die Klagen und Beschwerden des edlern Theils der Zuhö- rer. Die Konsistorien sind gar oft zu gelinde, und über- sehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachläs- sigkeit, und die allerschädlichsten Gewohnheiten. Oft nimmt gar ein Konfrater die Mängel des andern in Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der brüderli- chen Liebe. Doch jetzt sind wir auf der Reise. Also St! St! -- --
Ulm ist übrigens ein Ort, wo man sich mit guten Freunden viel unschuldige Freude machen kan. Die Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute sind umgäng- lich, gesellschaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß beständig Fremde da einkehren. Die Kreisversamm- lung belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes Haus dazu ist nicht da, der Rath weicht alsdann dem Kreise, und versammelt sich anderswo. Das Stein- heile ist ein Lustwäldchen an der Donau, wo täglich muntre Gesellschaften zusammen kommen. Durch die Brunnenstube wird die Stadt mit Wasser versehen, denn es sind nicht genug Quellen da. Die barbarischen Gesetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben noch hier zur Schande der Christenheit ihre Kraft. Man sieht in der Stadt keine Juden, sie müssen jede Stunde bezahlen, die sie in Ulm zubringen wollen: nur etliche wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade als wenn wir Herren der Erde wären, und unsern Mit- menschen verwehren könnten, irgendwo Luft zu schöpfen! --
Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er gröstentheils gemauert ist, und auch beständig verschlossen wird. Man hat aber fast in jedem mittelmässigen Hause einen Schlüssel dazu, und es ist wegen der Ab-
wechselung
Zweiter Theil. B
die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ- rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber- ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ- ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli- chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo St! St! — —
Ulm iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng- lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die Kreisverſamm- lung belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das Stein- heile iſt ein Luſtwaͤldchen an der Donau, wo taͤglich muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die Brunnenſtube wird die Stadt mit Waſſer verſehen, denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen Geſetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde bezahlen, die ſie in Ulm zubringen wollen: nur etliche wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit- menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen! —
Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab-
wechſelung
Zweiter Theil. B
<TEI><text><body><divn="1"><divn="3"><p><pbfacs="#f0055"n="17"/>
die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ-<lb/>
rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber-<lb/>ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ-<lb/>ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft<lb/>
nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in<lb/>
Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli-<lb/>
chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo<lb/>
St! St! ——</p><lb/><p><hirendition="#fr">Ulm</hi> iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten<lb/>
Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die<lb/>
Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng-<lb/>
lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß<lb/>
beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die <hirendition="#fr">Kreisverſamm-<lb/>
lung</hi> belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes<lb/>
Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem<lb/>
Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das <hirendition="#fr">Stein-<lb/>
heile</hi> iſt ein Luſtwaͤldchen an der <hirendition="#fr">Donau,</hi> wo taͤglich<lb/>
muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die<lb/><hirendition="#fr">Brunnenſtube</hi> wird die Stadt mit Waſſer verſehen,<lb/>
denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen<lb/>
Geſetze, die man ehemals gegen die <hirendition="#fr">Juden</hi> gab, haben<lb/>
noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man<lb/>ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde<lb/>
bezahlen, die ſie in <hirendition="#fr">Ulm</hi> zubringen wollen: nur etliche<lb/>
wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade<lb/>
als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit-<lb/>
menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen! —</p><lb/><p>Der <hirendition="#fr">Wall</hi> um die Stadt heißt der <hirendition="#fr">Bau,</hi> weil er<lb/>
groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen<lb/>
wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen<lb/>
Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Zweiter Theil.</hi> B</fw><fwplace="bottom"type="catch">wechſelung</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[17/0055]
die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ-
rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber-
ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ-
ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft
nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in
Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli-
chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo
St! St! — —
Ulm iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten
Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die
Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng-
lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß
beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die Kreisverſamm-
lung belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes
Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem
Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das Stein-
heile iſt ein Luſtwaͤldchen an der Donau, wo taͤglich
muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die
Brunnenſtube wird die Stadt mit Waſſer verſehen,
denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen
Geſetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben
noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man
ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde
bezahlen, die ſie in Ulm zubringen wollen: nur etliche
wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade
als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit-
menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen! —
Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er
groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen
wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen
Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab-
wechſelung
Zweiter Theil. B
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/55>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.