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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von der wenigen Zahl der Außerwählten.
muth bey den Jungen! und wie allgemeine Vngerechtig-
keit bey allem Volck!
Seynd dieß nicht entsetzliche Wort/ mein
Christliche Seel? Wann nicht ein so heiliger Mann dieselbe gesprochen
hätte/ wer solts glauben können? Und wann zu denen Zeiten/ umb das vier-
hunderste Jahr nach der heylsamen Geburt deß Herrn/ da die Christ-Glau-
bige noch in ihrem ersten Eiffer waren/ so wenige haben können seelig werden;
O mein GOtt! was Raths/ was Raths dann mit unsern Zeiten? was
Raths mit unser Welt/ die so voll von Liegen und Betriegen ist/ in der man
schier nichts höret/ als Sünden und Laster? Deren Kinder die mehreste
und beste Zeit ihres Lebens mehr den eytelen Ehren und augenblicklichen
Freuden/ als ihrem GOTE/ ihrem Ersehöpffer/ Erlöser und höchsten
Wohlthäter auffopffern.

9. Auff daß du nun über die wenige Zahl der Außerwöhlten weiters
versichert werdest; Als hab ich dir einige Merck- und glaubwürdige Ge-
schichten anbeyfügen wollen; Auß denen du mit grosser Forcht und Zittern/Spec.
Exem.
vid.
Damnat.
Exem. 2.
Historia.

die Warheit der eingerichteten Meynungen klärlich ersehen kanst. Jm Leben
deß H. Bernardileset man von einem Einsiedler/ welcher ein sehr strenges
Leben geführet/ vorhin aber Dechant zu Lingonien gewesen war; daß er sei-
ne feiste Präbend sambt allem Welt-Pracht auß Forcht Gottes verlassen/
und sich in die Wüsten retiriret habe. Nachdeme selbiger fünff und zwantzig
Jahr in mehr als gemeiner Heyligkeit hat zugebracht/ ist er nach seinem see-
ligen Hinscheiden dem Bischoff zu Lingonien/ deme er bey seinen Lebzeiten
bekennt gewesen/ erschienen/ und hat selbigen mit diesen erschröcklichen Wor-
ten angeredet/ und gesagt: Thue Buß/ bessere dein Leben/ und saubere dein
Gewissen; Verlasse die Hoffart sambt dem Geitz; Jm widrigen Fall wir-
stu der ewigen Seeligkeit nicht theilhafftig werden: Ach/ ach! der arme
Mensch kan so leicht nicht seelig werden/ wie man vermeynet. Da ich dem
erschröcklichen Gericht-Gottes bin vorgestellt worden/ seynd mit mir auffm
Gerichts-Platz erschienen dreissig tausend Seelen; auß welcher Zahl der
fromme Diener GOttes Bernardus und ich seynd seelig worden: Drey
seynd zum Feeg-Fewr/ und der übrige Rest ist zur Höllen verdambt wor-
den. Nach diesem ertheilten Bericht ist der Einsiedler verschwunden. Hier-
über laß ich dich mein Christliche Seel urtheilen/ wie es in jener Welt her-
gehen werde: Jch aber lebe inzwischen in grosser Forcht/ und trachte mein
Leben von Tag zu Tag/ von Stund zu Stund; und von einem Augen-
blick zum andern zu bessern.

10. Noch
P p p p 2

Von der wenigen Zahl der Außerwaͤhlten.
muth bey den Jungen! und wie allgemeine Vngerechtig-
keit bey allem Volck!
Seynd dieß nicht entſetzliche Wort/ mein
Chriſtliche Seel? Wann nicht ein ſo heiliger Mann dieſelbe geſprochen
haͤtte/ wer ſolts glauben koͤnnen? Und wann zu denen Zeiten/ umb das vier-
hunderſte Jahr nach der heylſamen Geburt deß Herrn/ da die Chriſt-Glau-
bige noch in ihrem erſten Eiffer waren/ ſo wenige haben koͤnnen ſeelig werden;
O mein GOtt! was Raths/ was Raths dann mit unſern Zeiten? was
Raths mit unſer Welt/ die ſo voll von Liegen und Betriegen iſt/ in der man
ſchier nichts hoͤret/ als Suͤnden und Laſter? Deren Kinder die mehreſte
und beſte Zeit ihres Lebens mehr den eytelen Ehren und augenblicklichen
Freuden/ als ihrem GOTE/ ihrem Erſehoͤpffer/ Erloͤſer und hoͤchſten
Wohlthaͤter auffopffern.

9. Auff daß du nun uͤber die wenige Zahl der Außerwoͤhlten weiters
verſichert werdeſt; Als hab ich dir einige Merck- und glaubwuͤrdige Ge-
ſchichten anbeyfuͤgen wollen; Auß denen du mit groſſer Forcht und Zittern/Spec.
Exem.
vid.
Damnat.
Exem. 2.
Hiſtoria.

