termilch mit Thee und Kaffee verwechselten. So unsere Kindheit. Die Periode, wo wir zu lesen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen- nium, wo der empfindsame T[h]on, jene kraft- lose schmachtende Stimmung in allen Mode- schriften herrschte.
II.
Die Frucht vom Baum, der Erkenntniss des Guten und Bösen, die Aufklaerung, der Ge- schmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten, können heut zu Tage nicht früh genug kom- men. Die Menschen leben eher, geniessen eher, taugen eher zum Umgang, in die Gesell- schaften, zum Agiren auf Theatern, zum Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei- ne, zu früher Genuss unreifer, Krankheit und Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten, 10jaehrige Jünglinge, 15jaehrige Maenner u. s. w.
Die Erfahrung, meine nun bald 15jaehrige, als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder bloss zufaelliger Erfahrer, unter jungen Leuten meines Alters, an sehr sehr vielen sind mir Beweiss, trauriger Beweiss, dass alles dieses
den
termilch mit Thee und Kaffee verwechſelten. So unſere Kindheit. Die Periode, wo wir zu leſen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen- nium, wo der empfindſame T[h]on, jene kraft- loſe ſchmachtende Stimmung in allen Mode- ſchriften herrſchte.
II.
Die Frucht vom Baum, der Erkenntniſs des Guten und Böſen, die Aufklærung, der Ge- ſchmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten, können heut zu Tage nicht früh genug kom- men. Die Menſchen leben eher, genieſsen eher, taugen eher zum Umgang, in die Geſell- ſchaften, zum Agiren auf Theatern, zum Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei- ne, zu früher Genuſs unreifer, Krankheit und Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten, 10jæhrige Jünglinge, 15jæhrige Mænner u. ſ. w.
Die Erfahrung, meine nun bald 15jæhrige, als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder bloſs zufælliger Erfahrer, unter jungen Leuten meines Alters, an ſehr ſehr vielen ſind mir Beweiſs, trauriger Beweiſs, daſs alles dieſes
den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0137"n="127"/>
termilch mit Thee und Kaffee verwechſelten.<lb/>
So unſere Kindheit. Die Periode, wo wir<lb/>
zu leſen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen-<lb/>
nium, wo der empfindſame T<supplied>h</supplied>on, jene kraft-<lb/>
loſe ſchmachtende Stimmung in allen Mode-<lb/>ſchriften herrſchte.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">II.</hi></hi></head><lb/><p>Die Frucht vom Baum, der Erkenntniſs des<lb/>
Guten und Böſen, die Aufklærung, der Ge-<lb/>ſchmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten,<lb/>
können heut zu Tage nicht früh genug kom-<lb/>
men. Die Menſchen leben eher, genieſsen<lb/>
eher, taugen eher zum Umgang, in die Geſell-<lb/>ſchaften, zum Agiren auf Theatern, zum<lb/>
Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei-<lb/>
ne, zu früher Genuſs unreifer, Krankheit und<lb/>
Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten,<lb/>
10jæhrige Jünglinge, 15jæhrige Mænner u.<lb/>ſ. w.</p><lb/><p>Die Erfahrung, meine nun bald 15jæhrige,<lb/>
als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder<lb/>
bloſs zufælliger Erfahrer, unter jungen Leuten<lb/>
meines Alters, an ſehr ſehr vielen ſind mir<lb/>
Beweiſs, trauriger Beweiſs, daſs alles dieſes<lb/><fwplace="bottom"type="catch">den</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[127/0137]
termilch mit Thee und Kaffee verwechſelten.
So unſere Kindheit. Die Periode, wo wir
zu leſen anfiengen, fiel gerade in jenes Decen-
nium, wo der empfindſame Thon, jene kraft-
loſe ſchmachtende Stimmung in allen Mode-
ſchriften herrſchte.
II.
Die Frucht vom Baum, der Erkenntniſs des
Guten und Böſen, die Aufklærung, der Ge-
ſchmack, die Verfeinerung, die artigen Sitten,
können heut zu Tage nicht früh genug kom-
men. Die Menſchen leben eher, genieſsen
eher, taugen eher zum Umgang, in die Geſell-
ſchaften, zum Agiren auf Theatern, zum
Deklamiren. Zu frühe Kultur im Erfolg kei-
ne, zu früher Genuſs unreifer, Krankheit und
Tod. Wir erziehen ja, was wir wollten,
10jæhrige Jünglinge, 15jæhrige Mænner u.
ſ. w.
Die Erfahrung, meine nun bald 15jæhrige,
als Erzieher und noch mehr als Beobachter oder
bloſs zufælliger Erfahrer, unter jungen Leuten
meines Alters, an ſehr ſehr vielen ſind mir
Beweiſs, trauriger Beweiſs, daſs alles dieſes
den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/137>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.