Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Menschenliebe des Erlösers. es zu bedenken, wie es am Ende gehen würde! Jezt er-füllte das Osterfest die Stadt mit vielen tausend Men- schen; die Reichthümer und Schönheiten von ganz Ju- däa kamen um diese Zeit in Jerusalem zusammen, die Bürger zeigten sich in ihrer ganzen Pracht; der Tempel war beständig von einer Menge müßiger Zuschauer um- ringt; die Altäre dampften unaufhörlich; die Leviten hat- ten immer die Harfe in der Hand; Herodes kam von Rom zurück, und blendete durch seine Kostbarkeiten die Augen aller Unterthanen; das Fest der Religion veran- laßte viele irrdische Ergötzlichkeiten, die durch Ueppigkeit und Verschwendung sündlich wurden; man bat die Frem- den zu Gast, und hielt Zusammenkünfte, in welchen die Religion, die Volksgeschichte, die Absicht Gottes bey diesen jährlichen Versammlungen immer die letzte Unter- redung war; man aß die reizendsten und die köstlichsten Speisen, die das Morgenland geben konnte; man murrte, und beschwerte sich immer über die Regierung der Rö- mer, und zwang dadurch den Statthalter des Kaisers zur Strenge und Schärfe; fast an jedem Abend entstan- den Unordnungen, Händel, Empörungen; die Wollust gieng im Putz auf den Straßen herum, und lockte die Unvorsichtigen ins Netz; man überließ sich dem Spiel, dem Müßiggang, der Unmäßigkeit; und so pflanzte man das Verderben, das von großen und volkreichen Städ- ten unzertrennlich ist, auf das Land fort, das sich nur durch Ordnung, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit im Flor erhalten kann. So sah die Stadt aus, die unser Erlö- ser jezt zum letztenmal besuchen wollte. Sie glaubten, daß sie den Gipfel der menschlichen Glückseligkeit erstie- gen hätten, und er erblickt sie am Rande des Abgrunds. Alles,
Menſchenliebe des Erlöſers. es zu bedenken, wie es am Ende gehen würde! Jezt er-füllte das Oſterfeſt die Stadt mit vielen tauſend Men- ſchen; die Reichthümer und Schönheiten von ganz Ju- däa kamen um dieſe Zeit in Jeruſalem zuſammen, die Bürger zeigten ſich in ihrer ganzen Pracht; der Tempel war beſtändig von einer Menge müßiger Zuſchauer um- ringt; die Altäre dampften unaufhörlich; die Leviten hat- ten immer die Harfe in der Hand; Herodes kam von Rom zurück, und blendete durch ſeine Koſtbarkeiten die Augen aller Unterthanen; das Feſt der Religion veran- laßte viele irrdiſche Ergötzlichkeiten, die durch Ueppigkeit und Verſchwendung ſündlich wurden; man bat die Frem- den zu Gaſt, und hielt Zuſammenkünfte, in welchen die Religion, die Volksgeſchichte, die Abſicht Gottes bey dieſen jährlichen Verſammlungen immer die letzte Unter- redung war; man aß die reizendſten und die köſtlichſten Speiſen, die das Morgenland geben konnte; man murrte, und beſchwerte ſich immer über die Regierung der Rö- mer, und zwang dadurch den Statthalter des Kaiſers zur Strenge und Schärfe; faſt an jedem Abend entſtan- den Unordnungen, Händel, Empörungen; die Wolluſt gieng im Putz auf den Straßen herum, und lockte die Unvorſichtigen ins Netz; man überließ ſich dem Spiel, dem Müßiggang, der Unmäßigkeit; und ſo pflanzte man das Verderben, das von großen und volkreichen Städ- ten unzertrennlich iſt, auf das Land fort, das ſich nur durch Ordnung, Arbeitſamkeit und Sparſamkeit im Flor erhalten kann. So ſah die Stadt aus, die unſer Erlö- ſer jezt zum letztenmal beſuchen wollte. Sie glaubten, daß ſie den Gipfel der menſchlichen Glückſeligkeit erſtie- gen hätten, und er erblickt ſie am Rande des Abgrunds. Alles,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0204" n="198"/><fw place="top" type="header">Menſchenliebe des Erlöſers.