Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740.(I. Th.) Anatomisch-Medicinische zweiflung zu stürtzen, als er vorhin gewesen war, mich zur Sün-de zu reitzen. Und da ich meinen Tod vor Augen sahe, so konn- te ich nicht mehr sicher seyn: daher bestrebte ich mich mit allem Vermögen, meine vorige Gottlosigkeit zu bereuen. Aber ach was kann ein Mensch thun, wenn ihn der Geist des HErrn verlassen hat? Denn ich mochte es angreiffen, wie ich wolte, so konte ich mich unter der Last meiner Sünden nicht aufrichten. Denn ich hatte keinen Glauben, der mich versichern mögen, daß mir mei- ne Sünden solten vergeben werden. Und weil ich das wahre Wesen der Religion nicht verstund: so vermeinte ich, die äusser- liche Uebungen derselben würden mir eine Beförderung zur Se- ligkeit seyn. Also ging ich fleißig zur Kirchen, und hörte die Predigten mit Vergnügen an, insonderheit diejenigen, welche bußfertigen Sündern Vergebung verhiessen. Daher war ich nun so ehrbar als iemand, und schien so fromm und andächtig, als die meisten. Allein meine Busse entsprang aus keinem lau- tern und aufrichtigen Hertzen; sondern nur aus Furcht vor der Straffe. Und die Welt, welche einem Menschen nicht ins Hertz sehen kann, betrog sich an mir. Denn ich wurde von etlichen Personen angemercket, welche wol recht fromm seyn mochten. Diese beredeten mich das heilige Abendmahl zu empfahen. Aber ach! wie ungeschickt war ich für ein so heiliges Gastmahl: weil es mir an den nöthigen Eigenschaften fehlte, die mich zu einem würdigen Gast machen sollen. Dessen ungeachtet unterwand ich mich von Zeit zu Zeit zum Tisch des HErrn zu gehen, bis mich im Jahr 1718. ein solch schreckliches Gericht betraf, wel- ches mich gäntzlich von GOtt und seinem Dienst abzog. Wor- in dieses göttliche Gericht bestanden, will ich unterschiedener Ursachen halber nicht hieher setzen. Denn wenn ich es gleich thäte, so würden es doch die wenigsten glauben, weil es dem sinnlichen Auge verborgen ist. Und gleichwie meine Sünden wieder den allmächtigen GOtt begangen worden, daß sie der Welt verborgen geblieben: also straffet mich der Allmächtige auch, daß die Welt meine Straffe nicht gewahr wird. Mein Wunsch ist nur, daß alle diejenigen, welchen dieser Brief zu Ge- sichte kommen solte, ein Exempel an mir nehmen, und sich durch diesen meinen Fall warnen lassen mögen; daß sie sich nicht unterstehen, ohne gebührende Vorbereitung zum Tisch des HErrn zu nahen. Um die Zeit, da mich dieses göttliche Gericht betraf, hörte ich eine Predigt, deren Text aus Luc. 19. v. 41. 42. genommen war. Und als er (JEsus) nahe hin- zu kam, sahe er die Stadt an, und weinete über sie, und sprach: Wenn du es wüstest, so würdest du auch be- dencken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen. Woraus der Prediger vorstellete, 1) daß ein Tag der Gnaden wäre, woran sich ein ieder Mensch glückselig machen könnte, wenn
(I. Th.) Anatomiſch-Mediciniſche zweiflung zu ſtuͤrtzen, als er vorhin geweſen war, mich zur Suͤn-de zu reitzen. Und da ich meinen Tod vor Augen ſahe, ſo konn- te ich nicht mehr ſicher ſeyn: daher beſtrebte ich mich mit allem Vermoͤgen, meine vorige Gottloſigkeit zu bereuen. Aber ach was kann ein Menſch thun, wenn ihn der Geiſt des HErrn verlaſſen hat? Denn ich mochte es angreiffen, wie ich wolte, ſo konte ich mich unter der Laſt meiner Suͤnden nicht aufrichten. Denn ich hatte keinen Glauben, der mich verſichern moͤgen, daß mir mei- ne Suͤnden ſolten vergeben werden. Und weil ich das wahre Weſen der Religion nicht verſtund: ſo vermeinte ich, die aͤuſſer- liche Uebungen derſelben wuͤrden mir eine Befoͤrderung zur Se- ligkeit ſeyn. Alſo ging ich fleißig zur Kirchen, und hoͤrte die Predigten mit Vergnuͤgen an, inſonderheit diejenigen, welche bußfertigen Suͤndern Vergebung verhieſſen. Daher war ich nun ſo ehrbar als iemand, und ſchien ſo fromm und andaͤchtig, als die meiſten. Allein meine Buſſe entſprang aus keinem lau- tern und aufrichtigen Hertzen; ſondern nur aus Furcht vor der Straffe. