grossen Namen verschönert, das doch gegen alle Gesetze der Billigkeit und Gerechtigkeit streitet! Die Lehrer des Staatsrechts und der Geschichtskunde werden mich hier verstehen.
Im Städtchen Haßlach fand ich im Wirthshause zwanzig wallfarthende Personen, die auf dem Rückwe- ge begriffen waren, und hier zusammen ein Frühstück nahmen. Es waren Männer, Weiber, erwachsene Töchter und ledige Söhne; lauter Vorderösterreichi- sche Unterthanen, aus dem Dorfe Saspach, nicht weit vom Rhein, da wo Turenne erschossen wurde. Sie gestanden mir, daß sie von Marien-Einsiedel kämen, und eine Reise von 55. Stunden gemacht hätten. Sie waren schon acht Tage auf der Strasse, und brauchten noch einige Tage, bis sie nach Hause kamen. Da ich sehr wenig rathen wollte, aber doch von fünf bis sechs Gulden sprach, die jedes unter ihnen auf dieser Wallfahrt schon ausgegeben haben würde, so gestanden sie das sehr gerne zu, und läugneten nicht, daß es auch noch grössere Kosten machen könnte. Als ich sie um die Ursache die- ser Reise fragte, und ihnen die Thorheit dieser Einbildung, als wäre das Gebet zu Gott in Marien-Einsiedel kräf- tiger als in Saspach, vorstellte, gab mir eine Frau sehr vernünftig zur Antwort: Es käme in solchen Sachen nur auf den Glauben, und auf das eigene Gewissen eines je- den Menschen an. Wenn ich mich auch einmahl dazu in meinem Gewissen verpflichtet fände, so würde ich auch dorthin gehen. Indem ich dieser Frau wegen ihrem ir- renden, aber doch zärtlichen Gewissen Recht geben muste, so wurde ich auch mit innerm Unwillen über die gewissen- lose Lehrer erfüllt, die das gutmüthige, lenksame Volk der
gemeinen
groſſen Namen verſchoͤnert, das doch gegen alle Geſetze der Billigkeit und Gerechtigkeit ſtreitet! Die Lehrer des Staatsrechts und der Geſchichtskunde werden mich hier verſtehen.
Im Staͤdtchen Haßlach fand ich im Wirthshauſe zwanzig wallfarthende Perſonen, die auf dem Ruͤckwe- ge begriffen waren, und hier zuſammen ein Fruͤhſtuͤck nahmen. Es waren Maͤnner, Weiber, erwachſene Toͤchter und ledige Soͤhne; lauter Vorderoͤſterreichi- ſche Unterthanen, aus dem Dorfe Saſpach, nicht weit vom Rhein, da wo Turenne erſchoſſen wurde. Sie geſtanden mir, daß ſie von Marien-Einſiedel kaͤmen, und eine Reiſe von 55. Stunden gemacht haͤtten. Sie waren ſchon acht Tage auf der Straſſe, und brauchten noch einige Tage, bis ſie nach Hauſe kamen. Da ich ſehr wenig rathen wollte, aber doch von fuͤnf bis ſechs Gulden ſprach, die jedes unter ihnen auf dieſer Wallfahrt ſchon ausgegeben haben wuͤrde, ſo geſtanden ſie das ſehr gerne zu, und laͤugneten nicht, daß es auch noch groͤſſere Koſten machen koͤnnte. Als ich ſie um die Urſache die- ſer Reiſe fragte, und ihnen die Thorheit dieſer Einbildung, als waͤre das Gebet zu Gott in Marien-Einſiedel kraͤf- tiger als in Saſpach, vorſtellte, gab mir eine Frau ſehr vernuͤnftig zur Antwort: Es kaͤme in ſolchen Sachen nur auf den Glauben, und auf das eigene Gewiſſen eines je- den Menſchen an. Wenn ich mich auch einmahl dazu in meinem Gewiſſen verpflichtet faͤnde, ſo wuͤrde ich auch dorthin gehen. Indem ich dieſer Frau wegen ihrem ir- renden, aber doch zaͤrtlichen Gewiſſen Recht geben muſte, ſo wurde ich auch mit innerm Unwillen uͤber die gewiſſen- loſe Lehrer erfuͤllt, die das gutmuͤthige, lenkſame Volk der
gemeinen
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groſſen Namen verſchoͤnert, das doch gegen alle Geſetze
der Billigkeit und Gerechtigkeit ſtreitet! Die Lehrer des
Staatsrechts und der Geſchichtskunde werden mich hier
verſtehen.
Im Staͤdtchen Haßlach fand ich im Wirthshauſe
zwanzig wallfarthende Perſonen, die auf dem Ruͤckwe-
ge begriffen waren, und hier zuſammen ein Fruͤhſtuͤck
nahmen. Es waren Maͤnner, Weiber, erwachſene
Toͤchter und ledige Soͤhne; lauter Vorderoͤſterreichi-
ſche Unterthanen, aus dem Dorfe Saſpach, nicht weit
vom Rhein, da wo Turenne erſchoſſen wurde. Sie
geſtanden mir, daß ſie von Marien-Einſiedel kaͤmen,
und eine Reiſe von 55. Stunden gemacht haͤtten. Sie
waren ſchon acht Tage auf der Straſſe, und brauchten
noch einige Tage, bis ſie nach Hauſe kamen. Da ich
ſehr wenig rathen wollte, aber doch von fuͤnf bis ſechs
Gulden ſprach, die jedes unter ihnen auf dieſer Wallfahrt
ſchon ausgegeben haben wuͤrde, ſo geſtanden ſie das ſehr
gerne zu, und laͤugneten nicht, daß es auch noch groͤſſere
Koſten machen koͤnnte. Als ich ſie um die Urſache die-
ſer Reiſe fragte, und ihnen die Thorheit dieſer Einbildung,
als waͤre das Gebet zu Gott in Marien-Einſiedel kraͤf-
tiger als in Saſpach, vorſtellte, gab mir eine Frau ſehr
vernuͤnftig zur Antwort: Es kaͤme in ſolchen Sachen nur
auf den Glauben, und auf das eigene Gewiſſen eines je-
den Menſchen an. Wenn ich mich auch einmahl dazu in
meinem Gewiſſen verpflichtet faͤnde, ſo wuͤrde ich auch
dorthin gehen. Indem ich dieſer Frau wegen ihrem ir-
renden, aber doch zaͤrtlichen Gewiſſen Recht geben muſte,
ſo wurde ich auch mit innerm Unwillen uͤber die gewiſſen-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/392>, abgerufen am 21.11.2024.
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