Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorurtheile in der Religion.
zuweilen räthselhafte Auftritte vorkommen, wo wir mehr
bewundern, als beurtheilen, mehr stille schweigen, als
fragen und richten müssen. Erinnert euch an die feyer-
lichen Gebräuche, die er sterbend noch vorgeschrieben hat.
Wie sonderbar, wie auffallend, wie seltsam kommt uns
das Abendmahl vor, sobald wir anfangen, es nach un-
srer Vernunft zu beurtheilen, und nach dem Maaßstab
des gemeinen Lebens auszumessen? Jst in dem Was-
ser,
das den jungen Christen aufgegossen wird, wenn
sie den Eingang in die Kirche suchen, etwas, das uns
bey unsern falschen Begriffen von Ehre und Größe zur
Hochachtung bewegen, etwas, das uns Ehrerbietung,
Dank und Liebe gegen Gott einflößen könnte? Und doch
will unser Heiland, daß wir dadurch zum Genuß seiner
Liebe gelangen, und dadurch unsre Zärtlichkeit gegen ihn
vor der Welt zeigen sollen. Der Glaube, das feste
Vertrauen, die innre Zuversicht, und die frohe Erwar-
tung alles Guten von Gott um des Leidens seines Soh-
nes willen, diese Spindel, um die sich unser ganzes
Christenthum herumdreht, wie wunderbar scheints vielen!
Der Mensch soll sich erst demüthigen vor Gott, damit er
erhöht werde. Der Mensch soll alles der freyen Gnade
Gottes in Jesu Christo zu danken haben, und soll doch
fleißig seyn in guten Werken! (Titum 3, 14.) Die
Religion des Sohnes Gottes fodert, daß wir uns alle
Schickungen des obersten Gebieters über Welt und Men-
schen gefallen lassen, auch mit Elend beladen doch den
Gott noch preisen, der uns lange mit Wohlthaten über-
häuft, (Hiob 2, 10. 35, 10.) und auch im kläglichsten
Zustand den Gedanken behalten sollen, daß dieser Zeit
Leiden nicht werth seyen, gegen die künftige Herr-

lichkeit;
H 3

Vorurtheile in der Religion.
zuweilen räthſelhafte Auftritte vorkommen, wo wir mehr
bewundern, als beurtheilen, mehr ſtille ſchweigen, als
fragen und richten müſſen. Erinnert euch an die feyer-
lichen Gebräuche, die er ſterbend noch vorgeſchrieben hat.
Wie ſonderbar, wie auffallend, wie ſeltſam kommt uns
das Abendmahl vor, ſobald wir anfangen, es nach un-
ſrer Vernunft zu beurtheilen, und nach dem Maaßſtab
des gemeinen Lebens auszumeſſen? Jſt in dem Waſ-
ſer,
das den jungen Chriſten aufgegoſſen wird, wenn
ſie den Eingang in die Kirche ſuchen, etwas, das uns
bey unſern falſchen Begriffen von Ehre und Größe zur
Hochachtung bewegen, etwas, das uns Ehrerbietung,
Dank und Liebe gegen Gott einflößen könnte? Und doch
will unſer Heiland, daß wir dadurch zum Genuß ſeiner
Liebe gelangen, und dadurch unſre Zärtlichkeit gegen ihn
vor der Welt zeigen ſollen. Der Glaube, das feſte
Vertrauen, die innre Zuverſicht, und die frohe Erwar-
tung alles Guten von Gott um des Leidens ſeines Soh-
nes willen, dieſe Spindel, um die ſich unſer ganzes
Chriſtenthum herumdreht, wie wunderbar ſcheints vielen!
Der Menſch ſoll ſich erſt demüthigen vor Gott, damit er
erhöht werde. Der Menſch ſoll alles der freyen Gnade
Gottes in Jeſu Chriſto zu danken haben, und ſoll doch
fleißig ſeyn in guten Werken! (Titum 3, 14.) Die
Religion des Sohnes Gottes fodert, daß wir uns alle
Schickungen des oberſten Gebieters über Welt und Men-
ſchen gefallen laſſen, auch mit Elend beladen doch den
Gott noch preiſen, der uns lange mit Wohlthaten über-
häuft, (Hiob 2, 10. 35, 10.) und auch im kläglichſten
Zuſtand den Gedanken behalten ſollen, daß dieſer Zeit
Leiden nicht werth ſeyen, gegen die künftige Herr-

