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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Immer näher kam der Kahn; immer lauter scholl die
Lustbarkeit der Menschen, deren Gestalten ich deutlich erkennen
konnte, wie sie, Männer und Frauen, dichtgedrängt in dem
kleinen Fahrzeuge saßen und standen.

Plötzlich verstummte Plaudern und Lachen, und eine
weiche, schmelzende Tenorstimme begann in die schimmernde
Nacht hinaus zu singen:

"Sei in Tönen, weich und linde,
Mir, o Frühlingsnacht, gegrüßt!
Glücklich, wer mit seinem Kinde,
Schlummerlos, dich still verküßt!
Wie ein heimliches Gewittern
Geht's durch deine milde Pracht:
Es ist rings der Herzen Zittern,
Hold bedrängt von Liebesmacht."

Ein schneidendes Weh drängte sich durch meine Seele
und athemlos, wie von einem Zauber berührt, lauschte ich dem
Gesange.

"Es ist rings der Herzen Zittern,
Hold bedrängt von Liebesmacht!"

scholl es, im lauten Chor wiederholt, herauf.

Jetzt glitt der Kahn gerade unterhalb des Forts vorüber
und mit kräftiger, rasch empor geschnellter Stimme fuhr der
Sänger fort:

"Aber wecken alle Träumer,
Möcht' ich jetzt mit hellem Sang,
Treiben möcht' ich alle Säumer
Vor mir her mit Becherklang!
4*

Immer näher kam der Kahn; immer lauter ſcholl die
Luſtbarkeit der Menſchen, deren Geſtalten ich deutlich erkennen
konnte, wie ſie, Männer und Frauen, dichtgedrängt in dem
kleinen Fahrzeuge ſaßen und ſtanden.

Plötzlich verſtummte Plaudern und Lachen, und eine
weiche, ſchmelzende Tenorſtimme begann in die ſchimmernde
Nacht hinaus zu ſingen:

„Sei in Tönen, weich und linde,
Mir, o Frühlingsnacht, gegrüßt!
Glücklich, wer mit ſeinem Kinde,
Schlummerlos, dich ſtill verküßt!
Wie ein heimliches Gewittern
Geht's durch deine milde Pracht:
Es iſt rings der Herzen Zittern,
Hold bedrängt von Liebesmacht.“

Ein ſchneidendes Weh drängte ſich durch meine Seele
und athemlos, wie von einem Zauber berührt, lauſchte ich dem
Geſange.

„Es iſt rings der Herzen Zittern,
Hold bedrängt von Liebesmacht!“

ſcholl es, im lauten Chor wiederholt, herauf.

Jetzt glitt der Kahn gerade unterhalb des Forts vorüber
und mit kräftiger, raſch empor geſchnellter Stimme fuhr der
Sänger fort:

„Aber wecken alle Träumer,
Möcht' ich jetzt mit hellem Sang,
Treiben möcht' ich alle Säumer
Vor mir her mit Becherklang!
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[51/0067] Immer näher kam der Kahn; immer lauter ſcholl die Luſtbarkeit der Menſchen, deren Geſtalten ich deutlich erkennen konnte, wie ſie, Männer und Frauen, dichtgedrängt in dem kleinen Fahrzeuge ſaßen und ſtanden. Plötzlich verſtummte Plaudern und Lachen, und eine weiche, ſchmelzende Tenorſtimme begann in die ſchimmernde Nacht hinaus zu ſingen: „Sei in Tönen, weich und linde, Mir, o Frühlingsnacht, gegrüßt! Glücklich, wer mit ſeinem Kinde, Schlummerlos, dich ſtill verküßt! Wie ein heimliches Gewittern Geht's durch deine milde Pracht: Es iſt rings der Herzen Zittern, Hold bedrängt von Liebesmacht.“ Ein ſchneidendes Weh drängte ſich durch meine Seele und athemlos, wie von einem Zauber berührt, lauſchte ich dem Geſange. „Es iſt rings der Herzen Zittern, Hold bedrängt von Liebesmacht!“ ſcholl es, im lauten Chor wiederholt, herauf. Jetzt glitt der Kahn gerade unterhalb des Forts vorüber und mit kräftiger, raſch empor geſchnellter Stimme fuhr der Sänger fort: „Aber wecken alle Träumer, Möcht' ich jetzt mit hellem Sang, Treiben möcht' ich alle Säumer Vor mir her mit Becherklang! 4*

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/67>, abgerufen am 14.05.2024.