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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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der Organe von Caesalpin bis auf Linne.
seine Definition der Varietäten, deren nach ihm so viele sind,
als verschiedene Pflanzen aus dem Samen gleicher Species ent-
stehen. Und zwar wird hinzugefügt, die Varietät verdanke ihre
Entstehung einer zufälligen Ursache, wie dem Klima, dem Boden,
der Wärme, dem Wind, was offenbar auf ganz willkürlicher
Annahme beruht. Aus der Gesammtheit seiner Darstellung
leuchtet die Ansicht hervor, daß die Species ihrem innersten Wesen
nach, die Varietäten dagegen nur äußerlich verschieden sind.
Hier, wo wir das Dogma von der Constanz der Arten zuerst
präcis ausgesprochen finden, ein Dogma, welches bis zum Auf-
treten der Descendenztheorie allgemein geglaubt wurde, wäre
man berechtigt, Beweise zu suchen; wie aber Dogmen überhaupt
nicht beweisbar sind, so stellt auch Linne das seinige einfach
als Behauptung hin 1), wenn man nicht etwa den Satz: negat
generatio continuata, propagatio, observationes quotidianae,
cotyledones
als einen Beweis für die Behauptung, daß es keine
neuen Species gebe, gelten lassen will. Uebrigens werden wir
noch weiterhin sehen, zu welch' sonderbaren Consequenzen Linne
selbst durch sein Dogma geführt wurde, als es sich darum han-
delte, den Verwandtschaftsverhältnissen der Gattungen und größeren
Gruppen Rechnung zu tragen. Das Werk der Natur, fährt
er fort, ist immer die Species und das Genus, das Werk
der Cultur häufig die Varietät; die Classe und Ordnung beruht
sowohl auf der Natur, wie auf der Kunst, womit wohl gesagt
sein soll, daß die größeren Gruppen des Pflanzenreichs nicht
in demselben Maße objective Giltigkeit haben, wie die Species
und das Genus, sondern zum Theil auf bloß subjectiver

1) Es wäre nicht schwer, zu beweisen, daß die Constanz der Species
eigentlich aus der Scholastik oder in letzter Instanz aus der platonischen
Ideenlehre folgt und deshalb schon vor Linne als selbstverständlich ange-
nommen wurde; Linne brachte diese Consequenz nur zu klarem Bewußt-
sein; die empirischen Daten, die er dafür beibringt, sind ohne alle beweisende
Kraft. Die Stärke des Dogmas liegt vielmehr in seiner Beziehung zu der
platonisch-scholastischen Philosophie, welcher mehr oder weniger bewußt die
Systematiker bis auf die neueste Zeit gehuldigt haben.

der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.
ſeine Definition der Varietäten, deren nach ihm ſo viele ſind,
als verſchiedene Pflanzen aus dem Samen gleicher Species ent-
ſtehen. Und zwar wird hinzugefügt, die Varietät verdanke ihre
Entſtehung einer zufälligen Urſache, wie dem Klima, dem Boden,
der Wärme, dem Wind, was offenbar auf ganz willkürlicher
Annahme beruht. Aus der Geſammtheit ſeiner Darſtellung
leuchtet die Anſicht hervor, daß die Species ihrem innerſten Weſen
nach, die Varietäten dagegen nur äußerlich verſchieden ſind.
Hier, wo wir das Dogma von der Conſtanz der Arten zuerſt
präcis ausgeſprochen finden, ein Dogma, welches bis zum Auf-
treten der Deſcendenztheorie allgemein geglaubt wurde, wäre
man berechtigt, Beweiſe zu ſuchen; wie aber Dogmen überhaupt
nicht beweisbar ſind, ſo ſtellt auch Linné das ſeinige einfach
als Behauptung hin 1), wenn man nicht etwa den Satz: negat
generatio continuata, propagatio, observationes quotidianae,
cotyledones
als einen Beweis für die Behauptung, daß es keine
neuen Species gebe, gelten laſſen will. Uebrigens werden wir
noch weiterhin ſehen, zu welch' ſonderbaren Conſequenzen Linné
ſelbſt durch ſein Dogma geführt wurde, als es ſich darum han-
delte, den Verwandtſchaftsverhältniſſen der Gattungen und größeren
Gruppen Rechnung zu tragen. Das Werk der Natur, fährt
er fort, iſt immer die Species und das Genus, das Werk
der Cultur häufig die Varietät; die Claſſe und Ordnung beruht
ſowohl auf der Natur, wie auf der Kunſt, womit wohl geſagt
ſein ſoll, daß die größeren Gruppen des Pflanzenreichs nicht
in demſelben Maße objective Giltigkeit haben, wie die Species
und das Genus, ſondern zum Theil auf bloß ſubjectiver

