neue. Sie bauen auch jeden Winkel an, und gehen mit den Häusern gewaltig in die Höhe. Doch ist der Gestank so gros nicht hier, als in andern ähnlichen Or- ten. Sie tragen keine Bärte, und unterscheiden sich kaum durch die Sprache.
Bemerkungen.
Ehemals, da die Nobili noch selbst handelten, nahm man mehr Rücksicht auf den Handel, und auf die Polizei. Jetzt aber, da die meisten Familien das erwor- bene Geld in Landgüter gesteckt haben, und davon le- ben, bekümmert man sich um manches nicht. Es wird fast über keinem Polizeigesetz gehalten, als noch über dem, daß alle Gondeln schwarz seyn müssen. Mancher Edel- mann hat 2, 3. Landgüter, einen Verwalter, und eine völlig eingerichtete Haushaltung auf jedem, so daß er nur kommen darf, die Bauern aber sollen auch hier un- ter dem Joche des Edelmanns erbärmlich stehen.
An Lohnlaquaien, Perückenmachern und Barbiern sieht man die Dummheit und den gänzlichen Mangel an Bildung, der unter dem gemeinen Volke herrscht. Lesen und Schreiben können gar viele Leute in Venedig nicht, viele in seidenen Mänteln nicht.
Der Pfaffen- und Nonnenklöster ist hier eine er- schreckliche Menge. Die Pfarrer an mancher Kirche haben sehr grosse Einkünfte, und predigen doch nicht sel- ber, sondern haben ihre Vicarios.
Als der Pabst hier war, sagten die Pfaffen öffent- lich: Sein Segen sei so kräftig wie eine zweite Taufe. Man lies in einer Nacht durch mehr als 2000. Arbeiter eine Tribune bauen, von welcher er den Segen herabgab.
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neue. Sie bauen auch jeden Winkel an, und gehen mit den Haͤuſern gewaltig in die Hoͤhe. Doch iſt der Geſtank ſo gros nicht hier, als in andern aͤhnlichen Or- ten. Sie tragen keine Baͤrte, und unterſcheiden ſich kaum durch die Sprache.
Bemerkungen.
Ehemals, da die Nobili noch ſelbſt handelten, nahm man mehr Ruͤckſicht auf den Handel, und auf die Polizei. Jetzt aber, da die meiſten Familien das erwor- bene Geld in Landguͤter geſteckt haben, und davon le- ben, bekuͤmmert man ſich um manches nicht. Es wird faſt uͤber keinem Polizeigeſetz gehalten, als noch uͤber dem, daß alle Gondeln ſchwarz ſeyn muͤſſen. Mancher Edel- mann hat 2, 3. Landguͤter, einen Verwalter, und eine voͤllig eingerichtete Haushaltung auf jedem, ſo daß er nur kommen darf, die Bauern aber ſollen auch hier un- ter dem Joche des Edelmanns erbaͤrmlich ſtehen.
An Lohnlaquaien, Peruͤckenmachern und Barbiern ſieht man die Dummheit und den gaͤnzlichen Mangel an Bildung, der unter dem gemeinen Volke herrſcht. Leſen und Schreiben koͤnnen gar viele Leute in Venedig nicht, viele in ſeidenen Maͤnteln nicht.
Der Pfaffen- und Nonnenkloͤſter iſt hier eine er- ſchreckliche Menge. Die Pfarrer an mancher Kirche haben ſehr groſſe Einkuͤnfte, und predigen doch nicht ſel- ber, ſondern haben ihre Vicarios.
Als der Pabſt hier war, ſagten die Pfaffen oͤffent- lich: Sein Segen ſei ſo kraͤftig wie eine zweite Taufe. Man lies in einer Nacht durch mehr als 2000. Arbeiter eine Tribune bauen, von welcher er den Segen herabgab.
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neue. Sie bauen auch jeden Winkel an, und gehen
mit den Haͤuſern gewaltig in die Hoͤhe. Doch iſt der
Geſtank ſo gros nicht hier, als in andern aͤhnlichen Or-
ten. Sie tragen keine Baͤrte, und unterſcheiden ſich
kaum durch die Sprache.
Bemerkungen.
Ehemals, da die Nobili noch ſelbſt handelten,
nahm man mehr Ruͤckſicht auf den Handel, und auf die
Polizei. Jetzt aber, da die meiſten Familien das erwor-
bene Geld in Landguͤter geſteckt haben, und davon le-
ben, bekuͤmmert man ſich um manches nicht. Es wird
faſt uͤber keinem Polizeigeſetz gehalten, als noch uͤber dem,
daß alle Gondeln ſchwarz ſeyn muͤſſen. Mancher Edel-
mann hat 2, 3. Landguͤter, einen Verwalter, und eine
voͤllig eingerichtete Haushaltung auf jedem, ſo daß er
nur kommen darf, die Bauern aber ſollen auch hier un-
ter dem Joche des Edelmanns erbaͤrmlich ſtehen.
An Lohnlaquaien, Peruͤckenmachern und Barbiern
ſieht man die Dummheit und den gaͤnzlichen Mangel
an Bildung, der unter dem gemeinen Volke herrſcht.
Leſen und Schreiben koͤnnen gar viele Leute in Venedig
nicht, viele in ſeidenen Maͤnteln nicht.
Der Pfaffen- und Nonnenkloͤſter iſt hier eine er-
ſchreckliche Menge. Die Pfarrer an mancher Kirche
haben ſehr groſſe Einkuͤnfte, und predigen doch nicht ſel-
ber, ſondern haben ihre Vicarios.
Als der Pabſt hier war, ſagten die Pfaffen oͤffent-
lich: Sein Segen ſei ſo kraͤftig wie eine zweite Taufe.
Man lies in einer Nacht durch mehr als 2000. Arbeiter
eine Tribune bauen, von welcher er den Segen herabgab.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/671>, abgerufen am 27.11.2024.
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