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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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mutterartig schimmernden Hand den Fächer gegen den wogenden
Schnee ihrer Brust bewegte: da fühlte ich, welch' verführerische,
bezwingende Macht in dem Wesen dieser Frau lag, die über
die eigentliche Jugend längst hinaus war und, wie ich bemer¬
ken konnte, schon zu allerlei kleinen Verschönerungskünsten
griff. Im Vergleich mit ihrer von farbigster Lebensfülle ge¬
sättigten und durchleuchteten Erscheinung, wie sie nur Rubens
und Murillo vereint hätten darstellen können, erschien die
aufgeschossene, schmalschulterige Raphaela mit ihrem herben
eintönigen Antlitz wie eine Gestalt von Lukas Cranach.

Diese aber war inzwischen an ihren Vetter herangetreten
und stand jetzt mit ihm in leiser Unterredung begriffen, wobei
sich jedoch der junge Mann sehr zerstreut und innerlich ab¬
wesend zeigte. Endlich überreichte sie ihm mit einem vollen,
innigen Blick die Rose, die sie im Parke gepflückt und später
im Gürtel getragen hatte. Er nahm die weiße Blüthe gleich¬
giltig in Empfang, beroch sie flüchtig und befestigte sie dann
an der Brustseite seines Rockes.

Ein Kammerdiener trat leisen Schrittes ein und meldete,
daß das Diner servirt sei. Ich bot der Freifrau den Arm;
Rödern führte Raphaela und wir gingen zu Tische, wo auch
eine französische Gouvernante mit blutlosen Zügen und gesenk¬
ten Augen erschien. Das Mahl ging rasch von statten. Rö¬
dern war sehr heiter und gesprächig, fast ausgelassen. Er
neigte sich oft und vertraulich zur Freifrau, scherzte in unge¬

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mutterartig ſchimmernden Hand den Fächer gegen den wogenden
Schnee ihrer Bruſt bewegte: da fühlte ich, welch' verführeriſche,
bezwingende Macht in dem Weſen dieſer Frau lag, die über
die eigentliche Jugend längſt hinaus war und, wie ich bemer¬
ken konnte, ſchon zu allerlei kleinen Verſchönerungskünſten
griff. Im Vergleich mit ihrer von farbigſter Lebensfülle ge¬
ſättigten und durchleuchteten Erſcheinung, wie ſie nur Rubens
und Murillo vereint hätten darſtellen können, erſchien die
aufgeſchoſſene, ſchmalſchulterige Raphaela mit ihrem herben
eintönigen Antlitz wie eine Geſtalt von Lukas Cranach.

Dieſe aber war inzwiſchen an ihren Vetter herangetreten
und ſtand jetzt mit ihm in leiſer Unterredung begriffen, wobei
ſich jedoch der junge Mann ſehr zerſtreut und innerlich ab¬
weſend zeigte. Endlich überreichte ſie ihm mit einem vollen,
innigen Blick die Roſe, die ſie im Parke gepflückt und ſpäter
im Gürtel getragen hatte. Er nahm die weiße Blüthe gleich¬
giltig in Empfang, beroch ſie flüchtig und befeſtigte ſie dann
an der Bruſtſeite ſeines Rockes.

Ein Kammerdiener trat leiſen Schrittes ein und meldete,
daß das Diner ſervirt ſei. Ich bot der Freifrau den Arm;
Rödern führte Raphaela und wir gingen zu Tiſche, wo auch
eine franzöſiſche Gouvernante mit blutloſen Zügen und geſenk¬
ten Augen erſchien. Das Mahl ging raſch von ſtatten. Rö¬
dern war ſehr heiter und geſprächig, faſt ausgelaſſen. Er
neigte ſich oft und vertraulich zur Freifrau, ſcherzte in unge¬

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[259/0275] mutterartig ſchimmernden Hand den Fächer gegen den wogenden Schnee ihrer Bruſt bewegte: da fühlte ich, welch' verführeriſche, bezwingende Macht in dem Weſen dieſer Frau lag, die über die eigentliche Jugend längſt hinaus war und, wie ich bemer¬ ken konnte, ſchon zu allerlei kleinen Verſchönerungskünſten griff. Im Vergleich mit ihrer von farbigſter Lebensfülle ge¬ ſättigten und durchleuchteten Erſcheinung, wie ſie nur Rubens und Murillo vereint hätten darſtellen können, erſchien die aufgeſchoſſene, ſchmalſchulterige Raphaela mit ihrem herben eintönigen Antlitz wie eine Geſtalt von Lukas Cranach. Dieſe aber war inzwiſchen an ihren Vetter herangetreten und ſtand jetzt mit ihm in leiſer Unterredung begriffen, wobei ſich jedoch der junge Mann ſehr zerſtreut und innerlich ab¬ weſend zeigte. Endlich überreichte ſie ihm mit einem vollen, innigen Blick die Roſe, die ſie im Parke gepflückt und ſpäter im Gürtel getragen hatte. Er nahm die weiße Blüthe gleich¬ giltig in Empfang, beroch ſie flüchtig und befeſtigte ſie dann an der Bruſtſeite ſeines Rockes. Ein Kammerdiener trat leiſen Schrittes ein und meldete, daß das Diner ſervirt ſei. Ich bot der Freifrau den Arm; Rödern führte Raphaela und wir gingen zu Tiſche, wo auch eine franzöſiſche Gouvernante mit blutloſen Zügen und geſenk¬ ten Augen erſchien. Das Mahl ging raſch von ſtatten. Rö¬ dern war ſehr heiter und geſprächig, faſt ausgelaſſen. Er neigte ſich oft und vertraulich zur Freifrau, ſcherzte in unge¬ 17*

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/275>, abgerufen am 08.06.2024.