Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Menschenliebe des Erlösers. den Messias hätten annehmen können, die alle, bey wel-chen die Unwissenheit, der Mangel der Ueberlegung, die Trägheit des Verstandes, und der Ekel an ernsthaften Gedanken ihm, und seiner Lehre im Weg stand, diese alle bedauert, beklagt, beweint Jesus Christus. Jene wi- dersprachen ihm aus Geiz und Herrschsucht. Mit der Gründung seines Reichs, das sahen sie wohl, mußte ihr Thron einstürzen. Ihre ausschweifende Lüste verdun- kelten den Verstand, und hinderten sie, ihm, als dem Versöhner Gottes zu Fuß zu fallen. Aber alle andre Classen der Einwohner giengen, wie immer, in der Ge- dankenlosigkeit fort. Die Feste wechselten ab, der sitt- liche Zustand der Nation ward aber dadurch nicht gebes- sert. An Opfer und Räuchwerk fehlte es nicht, aber das Volk glich dem Feigenbaum, der viele Blätter, und keine Früchte hatte. Johannes kam, und ward vergessen. Der Messias kam, seine Wunder wurden angestaunt, und vergessen. Er besuchte die Feste, aber niemand wollte mit ihm aus der Stadt gehen, und seine neue Religion lernen. Er erweckte in Nain einen Todten, die ganze Hauptstadt sprach davon, aber so lange, bis wieder ein andrer Vorfall sie beschäftigte*). Er rief den Lazarus nahe bey Jerusalem aus der Verwesung -- aber im ewigen Zirkel von Wollüsten, Zerstreuungen, Sorgen und Begierden dachte man an keine Verbesserung in der Religions- *) Man hat in Engelland das wahre Sprichwort: A won-
der lasts but nine days, d. h. man wundert sich nur so lange darüber, als die Sache neu ist. S. Shakespears König Heinrich VI. Daher sagt auch unser Erlöser gewiß mit vieler Menschenkenntniß, daß Wunder den Men- schen nicht bekchren, aber das Wort Gottes. s. Lucä 16, 31. Menſchenliebe des Erlöſers. den Meſſias hätten annehmen können, die alle, bey wel-chen die Unwiſſenheit, der Mangel der Ueberlegung, die Trägheit des Verſtandes, und der Ekel an ernſthaften Gedanken ihm, und ſeiner Lehre im Weg ſtand, dieſe alle bedauert, beklagt, beweint Jeſus Chriſtus. Jene wi- derſprachen ihm aus Geiz und Herrſchſucht. Mit der Gründung ſeines Reichs, das ſahen ſie wohl, mußte ihr Thron einſtürzen. Ihre ausſchweifende Lüſte verdun- kelten den Verſtand, und hinderten ſie, ihm, als dem Verſöhner Gottes zu Fuß zu fallen. Aber alle andre Claſſen der Einwohner giengen, wie immer, in der Ge- dankenloſigkeit fort. Die Feſte wechſelten ab, der ſitt- liche Zuſtand der Nation ward aber dadurch nicht gebeſ- ſert. An Opfer und Räuchwerk fehlte es nicht, aber das Volk glich dem Feigenbaum, der viele Blätter, und keine Früchte hatte. Johannes kam, und ward vergeſſen. Der Meſſias kam, ſeine Wunder wurden angeſtaunt, und vergeſſen. Er beſuchte die Feſte, aber niemand wollte mit ihm aus der Stadt gehen, und ſeine neue Religion lernen. Er erweckte in Nain einen Todten, die ganze Hauptſtadt ſprach davon, aber ſo lange, bis wieder ein andrer Vorfall ſie beſchäftigte*). Er rief den Lazarus nahe bey Jeruſalem aus der Verweſung — aber im ewigen Zirkel von Wollüſten, Zerſtreuungen, Sorgen und Begierden dachte man an keine Verbeſſerung in der Religions- *) Man hat in Engelland das wahre Sprichwort: A won-
