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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Endlich sagte er: "Der Nachmittag ist schön. Lassen Sie uns
zum letzten Male miteinander einen Gang nach der Stelle
thun, wo wir uns kennen gelernt." So verließen wir das
Haus und begaben uns langsam und nachdenklich auf die
Bastei. Kahl und öde lag noch die Gegend da; aber einige
frühblühende Obstbäume standen schon in ihrem weißen
Schmucke, die Luft roch nach Veilchen und in geheimnißvoller
Triebkraft schien die Erde leise zu beben. Hier und dort stieg
von den braunen Feldern schmetternd eine Lerche empor.

Innocens deutete über die Brustwehr hinaus: "Welch'
ein tiefer Gottesfriede liegt über der Gegend!" sagte er.
"Sehen Sie nur dort das lässig schreitende Zwiegespann vor
dem Pfluge und hintendrein den arbeitsfrohen Landmann!
Und hier unten den schaukelnden Kahn und den Schiffer darin,
der das Ruder weggelegt hat, weil ihn die glatte Fluth schnell
und sicher zum Ziele trägt! Wahrlich, wenn man die Welt
so vor sich sieht im Sonnenschein, und die harmlosen Thier-
und Menschengestalten darauf, man sollte glauben, sie sei ein
Eden, dessen heitere Ruhe niemals durch das wüste Geschrei
kämpfender Schaaren wäre gestört, dessen Fluren niemals mit
argvergossenem Blute wären getränkt worden."

"Und unter solchen Umständen", fuhr ich fort, "muß ich
Italien kennen lernen! Es war seit jeher mein schönster
Traum, dieses Land mit den heiligen Schauern, mit der ge¬
nießenden Freiheit und Ruhe eines fahrenden Schülers be¬

Saar, Novellen aus Oesterreich. 3

Endlich ſagte er: „Der Nachmittag iſt ſchön. Laſſen Sie uns
zum letzten Male miteinander einen Gang nach der Stelle
thun, wo wir uns kennen gelernt.“ So verließen wir das
Haus und begaben uns langſam und nachdenklich auf die
Baſtei. Kahl und öde lag noch die Gegend da; aber einige
frühblühende Obſtbäume ſtanden ſchon in ihrem weißen
Schmucke, die Luft roch nach Veilchen und in geheimnißvoller
Triebkraft ſchien die Erde leiſe zu beben. Hier und dort ſtieg
von den braunen Feldern ſchmetternd eine Lerche empor.

Innocens deutete über die Bruſtwehr hinaus: „Welch'
ein tiefer Gottesfriede liegt über der Gegend!“ ſagte er.
„Sehen Sie nur dort das läſſig ſchreitende Zwiegeſpann vor
dem Pfluge und hintendrein den arbeitsfrohen Landmann!
Und hier unten den ſchaukelnden Kahn und den Schiffer darin,
der das Ruder weggelegt hat, weil ihn die glatte Fluth ſchnell
und ſicher zum Ziele trägt! Wahrlich, wenn man die Welt
ſo vor ſich ſieht im Sonnenſchein, und die harmloſen Thier-
und Menſchengeſtalten darauf, man ſollte glauben, ſie ſei ein
Eden, deſſen heitere Ruhe niemals durch das wüſte Geſchrei
kämpfender Schaaren wäre geſtört, deſſen Fluren niemals mit
argvergoſſenem Blute wären getränkt worden.“

„Und unter ſolchen Umſtänden“, fuhr ich fort, „muß ich
Italien kennen lernen! Es war ſeit jeher mein ſchönſter
Traum, dieſes Land mit den heiligen Schauern, mit der ge¬
nießenden Freiheit und Ruhe eines fahrenden Schülers be¬

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[33/0049] Endlich ſagte er: „Der Nachmittag iſt ſchön. Laſſen Sie uns zum letzten Male miteinander einen Gang nach der Stelle thun, wo wir uns kennen gelernt.“ So verließen wir das Haus und begaben uns langſam und nachdenklich auf die Baſtei. Kahl und öde lag noch die Gegend da; aber einige frühblühende Obſtbäume ſtanden ſchon in ihrem weißen Schmucke, die Luft roch nach Veilchen und in geheimnißvoller Triebkraft ſchien die Erde leiſe zu beben. Hier und dort ſtieg von den braunen Feldern ſchmetternd eine Lerche empor. Innocens deutete über die Bruſtwehr hinaus: „Welch' ein tiefer Gottesfriede liegt über der Gegend!“ ſagte er. „Sehen Sie nur dort das läſſig ſchreitende Zwiegeſpann vor dem Pfluge und hintendrein den arbeitsfrohen Landmann! Und hier unten den ſchaukelnden Kahn und den Schiffer darin, der das Ruder weggelegt hat, weil ihn die glatte Fluth ſchnell und ſicher zum Ziele trägt! Wahrlich, wenn man die Welt ſo vor ſich ſieht im Sonnenſchein, und die harmloſen Thier- und Menſchengeſtalten darauf, man ſollte glauben, ſie ſei ein Eden, deſſen heitere Ruhe niemals durch das wüſte Geſchrei kämpfender Schaaren wäre geſtört, deſſen Fluren niemals mit argvergoſſenem Blute wären getränkt worden.“ „Und unter ſolchen Umſtänden“, fuhr ich fort, „muß ich Italien kennen lernen! Es war ſeit jeher mein ſchönſter Traum, dieſes Land mit den heiligen Schauern, mit der ge¬ nießenden Freiheit und Ruhe eines fahrenden Schülers be¬ Saar, Novellen aus Oeſterreich. 3

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/49>, abgerufen am 29.04.2024.