wohl 6. dergleichen, und so sind in mittelmässig reichen Häusern schon die Kinder an eine Menge künstlicher Be- dürfnisse, grosser Ausgaben und überflüssiger Sachen ge- wöhnt etc. Ans Halsband des Hundes kaufen sie die künstlichsten Schlösser oder Cadenats, seidene Bänder, den Hund zu führen, und dergleichen Läppereien mehr. Was Wunder, daß fester, männlicher Ernst, und geord- nete Mäßigkeit und Munterkeit ohne Ausschweifung und Laster, nie das Erbtheil dieser Nation werden kan, wenn man dem jungen Aufschößling alles erlaubt, was er an andern sieht, was seine immer rege Einbildungskraft ver- langt.
Einsmahls gab ich auch in einem vornehmen und reichen Hause einen Zeugen ab, wie der Herr Sohn un- terrichtet wurde. Er hatte von Jugend auf, Hausleh- rer gehabt, aber er war noch so roh, so leer, so ungebil- det, sein Karakter war noch so wildfangsmässig, daß ich den versäumten Jüngling bedauern, und nur auf die Ab- be's böse werden muste. Um 11. Uhr traf ichs grade, daß so ein französischer Abbe' den Livius mit ihm lesen sollte. Er war aber zu faul, das Maul aufzuthun, war zufrieden, daß der junge Herr mit dem Hunde spielte, oder sonst herumlief, lies sich nieder und wartete ganz ru- hig bis es dem jungen Herrn gefällig war. Endlich muste denn der Bediente die Bücher herbei hohlen. Der junge Herr las den Livius vor, und sollte ihn nun ins Französische übersetzen. Der Abbe' saß daneben, hatte gar keinen Autor in der Hand, hörte nur zu und verbes- serte zuweilen. Die Genauigkeit, die Bündigkeit und Schönheit dieser Uebersetzung kan man sich also leicht den- ken; zumahl da der Abbe' und der Schüler schlecht la- teinisch lasen. Ich sprach darüber mit dem Abbe', der
versicherte
wohl 6. dergleichen, und ſo ſind in mittelmaͤſſig reichen Haͤuſern ſchon die Kinder an eine Menge kuͤnſtlicher Be- duͤrfniſſe, groſſer Ausgaben und uͤberfluͤſſiger Sachen ge- woͤhnt ꝛc. Ans Halsband des Hundes kaufen ſie die kuͤnſtlichſten Schloͤſſer oder Cadenats, ſeidene Baͤnder, den Hund zu fuͤhren, und dergleichen Laͤppereien mehr. Was Wunder, daß feſter, maͤnnlicher Ernſt, und geord- nete Maͤßigkeit und Munterkeit ohne Ausſchweifung und Laſter, nie das Erbtheil dieſer Nation werden kan, wenn man dem jungen Aufſchoͤßling alles erlaubt, was er an andern ſieht, was ſeine immer rege Einbildungskraft ver- langt.
Einsmahls gab ich auch in einem vornehmen und reichen Hauſe einen Zeugen ab, wie der Herr Sohn un- terrichtet wurde. Er hatte von Jugend auf, Hausleh- rer gehabt, aber er war noch ſo roh, ſo leer, ſo ungebil- det, ſein Karakter war noch ſo wildfangsmaͤſſig, daß ich den verſaͤumten Juͤngling bedauern, und nur auf die Ab- be’s boͤſe werden muſte. Um 11. Uhr traf ichs grade, daß ſo ein franzoͤſiſcher Abbe’ den Livius mit ihm leſen ſollte. Er war aber zu faul, das Maul aufzuthun, war zufrieden, daß der junge Herr mit dem Hunde ſpielte, oder ſonſt herumlief, lies ſich nieder und wartete ganz ru- hig bis es dem jungen Herrn gefaͤllig war. Endlich muſte denn der Bediente die Buͤcher herbei hohlen. Der junge Herr las den Livius vor, und ſollte ihn nun ins Franzoͤſiſche uͤberſetzen. Der Abbe’ ſaß daneben, hatte gar keinen Autor in der Hand, hoͤrte nur zu und verbeſ- ſerte zuweilen. Die Genauigkeit, die Buͤndigkeit und Schoͤnheit dieſer Ueberſetzung kan man ſich alſo leicht den- ken; zumahl da der Abbe’ und der Schuͤler ſchlecht la- teiniſch laſen. Ich ſprach daruͤber mit dem Abbe’, der
verſicherte
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wohl 6. dergleichen, und ſo ſind in mittelmaͤſſig reichen
Haͤuſern ſchon die Kinder an eine Menge kuͤnſtlicher Be-
duͤrfniſſe, groſſer Ausgaben und uͤberfluͤſſiger Sachen ge-
woͤhnt ꝛc. Ans Halsband des Hundes kaufen ſie die
kuͤnſtlichſten Schloͤſſer oder Cadenats, ſeidene Baͤnder,
den Hund zu fuͤhren, und dergleichen Laͤppereien mehr.
Was Wunder, daß feſter, maͤnnlicher Ernſt, und geord-
nete Maͤßigkeit und Munterkeit ohne Ausſchweifung und
Laſter, nie das Erbtheil dieſer Nation werden kan, wenn
man dem jungen Aufſchoͤßling alles erlaubt, was er an
andern ſieht, was ſeine immer rege Einbildungskraft ver-
langt.
Einsmahls gab ich auch in einem vornehmen und
reichen Hauſe einen Zeugen ab, wie der Herr Sohn un-
terrichtet wurde. Er hatte von Jugend auf, Hausleh-
rer gehabt, aber er war noch ſo roh, ſo leer, ſo ungebil-
det, ſein Karakter war noch ſo wildfangsmaͤſſig, daß ich
den verſaͤumten Juͤngling bedauern, und nur auf die Ab-
be’s boͤſe werden muſte. Um 11. Uhr traf ichs grade,
daß ſo ein franzoͤſiſcher Abbe’ den Livius mit ihm leſen
ſollte. Er war aber zu faul, das Maul aufzuthun, war
zufrieden, daß der junge Herr mit dem Hunde ſpielte,
oder ſonſt herumlief, lies ſich nieder und wartete ganz ru-
hig bis es dem jungen Herrn gefaͤllig war. Endlich
muſte denn der Bediente die Buͤcher herbei hohlen. Der
junge Herr las den Livius vor, und ſollte ihn nun ins
Franzoͤſiſche uͤberſetzen. Der Abbe’ ſaß daneben, hatte
gar keinen Autor in der Hand, hoͤrte nur zu und verbeſ-
ſerte zuweilen. Die Genauigkeit, die Buͤndigkeit und
Schoͤnheit dieſer Ueberſetzung kan man ſich alſo leicht den-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/354>, abgerufen am 23.11.2024.
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