Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Gleichmüthigkeit des Erlösers. keine Leidenschaft. Immer der großen Regel treu:Mein Vater wirkt immer, also muß auch mein Leben ein beständiges Wohlthun seyn! (Joh. 5, 17.) gieng er mit aller Ruhe, mit einer Munterkeit, die sich fast immer gleich blieb, und die ihn eben hauptsächlich bey seinen gehäuften Beschäftigungen unterstützen mußte, als Herr und Schöpfer der Erde, und doch so, daß man es ihm nicht ansah, auf unsrer Erde herum, ließ Men- schenliebe und Gütigkeit vor sich hergehen, aß selber von den Früchten, die seine Natur ihm bringen mußte, und war immer heiter und zufrieden. Er hatte seine trau- rige Stunden. Die Wehmuth über den betrübten Zu- stand des Volks überfiel ihn oft, es machte ihm viel Kummer, daß er nicht mehr Eingang finden, die Her- zen nicht noch mehr gewinnen, noch mehr für seine Lehre einnehmen konnte. Ein andermal sah er an seinen Apo- steln einen Funken von Feuer, er sah den Tag anbrechen in der Seele, ihr Vertrauen zu ihm wuchs allmählich, die Jünger kamen nach ihren ersten Auswanderungen, die sie in seinem Namen gethan hatten, mit Freuden zurück, und erzählten ihm die großen Wunder, die sie, als seine Boten, verrichtet hätten. (Luc. 10, 17.) Der Menschen- freund freute sich mit ihnen, er dankte Gott für das kom- mende Glück der Menschenwelt, (V. 21. 22.) aber Freude und Traurigkeit überschritt bey ihm nie die Grenzen, der Affect warf ihn nie aus seinem Gleichgewicht, er trock- nete sich das Gesicht ab, und fuhr in seinem Amt fort, er öffnete die Seele vor Gott dem beruhigendsten Entzü- cken, und scheute doch den ekeln Geruch der Krankenstu- ben, und den krebsartigen Anblick der Aussätzigen, de- nen die Glieder vom Leib fallen konnten, nicht. Selbst sein Q 5
Gleichmüthigkeit des Erlöſers. keine Leidenſchaft. Immer der großen Regel treu:Mein Vater wirkt immer, alſo muß auch mein Leben ein beſtändiges Wohlthun ſeyn! (Joh. 5, 17.) gieng er mit aller Ruhe, mit einer Munterkeit, die ſich faſt immer gleich blieb, und die ihn eben hauptſächlich bey ſeinen gehäuften Beſchäftigungen unterſtützen mußte, als Herr und Schöpfer der Erde, und doch ſo, daß man es ihm nicht anſah, auf unſrer Erde herum, ließ Men- ſchenliebe und Gütigkeit vor ſich hergehen, aß ſelber von den Früchten, die ſeine Natur ihm bringen mußte, und war immer heiter und zufrieden. Er hatte ſeine trau- rige Stunden. Die Wehmuth über den betrübten Zu- ſtand des Volks überfiel ihn oft, es machte ihm viel Kummer, daß er nicht mehr Eingang finden, die Her- zen nicht noch mehr gewinnen, noch mehr für ſeine Lehre einnehmen konnte. Ein andermal ſah er an ſeinen Apo- ſteln einen Funken von Feuer, er ſah den Tag anbrechen in der Seele, ihr Vertrauen zu ihm wuchs allmählich, die Jünger kamen nach ihren erſten Auswanderungen, die ſie in ſeinem Namen gethan hatten, mit Freuden zurück, und erzählten ihm die großen Wunder, die ſie, als ſeine Boten, verrichtet hätten. (Luc. 10, 17.) Der Menſchen- freund freute ſich mit ihnen, er dankte Gott für das kom- mende Glück der Menſchenwelt, (V. 21. 22.) aber Freude und Traurigkeit überſchritt bey ihm nie die Grenzen, der Affect warf ihn nie aus ſeinem Gleichgewicht, er trock- nete ſich das Geſicht ab, und fuhr in ſeinem Amt fort, er öffnete die Seele vor Gott dem beruhigendſten Entzü- cken, und ſcheute doch den ekeln Geruch der Krankenſtu- ben, und den krebsartigen Anblick der Ausſätzigen, de- nen die Glieder vom Leib fallen konnten, nicht. Selbſt ſein Q 5
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Gleichmüthigkeit des Erlöſers.
keine Leidenſchaft. Immer der großen Regel treu:
Mein Vater wirkt immer, alſo muß auch mein
Leben ein beſtändiges Wohlthun ſeyn! (Joh. 5, 17.)
gieng er mit aller Ruhe, mit einer Munterkeit, die ſich
faſt immer gleich blieb, und die ihn eben hauptſächlich
bey ſeinen gehäuften Beſchäftigungen unterſtützen mußte,
als Herr und Schöpfer der Erde, und doch ſo, daß man
es ihm nicht anſah, auf unſrer Erde herum, ließ Men-
ſchenliebe und Gütigkeit vor ſich hergehen, aß ſelber von
den Früchten, die ſeine Natur ihm bringen mußte, und
war immer heiter und zufrieden. Er hatte ſeine trau-
rige Stunden. Die Wehmuth über den betrübten Zu-
ſtand des Volks überfiel ihn oft, es machte ihm viel
Kummer, daß er nicht mehr Eingang finden, die Her-
zen nicht noch mehr gewinnen, noch mehr für ſeine Lehre
einnehmen konnte. Ein andermal ſah er an ſeinen Apo-
ſteln einen Funken von Feuer, er ſah den Tag anbrechen
in der Seele, ihr Vertrauen zu ihm wuchs allmählich, die
Jünger kamen nach ihren erſten Auswanderungen, die
ſie in ſeinem Namen gethan hatten, mit Freuden zurück,
und erzählten ihm die großen Wunder, die ſie, als ſeine
Boten, verrichtet hätten. (Luc. 10, 17.) Der Menſchen-
freund freute ſich mit ihnen, er dankte Gott für das kom-
mende Glück der Menſchenwelt, (V. 21. 22.) aber Freude
und Traurigkeit überſchritt bey ihm nie die Grenzen, der
Affect warf ihn nie aus ſeinem Gleichgewicht, er trock-
nete ſich das Geſicht ab, und fuhr in ſeinem Amt fort,
er öffnete die Seele vor Gott dem beruhigendſten Entzü-
cken, und ſcheute doch den ekeln Geruch der Krankenſtu-
ben, und den krebsartigen Anblick der Ausſätzigen, de-
nen die Glieder vom Leib fallen konnten, nicht. Selbſt
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