die Warheit der eingerichteten Meynungen klaͤrlich erſehen kanſt. Jm Leben
deß H. Bernardileſet man von einem Einſiedler/ welcher ein ſehr ſtrenges
Leben gefuͤhret/ vorhin aber Dechant zu Lingonien geweſen war; daß er ſei-
ne feiſte Praͤbend ſambt allem Welt-Pracht auß Forcht Gottes verlaſſen/
und ſich in die Wuͤſten retiriret habe. Nachdeme ſelbiger fuͤnff und zwantzig
Jahr in mehr als gemeiner Heyligkeit hat zugebracht/ iſt er nach ſeinem ſee-
ligen Hinſcheiden dem Biſchoff zu Lingonien/ deme er bey ſeinen Lebzeiten
bekennt geweſen/ erſchienen/ und hat ſelbigen mit dieſen erſchroͤcklichen Wor-
ten angeredet/ und geſagt: Thue Buß/ beſſere dein Leben/ und ſaubere dein
Gewiſſen; Verlaſſe die Hoffart ſambt dem Geitz; Jm widrigen Fall wir-
ſtu der ewigen Seeligkeit nicht theilhafftig werden: Ach/ ach! der arme
Menſch kan ſo leicht nicht ſeelig werden/ wie man vermeynet. Da ich dem
erſchroͤcklichen Gericht-Gottes bin vorgeſtellt worden/ ſeynd mit mir auffm
Gerichts-Platz erſchienen dreiſſig tauſend Seelen; auß welcher Zahl der
fromme Diener GOttes Bernardus und ich ſeynd ſeelig worden: Drey
ſeynd zum Feeg-Fewr/ und der uͤbrige Reſt iſt zur Hoͤllen verdambt wor-
den. Nach dieſem ertheilten Bericht iſt der Einſiedler verſchwunden. Hier-
uͤber laß ich dich mein Chriſtliche Seel urtheilen/ wie es in jener Welt her-
gehen werde: Jch aber lebe inzwiſchen in groſſer Forcht/ und trachte mein
Leben von Tag zu Tag/ von Stund zu Stund; und von einem Augen-
blick zum andern zu beſſern.

10. Noch
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[667/0695] Von der wenigen Zahl der Außerwaͤhlten. muth bey den Jungen! und wie allgemeine Vngerechtig- keit bey allem Volck! Seynd dieß nicht entſetzliche Wort/ mein Chriſtliche Seel? Wann nicht ein ſo heiliger Mann dieſelbe geſprochen haͤtte/ wer ſolts glauben koͤnnen? Und wann zu denen Zeiten/ umb das vier- hunderſte Jahr nach der heylſamen Geburt deß Herrn/ da die Chriſt-Glau- bige noch in ihrem erſten Eiffer waren/ ſo wenige haben koͤnnen ſeelig werden; O mein GOtt! was Raths/ was Raths dann mit unſern Zeiten? was Raths mit unſer Welt/ die ſo voll von Liegen und Betriegen iſt/ in der man ſchier nichts hoͤret/ als Suͤnden und Laſter? Deren Kinder die mehreſte und beſte Zeit ihres Lebens mehr den eytelen Ehren und augenblicklichen Freuden/ als ihrem GOTE/ ihrem Erſehoͤpffer/ Erloͤſer und hoͤchſten Wohlthaͤter auffopffern. 9. Auff daß du nun uͤber die wenige Zahl der Außerwoͤhlten weiters verſichert werdeſt; Als hab ich dir einige Merck- und glaubwuͤrdige Ge- ſchichten anbeyfuͤgen wollen; Auß denen du mit groſſer Forcht und Zittern/ die Warheit der eingerichteten Meynungen klaͤrlich erſehen kanſt. Jm Leben deß H. Bernardileſet man von einem Einſiedler/ welcher ein ſehr ſtrenges Leben gefuͤhret/ vorhin aber Dechant zu Lingonien geweſen war; daß er ſei- ne feiſte Praͤbend ſambt allem Welt-Pracht auß Forcht Gottes verlaſſen/ und ſich in die Wuͤſten retiriret habe. Nachdeme ſelbiger fuͤnff und zwantzig Jahr in mehr als gemeiner Heyligkeit hat zugebracht/ iſt er nach ſeinem ſee- ligen Hinſcheiden dem Biſchoff zu Lingonien/ deme er bey ſeinen Lebzeiten bekennt geweſen/ erſchienen/ und hat ſelbigen mit dieſen erſchroͤcklichen Wor- ten angeredet/ und geſagt: Thue Buß/ beſſere dein Leben/ und ſaubere dein Gewiſſen; Verlaſſe die Hoffart ſambt dem Geitz; Jm widrigen Fall wir- ſtu der ewigen Seeligkeit nicht theilhafftig werden: Ach/ ach! der arme Menſch kan ſo leicht nicht ſeelig werden/ wie man vermeynet. Da ich dem erſchroͤcklichen Gericht-Gottes bin vorgeſtellt worden/ ſeynd mit mir auffm Gerichts-Platz erſchienen dreiſſig tauſend Seelen; auß welcher Zahl der fromme Diener GOttes Bernardus und ich ſeynd ſeelig worden: Drey ſeynd zum Feeg-Fewr/ und der uͤbrige Reſt iſt zur Hoͤllen verdambt wor- den. Nach dieſem ertheilten Bericht iſt der Einſiedler verſchwunden. Hier- uͤber laß ich dich mein Chriſtliche Seel urtheilen/ wie es in jener Welt her- gehen werde: Jch aber lebe inzwiſchen in groſſer Forcht/ und trachte mein Leben von Tag zu Tag/ von Stund zu Stund; und von einem Augen- blick zum andern zu beſſern. Spec. Exem. vid. Damnat. Exem. 2. Hiſtoria. 10. Noch P p p p 2

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/695>, abgerufen am 22.11.2024.