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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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heißt zwar, ihr Vater habe sie von Kind auf dazu erzogen;
aber ich glaub's nicht. Wenn die Weiber in's Kloster gehen,
steckt immer eine unglückliche Herzensgeschichte dahinter. Na,
warten Sie: sobald der Cölibat aufgehoben ist, mach' ich es
wett und halte um ihre Hand an. Vielleicht nimmt sie mich
noch!" Und damit eilte er lachend zur Thüre hinaus. --

Was ich bei den Worten des Doctors empfunden hatte,
läßt sich denken. Aber meine Ueberraschung ging sogleich in
das wohlthuende Gefühl innerster Befriedigung über. Das
war ja der nothwendige Ausgleich, der versöhnende Abschluß
in dem Leben des ernsten blonden Mädchens, das ich einst in
seiner ahnungslosen Hoheit so tief beklagt hatte. Und so war
es auch mehr als bloße Neugierde, wenn mich ein unwider¬
stehliches Verlangen faßte, die Oberin zu sehen. In Folge
dessen trat ich nach einiger Zeit aus dem Zimmer, um Er¬
kundigungen einzuziehen, wann sie die Anstalt verlassen würde;
ich wollte sie unten in dem großen, mit Bäumen bepflanzten
Hofe erwarten, den sie beim Weggehen durchschreiten mußte.
Als ich mich später dorthin begab, traf ich viele Kranke und
Genesende, die sich wohl in gleicher Absicht eingefunden hatten.
Wir mußten lange warten. Endlich kam sie, von einer jün¬
geren Schwester, dem Director der Anstalt und unserem Doc¬
tor begleitet, langsam die Treppe herunter. Ruhig und wür¬
devoll, die ernsten blauen Augen vor sich hin gerichtet, durch¬
schritt sie den Hof, hier und dort mit leisem Senken des

heißt zwar, ihr Vater habe ſie von Kind auf dazu erzogen;
aber ich glaub's nicht. Wenn die Weiber in's Kloſter gehen,
ſteckt immer eine unglückliche Herzensgeſchichte dahinter. Na,
warten Sie: ſobald der Cölibat aufgehoben iſt, mach' ich es
wett und halte um ihre Hand an. Vielleicht nimmt ſie mich
noch!“ Und damit eilte er lachend zur Thüre hinaus. —

Was ich bei den Worten des Doctors empfunden hatte,
läßt ſich denken. Aber meine Ueberraſchung ging ſogleich in
das wohlthuende Gefühl innerſter Befriedigung über. Das
war ja der nothwendige Ausgleich, der verſöhnende Abſchluß
in dem Leben des ernſten blonden Mädchens, das ich einſt in
ſeiner ahnungsloſen Hoheit ſo tief beklagt hatte. Und ſo war
es auch mehr als bloße Neugierde, wenn mich ein unwider¬
ſtehliches Verlangen faßte, die Oberin zu ſehen. In Folge
deſſen trat ich nach einiger Zeit aus dem Zimmer, um Er¬
kundigungen einzuziehen, wann ſie die Anſtalt verlaſſen würde;
ich wollte ſie unten in dem großen, mit Bäumen bepflanzten
Hofe erwarten, den ſie beim Weggehen durchſchreiten mußte.
Als ich mich ſpäter dorthin begab, traf ich viele Kranke und
Geneſende, die ſich wohl in gleicher Abſicht eingefunden hatten.
Wir mußten lange warten. Endlich kam ſie, von einer jün¬
geren Schweſter, dem Director der Anſtalt und unſerem Doc¬
tor begleitet, langſam die Treppe herunter. Ruhig und wür¬
devoll, die ernſten blauen Augen vor ſich hin gerichtet, durch¬
ſchritt ſie den Hof, hier und dort mit leiſem Senken des

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[276/0292] heißt zwar, ihr Vater habe ſie von Kind auf dazu erzogen; aber ich glaub's nicht. Wenn die Weiber in's Kloſter gehen, ſteckt immer eine unglückliche Herzensgeſchichte dahinter. Na, warten Sie: ſobald der Cölibat aufgehoben iſt, mach' ich es wett und halte um ihre Hand an. Vielleicht nimmt ſie mich noch!“ Und damit eilte er lachend zur Thüre hinaus. — Was ich bei den Worten des Doctors empfunden hatte, läßt ſich denken. Aber meine Ueberraſchung ging ſogleich in das wohlthuende Gefühl innerſter Befriedigung über. Das war ja der nothwendige Ausgleich, der verſöhnende Abſchluß in dem Leben des ernſten blonden Mädchens, das ich einſt in ſeiner ahnungsloſen Hoheit ſo tief beklagt hatte. Und ſo war es auch mehr als bloße Neugierde, wenn mich ein unwider¬ ſtehliches Verlangen faßte, die Oberin zu ſehen. In Folge deſſen trat ich nach einiger Zeit aus dem Zimmer, um Er¬ kundigungen einzuziehen, wann ſie die Anſtalt verlaſſen würde; ich wollte ſie unten in dem großen, mit Bäumen bepflanzten Hofe erwarten, den ſie beim Weggehen durchſchreiten mußte. Als ich mich ſpäter dorthin begab, traf ich viele Kranke und Geneſende, die ſich wohl in gleicher Abſicht eingefunden hatten. Wir mußten lange warten. Endlich kam ſie, von einer jün¬ geren Schweſter, dem Director der Anſtalt und unſerem Doc¬ tor begleitet, langſam die Treppe herunter. Ruhig und wür¬ devoll, die ernſten blauen Augen vor ſich hin gerichtet, durch¬ ſchritt ſie den Hof, hier und dort mit leiſem Senken des

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/292>, abgerufen am 23.11.2024.