Zeit zu Zeit, wie Jemanden er¬
wartend, durch die Scheiben auf die Straße. Endlich zeigten
ſich vor dem Fenſter die Umriſſe einer weiblichen Geſtalt.
Der Baron erhob ſich raſch, warf kleine Münze auf die Un¬
tertaſſe und eilte hinaus. Es trieb mich, ihm zu folgen und
ich konnte noch gewahren, wie ihm Ludovica — denn ſie war
es — Etwas überreichte, womit er nicht zufrieden zu ſein ſchien.
Er geſticulirte heftig und ſeine Stimme klang laut und drohend.
Endlich mußte ſie ihn beſchwichtigt haben, denn er gab ihr den
Arm. Zuletzt bogen ſie in eine Seitengaſſe ein, wo ich ſie
aus den Augen verlor. —
Ich habe Ludovica erſt heute wieder geſehen. Ich ahnte
ſogleich, wie Alles gekommen ſei; denn ſeit jenem Abend hegte
ich die traurigſten Vorſtellungen. Aber ich wollte Gewißheit
und fuhr mit Ihnen nach dem Laden des Kaufmanns Berger.
Dort wurde mir Alles beſtätigt. Sie hatte, weiß Gott, wie
und wo, den Baron kennen gelernt, der ſich unter dem Vor¬
wande, einen Erbſchaftsprozeß durchzuführen, hier herumtrieb.
Er drang in Ludovica, ihn zu heirathen — und ſie that es,
wie ich überzeugt bin, nicht aus Neigung — ſondern nur von
jenem beklagenswerthen Drang beſtimmt, der endlich faſt jedes
Weib überkommt, wohl oder übel einem Manne dauernd an¬
zugehören. Sie unterhielt einſtweilen ſich — und ihn durch
Saar, Novellen aus Oeſterreich. 16
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