1) Es wäre nicht ſchwer, zu beweiſen, daß die Conſtanz der Species
eigentlich aus der Scholaſtik oder in letzter Inſtanz aus der platoniſchen
Ideenlehre folgt und deshalb ſchon vor Linné als ſelbſtverſtändlich ange-
nommen wurde; Linné brachte dieſe Conſequenz nur zu klarem Bewußt-
ſein; die empiriſchen Daten, die er dafür beibringt, ſind ohne alle beweiſende
Kraft. Die Stärke des Dogmas liegt vielmehr in ſeiner Beziehung zu der
platoniſch-ſcholaſtiſchen Philoſophie, welcher mehr oder weniger bewußt die
Syſtematiker bis auf die neueſte Zeit gehuldigt haben.
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[107/0119] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. ſeine Definition der Varietäten, deren nach ihm ſo viele ſind, als verſchiedene Pflanzen aus dem Samen gleicher Species ent- ſtehen. Und zwar wird hinzugefügt, die Varietät verdanke ihre Entſtehung einer zufälligen Urſache, wie dem Klima, dem Boden, der Wärme, dem Wind, was offenbar auf ganz willkürlicher Annahme beruht. Aus der Geſammtheit ſeiner Darſtellung leuchtet die Anſicht hervor, daß die Species ihrem innerſten Weſen nach, die Varietäten dagegen nur äußerlich verſchieden ſind. Hier, wo wir das Dogma von der Conſtanz der Arten zuerſt präcis ausgeſprochen finden, ein Dogma, welches bis zum Auf- treten der Deſcendenztheorie allgemein geglaubt wurde, wäre man berechtigt, Beweiſe zu ſuchen; wie aber Dogmen überhaupt nicht beweisbar ſind, ſo ſtellt auch Linné das ſeinige einfach als Behauptung hin 1), wenn man nicht etwa den Satz: negat generatio continuata, propagatio, observationes quotidianae, cotyledones als einen Beweis für die Behauptung, daß es keine neuen Species gebe, gelten laſſen will. Uebrigens werden wir noch weiterhin ſehen, zu welch' ſonderbaren Conſequenzen Linné ſelbſt durch ſein Dogma geführt wurde, als es ſich darum han- delte, den Verwandtſchaftsverhältniſſen der Gattungen und größeren Gruppen Rechnung zu tragen. Das Werk der Natur, fährt er fort, iſt immer die Species und das Genus, das Werk der Cultur häufig die Varietät; die Claſſe und Ordnung beruht ſowohl auf der Natur, wie auf der Kunſt, womit wohl geſagt ſein ſoll, daß die größeren Gruppen des Pflanzenreichs nicht in demſelben Maße objective Giltigkeit haben, wie die Species und das Genus, ſondern zum Theil auf bloß ſubjectiver 1) Es wäre nicht ſchwer, zu beweiſen, daß die Conſtanz der Species eigentlich aus der Scholaſtik oder in letzter Inſtanz aus der platoniſchen Ideenlehre folgt und deshalb ſchon vor Linné als ſelbſtverſtändlich ange- nommen wurde; Linné brachte dieſe Conſequenz nur zu klarem Bewußt- ſein; die empiriſchen Daten, die er dafür beibringt, ſind ohne alle beweiſende Kraft. Die Stärke des Dogmas liegt vielmehr in ſeiner Beziehung zu der platoniſch-ſcholaſtiſchen Philoſophie, welcher mehr oder weniger bewußt die Syſtematiker bis auf die neueſte Zeit gehuldigt haben.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/119>, abgerufen am 24.11.2024.