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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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treten zu können. Und jetzt soll ich als ein rauher Kriegs¬
knecht, bereit zu morden und zu verwüsten, über die Alpen
ziehen!"

"Wie einst unsere Vorfahren unter den Ottonen und
Heinrichen, und unter den Hohenstaufen", erwiederte er. "So
pflanzen sich die Wellenkreise, die der Sturz des römischen
Kolosses hervorgebracht, noch nach einem Jahrtausende fort,
und wir sind eigentlich auf unserem Welttheile noch immer
Barbaren, so sehr wir uns auch mit den Fortschritten unserer
Civilisation brüsten mögen. Aber", setzte er nach einem kurzen
Besinnen hinzu, indem er mich rasch ansah, "der Zwang der
Lehenspflicht und Hörigkeit ist glücklicher Weise, wenn auch
nur in seiner bindendsten Bedeutung vorüber. Ich weiß, daß
Sie sich schon lange im Stillen mit dem Gedanken tragen,
den Militärdienst zu verlassen. Thun Sie es jetzt; man kann,
glaub' ich, einem Offizier den Abschied nicht verweigern, wenn
er darum ansucht."

"Allerdings nicht. Allein man würde mich für einen
Feigling halten, dem um sein Leben bangt. Gerade jetzt kann
und darf ich den Abschied nicht fordern."

"Sie haben Recht," sagte er mit einem leichten Seufzer;
"es geht nicht. Man kann sich über gewisse herrschende Mei¬
nungen und Ansichten, ohne sich oft sein ganzes Leben zu ver¬
derben, nicht hinwegsetzen."

Die Sonne war indessen tiefer gesunken, und vom Fluß

treten zu können. Und jetzt ſoll ich als ein rauher Kriegs¬
knecht, bereit zu morden und zu verwüſten, über die Alpen
ziehen!“

„Wie einſt unſere Vorfahren unter den Ottonen und
Heinrichen, und unter den Hohenſtaufen“, erwiederte er. „So
pflanzen ſich die Wellenkreiſe, die der Sturz des römiſchen
Koloſſes hervorgebracht, noch nach einem Jahrtauſende fort,
und wir ſind eigentlich auf unſerem Welttheile noch immer
Barbaren, ſo ſehr wir uns auch mit den Fortſchritten unſerer
Civiliſation brüſten mögen. Aber“, ſetzte er nach einem kurzen
Beſinnen hinzu, indem er mich raſch anſah, „der Zwang der
Lehenspflicht und Hörigkeit iſt glücklicher Weiſe, wenn auch
nur in ſeiner bindendſten Bedeutung vorüber. Ich weiß, daß
Sie ſich ſchon lange im Stillen mit dem Gedanken tragen,
den Militärdienſt zu verlaſſen. Thun Sie es jetzt; man kann,
glaub' ich, einem Offizier den Abſchied nicht verweigern, wenn
er darum anſucht.“

„Allerdings nicht. Allein man würde mich für einen
Feigling halten, dem um ſein Leben bangt. Gerade jetzt kann
und darf ich den Abſchied nicht fordern.“

„Sie haben Recht,“ ſagte er mit einem leichten Seufzer;
„es geht nicht. Man kann ſich über gewiſſe herrſchende Mei¬
nungen und Anſichten, ohne ſich oft ſein ganzes Leben zu ver¬
derben, nicht hinwegſetzen.“

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[34/0050] treten zu können. Und jetzt ſoll ich als ein rauher Kriegs¬ knecht, bereit zu morden und zu verwüſten, über die Alpen ziehen!“ „Wie einſt unſere Vorfahren unter den Ottonen und Heinrichen, und unter den Hohenſtaufen“, erwiederte er. „So pflanzen ſich die Wellenkreiſe, die der Sturz des römiſchen Koloſſes hervorgebracht, noch nach einem Jahrtauſende fort, und wir ſind eigentlich auf unſerem Welttheile noch immer Barbaren, ſo ſehr wir uns auch mit den Fortſchritten unſerer Civiliſation brüſten mögen. Aber“, ſetzte er nach einem kurzen Beſinnen hinzu, indem er mich raſch anſah, „der Zwang der Lehenspflicht und Hörigkeit iſt glücklicher Weiſe, wenn auch nur in ſeiner bindendſten Bedeutung vorüber. Ich weiß, daß Sie ſich ſchon lange im Stillen mit dem Gedanken tragen, den Militärdienſt zu verlaſſen. Thun Sie es jetzt; man kann, glaub' ich, einem Offizier den Abſchied nicht verweigern, wenn er darum anſucht.“ „Allerdings nicht. Allein man würde mich für einen Feigling halten, dem um ſein Leben bangt. Gerade jetzt kann und darf ich den Abſchied nicht fordern.“ „Sie haben Recht,“ ſagte er mit einem leichten Seufzer; „es geht nicht. Man kann ſich über gewiſſe herrſchende Mei¬ nungen und Anſichten, ohne ſich oft ſein ganzes Leben zu ver¬ derben, nicht hinwegſetzen.“ Die Sonne war indeſſen tiefer geſunken, und vom Fluß

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/50>, abgerufen am 29.04.2024.