der laſts but nine days, d. h. man wundert ſich nur ſo lange darüber, als die Sache neu iſt. S. Shakeſpears König Heinrich VI. Daher ſagt auch unſer Erlöſer gewiß mit vieler Menſchenkenntniß, daß Wunder den Men- ſchen nicht bekchren, aber das Wort Gottes. ſ. Lucä 16, 31. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0208" n="202"/><fw place="top" type="header">Menſchenliebe des Erlöſers.</fw><lb/> den Meſſias hätten annehmen können, die alle, bey wel-<lb/> chen die Unwiſſenheit, der Mangel der Ueberlegung, die<lb/> Trägheit des Verſtandes, und der Ekel an ernſthaften<lb/> Gedanken ihm, und ſeiner Lehre im Weg ſtand, dieſe<lb/> alle bedauert, beklagt, beweint Jeſus Chriſtus. Jene wi-<lb/> derſprachen ihm aus Geiz und Herrſchſucht. Mit der<lb/> Gründung ſeines Reichs, das ſahen ſie wohl, mußte ihr<lb/> Thron einſtürzen. Ihre ausſchweifende Lüſte verdun-<lb/> kelten den Verſtand, und hinderten ſie, ihm, als dem<lb/> Verſöhner Gottes zu Fuß zu fallen. Aber alle andre<lb/> Claſſen der Einwohner giengen, wie immer, in der Ge-<lb/> dankenloſigkeit fort. Die Feſte wechſelten ab, der ſitt-<lb/> liche Zuſtand der Nation ward aber dadurch nicht gebeſ-<lb/> ſert. An Opfer und Räuchwerk fehlte es nicht, aber<lb/> das Volk glich dem Feigenbaum, der viele Blätter, und<lb/> keine Früchte hatte. Johannes kam, und ward vergeſſen.<lb/> Der Meſſias kam, ſeine Wunder wurden angeſtaunt, und<lb/> vergeſſen. Er beſuchte die Feſte, aber niemand wollte<lb/> mit ihm aus der Stadt gehen, und ſeine neue Religion<lb/> lernen. Er erweckte in Nain einen Todten, die ganze<lb/> Hauptſtadt ſprach davon, aber ſo lange, bis wieder ein<lb/> andrer Vorfall ſie beſchäftigte<note place="foot" n="*)">Man hat in Engelland das wahre Sprichwort: <hi rendition="#aq">A won-<lb/> der laſts but nine days,</hi> d. h. man wundert ſich nur ſo<lb/> lange darüber, als die Sache neu iſt. S. <hi rendition="#fr">Shakeſpears</hi><lb/> König Heinrich <hi rendition="#aq">VI.</hi> Daher ſagt auch unſer Erlöſer<lb/> gewiß mit vieler Menſchenkenntniß, daß Wunder den Men-<lb/> ſchen nicht bekchren, aber das Wort Gottes. ſ. Lucä 16, 31.</note>. Er rief den Lazarus<lb/> nahe bey Jeruſalem aus der Verweſung — aber im<lb/> ewigen Zirkel von Wollüſten, Zerſtreuungen, Sorgen<lb/> und Begierden dachte man an keine Verbeſſerung in der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Religions-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [202/0208]
Menſchenliebe des Erlöſers.
den Meſſias hätten annehmen können, die alle, bey wel-
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Trägheit des Verſtandes, und der Ekel an ernſthaften
Gedanken ihm, und ſeiner Lehre im Weg ſtand, dieſe
alle bedauert, beklagt, beweint Jeſus Chriſtus. Jene wi-
derſprachen ihm aus Geiz und Herrſchſucht. Mit der
Gründung ſeines Reichs, das ſahen ſie wohl, mußte ihr
Thron einſtürzen. Ihre ausſchweifende Lüſte verdun-
kelten den Verſtand, und hinderten ſie, ihm, als dem
Verſöhner Gottes zu Fuß zu fallen. Aber alle andre
Claſſen der Einwohner giengen, wie immer, in der Ge-
dankenloſigkeit fort. Die Feſte wechſelten ab, der ſitt-
liche Zuſtand der Nation ward aber dadurch nicht gebeſ-
ſert. An Opfer und Räuchwerk fehlte es nicht, aber
das Volk glich dem Feigenbaum, der viele Blätter, und
keine Früchte hatte. Johannes kam, und ward vergeſſen.
Der Meſſias kam, ſeine Wunder wurden angeſtaunt, und
vergeſſen. Er beſuchte die Feſte, aber niemand wollte
mit ihm aus der Stadt gehen, und ſeine neue Religion
lernen. Er erweckte in Nain einen Todten, die ganze
Hauptſtadt ſprach davon, aber ſo lange, bis wieder ein
andrer Vorfall ſie beſchäftigte *). Er rief den Lazarus
nahe bey Jeruſalem aus der Verweſung — aber im
ewigen Zirkel von Wollüſten, Zerſtreuungen, Sorgen
und Begierden dachte man an keine Verbeſſerung in der
Religions-
*) Man hat in Engelland das wahre Sprichwort: A won-
der laſts but nine days, d. h. man wundert ſich nur ſo
lange darüber, als die Sache neu iſt. S. Shakeſpears
König Heinrich VI. Daher ſagt auch unſer Erlöſer
gewiß mit vieler Menſchenkenntniß, daß Wunder den Men-
ſchen nicht bekchren, aber das Wort Gottes. ſ. Lucä 16, 31.
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