lichkeit;
H 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0123" n="117"/><fw place="top" type="header">Vorurtheile in der Religion.</fw><lb/>
zuweilen räth&#x017F;elhafte Auftritte vorkommen, wo wir mehr<lb/>
bewundern, als beurtheilen, mehr &#x017F;tille &#x017F;chweigen, als<lb/>
fragen und richten mü&#x017F;&#x017F;en. Erinnert euch an die feyer-<lb/>
lichen Gebräuche, die er &#x017F;terbend noch vorge&#x017F;chrieben hat.<lb/>
Wie &#x017F;onderbar, wie auffallend, wie &#x017F;elt&#x017F;am kommt uns<lb/>
das <hi rendition="#fr">Abendmahl</hi> vor, &#x017F;obald wir anfangen, es nach un-<lb/>
&#x017F;rer Vernunft zu beurtheilen, und nach dem Maaß&#x017F;tab<lb/>
des gemeinen Lebens auszume&#x017F;&#x017F;en? J&#x017F;t in dem <hi rendition="#fr">Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er,</hi> das den jungen Chri&#x017F;ten aufgego&#x017F;&#x017F;en wird, wenn<lb/>
&#x017F;ie den Eingang in die Kirche &#x017F;uchen, etwas, das uns<lb/>
bey un&#x017F;ern fal&#x017F;chen Begriffen von Ehre und Größe zur<lb/>
Hochachtung bewegen, etwas, das uns Ehrerbietung,<lb/>
Dank und Liebe gegen Gott einflößen könnte? Und doch<lb/>
will un&#x017F;er Heiland, daß wir dadurch zum Genuß &#x017F;einer<lb/>
Liebe gelangen, und dadurch un&#x017F;re Zärtlichkeit gegen ihn<lb/>
vor der Welt zeigen &#x017F;ollen. <hi rendition="#fr">Der Glaube,</hi> das fe&#x017F;te<lb/>
Vertrauen, die innre Zuver&#x017F;icht, und die frohe Erwar-<lb/>
tung alles Guten von Gott um des Leidens &#x017F;eines Soh-<lb/>
nes willen, die&#x017F;e Spindel, um die &#x017F;ich un&#x017F;er ganzes<lb/>
Chri&#x017F;tenthum herumdreht, wie wunderbar &#x017F;cheints vielen!<lb/>
Der Men&#x017F;ch &#x017F;oll &#x017F;ich er&#x017F;t demüthigen vor Gott, damit er<lb/>
erhöht werde. Der Men&#x017F;ch &#x017F;oll alles der freyen Gnade<lb/>
Gottes in Je&#x017F;u Chri&#x017F;to zu danken haben, und &#x017F;oll doch<lb/><hi rendition="#fr">fleißig &#x017F;eyn in guten Werken!</hi> (Titum 3, 14.) Die<lb/>
Religion des Sohnes Gottes fodert, daß wir uns alle<lb/>
Schickungen des ober&#x017F;ten Gebieters über Welt und Men-<lb/>
&#x017F;chen gefallen la&#x017F;&#x017F;en, auch mit Elend beladen doch den<lb/>
Gott noch prei&#x017F;en, der uns lange mit Wohlthaten über-<lb/>
häuft, (Hiob 2, 10. 35, 10.) und auch im kläglich&#x017F;ten<lb/>
Zu&#x017F;tand den Gedanken behalten &#x017F;ollen, <hi rendition="#fr">daß die&#x017F;er Zeit<lb/>
Leiden nicht werth &#x017F;eyen, gegen die künftige Herr-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 3</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">lichkeit;</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0123] Vorurtheile in der Religion. zuweilen räthſelhafte Auftritte vorkommen, wo wir mehr bewundern, als beurtheilen, mehr ſtille ſchweigen, als fragen und richten müſſen. Erinnert euch an die feyer- lichen Gebräuche, die er ſterbend noch vorgeſchrieben hat. Wie ſonderbar, wie auffallend, wie ſeltſam kommt uns das Abendmahl vor, ſobald wir anfangen, es nach un- ſrer Vernunft zu beurtheilen, und nach dem Maaßſtab des gemeinen Lebens auszumeſſen? Jſt in dem Waſ- ſer, das den jungen Chriſten aufgegoſſen wird, wenn ſie den Eingang in die Kirche ſuchen, etwas, das uns bey unſern falſchen Begriffen von Ehre und Größe zur Hochachtung bewegen, etwas, das uns Ehrerbietung, Dank und Liebe gegen Gott einflößen könnte? Und doch will unſer Heiland, daß wir dadurch zum Genuß ſeiner Liebe gelangen, und dadurch unſre Zärtlichkeit gegen ihn vor der Welt zeigen ſollen. Der Glaube, das feſte Vertrauen, die innre Zuverſicht, und die frohe Erwar- tung alles Guten von Gott um des Leidens ſeines Soh- nes willen, dieſe Spindel, um die ſich unſer ganzes Chriſtenthum herumdreht, wie wunderbar ſcheints vielen! Der Menſch ſoll ſich erſt demüthigen vor Gott, damit er erhöht werde. Der Menſch ſoll alles der freyen Gnade Gottes in Jeſu Chriſto zu danken haben, und ſoll doch fleißig ſeyn in guten Werken! (Titum 3, 14.) Die Religion des Sohnes Gottes fodert, daß wir uns alle Schickungen des oberſten Gebieters über Welt und Men- ſchen gefallen laſſen, auch mit Elend beladen doch den Gott noch preiſen, der uns lange mit Wohlthaten über- häuft, (Hiob 2, 10. 35, 10.) und auch im kläglichſten Zuſtand den Gedanken behalten ſollen, daß dieſer Zeit Leiden nicht werth ſeyen, gegen die künftige Herr- lichkeit; H 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/123
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/123>, abgerufen am 21.11.2024.