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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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die Klagen und Beschwerden des edlern Theils der Zuhö-
rer. Die Konsistorien sind gar oft zu gelinde, und über-
sehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachläs-
sigkeit, und die allerschädlichsten Gewohnheiten. Oft
nimmt gar ein Konfrater die Mängel des andern in
Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der brüderli-
chen Liebe. Doch jetzt sind wir auf der Reise. Also
St! St! -- --

Ulm ist übrigens ein Ort, wo man sich mit guten
Freunden viel unschuldige Freude machen kan. Die
Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute sind umgäng-
lich, gesellschaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß
beständig Fremde da einkehren. Die Kreisversamm-
lung
belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes
Haus dazu ist nicht da, der Rath weicht alsdann dem
Kreise, und versammelt sich anderswo. Das Stein-
heile
ist ein Lustwäldchen an der Donau, wo täglich
muntre Gesellschaften zusammen kommen. Durch die
Brunnenstube wird die Stadt mit Wasser versehen,
denn es sind nicht genug Quellen da. Die barbarischen
Gesetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben
noch hier zur Schande der Christenheit ihre Kraft. Man
sieht in der Stadt keine Juden, sie müssen jede Stunde
bezahlen, die sie in Ulm zubringen wollen: nur etliche
wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade
als wenn wir Herren der Erde wären, und unsern Mit-
menschen verwehren könnten, irgendwo Luft zu schöpfen! --

Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er
gröstentheils gemauert ist, und auch beständig verschlossen
wird. Man hat aber fast in jedem mittelmässigen
Hause einen Schlüssel dazu, und es ist wegen der Ab-

wechselung
Zweiter Theil. B

die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ-
rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber-
ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ-
ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft
nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in
Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli-
chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo
St! St! — —

Ulm iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten
Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die
Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng-
lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß
beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die Kreisverſamm-
lung
belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes
Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem
Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das Stein-
heile
iſt ein Luſtwaͤldchen an der Donau, wo taͤglich
muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die
Brunnenſtube wird die Stadt mit Waſſer verſehen,
denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen
Geſetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben
noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man
ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde
bezahlen, die ſie in Ulm zubringen wollen: nur etliche
wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade
als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit-
menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen! —

Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er
groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen
wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen
Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab-

wechſelung
Zweiter Theil. B
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[17/0055] die Klagen und Beſchwerden des edlern Theils der Zuhoͤ- rer. Die Konſiſtorien ſind gar oft zu gelinde, und uͤber- ſehen manchem Prediger unverzeihliche Fehler, Nachlaͤſ- ſigkeit, und die allerſchaͤdlichſten Gewohnheiten. Oft nimmt gar ein Konfrater die Maͤngel des andern in Schutz, und bedeckt alles mit dem Mantel der bruͤderli- chen Liebe. Doch jetzt ſind wir auf der Reiſe. Alſo St! St! — — Ulm iſt uͤbrigens ein Ort, wo man ſich mit guten Freunden viel unſchuldige Freude machen kan. Die Stadt hat wenig reizendes, aber die Leute ſind umgaͤng- lich, geſellſchaftlich. Ihre Lage hat den Vortheil, daß beſtaͤndig Fremde da einkehren. Die Kreisverſamm- lung belebt den Ort alle Jahre einmal. Ein eignes Haus dazu iſt nicht da, der Rath weicht alsdann dem Kreiſe, und verſammelt ſich anderswo. Das Stein- heile iſt ein Luſtwaͤldchen an der Donau, wo taͤglich muntre Geſellſchaften zuſammen kommen. Durch die Brunnenſtube wird die Stadt mit Waſſer verſehen, denn es ſind nicht genug Quellen da. Die barbariſchen Geſetze, die man ehemals gegen die Juden gab, haben noch hier zur Schande der Chriſtenheit ihre Kraft. Man ſieht in der Stadt keine Juden, ſie muͤſſen jede Stunde bezahlen, die ſie in Ulm zubringen wollen: nur etliche wenige Familien haben darin mehr Freiheit. Grade als wenn wir Herren der Erde waͤren, und unſern Mit- menſchen verwehren koͤnnten, irgendwo Luft zu ſchoͤpfen! — Der Wall um die Stadt heißt der Bau, weil er groͤſtentheils gemauert iſt, und auch beſtaͤndig verſchloſſen wird. Man hat aber faſt in jedem mittelmaͤſſigen Hauſe einen Schluͤſſel dazu, und es iſt wegen der Ab- wechſelung Zweiter Theil. B

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/55>, abgerufen am 21.11.2024.