</fw><lb/> es zu bedenken, wie es am Ende gehen würde! Jezt er-<lb/> füllte das Oſterfeſt die Stadt mit vielen tauſend Men-<lb/> ſchen; die Reichthümer und Schönheiten von ganz Ju-<lb/> däa kamen um dieſe Zeit in Jeruſalem zuſammen, die<lb/> Bürger zeigten ſich in ihrer ganzen Pracht; der Tempel<lb/> war beſtändig von einer Menge müßiger Zuſchauer um-<lb/> ringt; die Altäre dampften unaufhörlich; die Leviten hat-<lb/> ten immer die Harfe in der Hand; <hi rendition="#fr">Herodes</hi> kam von<lb/> Rom zurück, und blendete durch ſeine Koſtbarkeiten die<lb/> Augen aller Unterthanen; das Feſt der Religion veran-<lb/> laßte viele irrdiſche Ergötzlichkeiten, die durch Ueppigkeit<lb/> und Verſchwendung ſündlich wurden; man bat die Frem-<lb/> den zu Gaſt, und hielt Zuſammenkünfte, in welchen die<lb/> Religion, die Volksgeſchichte, die Abſicht Gottes bey<lb/> dieſen jährlichen Verſammlungen immer die letzte Unter-<lb/> redung war; man aß die reizendſten und die köſtlichſten<lb/> Speiſen, die das Morgenland geben konnte; man murrte,<lb/> und beſchwerte ſich immer über die Regierung der Rö-<lb/> mer, und zwang dadurch den Statthalter des Kaiſers<lb/> zur Strenge und Schärfe; faſt an jedem Abend entſtan-<lb/> den Unordnungen, Händel, Empörungen; die Wolluſt<lb/> gieng im Putz auf den Straßen herum, und lockte die<lb/> Unvorſichtigen ins Netz; man überließ ſich dem Spiel,<lb/> dem Müßiggang, der Unmäßigkeit; und ſo pflanzte man<lb/> das Verderben, das von großen und volkreichen Städ-<lb/> ten unzertrennlich iſt, auf das Land fort, das ſich nur<lb/> durch Ordnung, Arbeitſamkeit und Sparſamkeit im Flor<lb/> erhalten kann. So ſah die Stadt aus, die unſer Erlö-<lb/> ſer jezt zum letztenmal beſuchen wollte. Sie glaubten,<lb/> daß ſie den Gipfel der menſchlichen Glückſeligkeit erſtie-<lb/> gen hätten, und er erblickt ſie am Rande des Abgrunds.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Alles,</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [198/0204]
Menſchenliebe des Erlöſers.
es zu bedenken, wie es am Ende gehen würde! Jezt er-
füllte das Oſterfeſt die Stadt mit vielen tauſend Men-
ſchen; die Reichthümer und Schönheiten von ganz Ju-
däa kamen um dieſe Zeit in Jeruſalem zuſammen, die
Bürger zeigten ſich in ihrer ganzen Pracht; der Tempel
war beſtändig von einer Menge müßiger Zuſchauer um-
ringt; die Altäre dampften unaufhörlich; die Leviten hat-
ten immer die Harfe in der Hand; Herodes kam von
Rom zurück, und blendete durch ſeine Koſtbarkeiten die
Augen aller Unterthanen; das Feſt der Religion veran-
laßte viele irrdiſche Ergötzlichkeiten, die durch Ueppigkeit
und Verſchwendung ſündlich wurden; man bat die Frem-
den zu Gaſt, und hielt Zuſammenkünfte, in welchen die
Religion, die Volksgeſchichte, die Abſicht Gottes bey
dieſen jährlichen Verſammlungen immer die letzte Unter-
redung war; man aß die reizendſten und die köſtlichſten
Speiſen, die das Morgenland geben konnte; man murrte,
und beſchwerte ſich immer über die Regierung der Rö-
mer, und zwang dadurch den Statthalter des Kaiſers
zur Strenge und Schärfe; faſt an jedem Abend entſtan-
den Unordnungen, Händel, Empörungen; die Wolluſt
gieng im Putz auf den Straßen herum, und lockte die
Unvorſichtigen ins Netz; man überließ ſich dem Spiel,
dem Müßiggang, der Unmäßigkeit; und ſo pflanzte man
das Verderben, das von großen und volkreichen Städ-
ten unzertrennlich iſt, auf das Land fort, das ſich nur
durch Ordnung, Arbeitſamkeit und Sparſamkeit im Flor
erhalten kann. So ſah die Stadt aus, die unſer Erlö-
ſer jezt zum letztenmal beſuchen wollte. Sie glaubten,
daß ſie den Gipfel der menſchlichen Glückſeligkeit erſtie-
gen hätten, und er erblickt ſie am Rande des Abgrunds.
Alles,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |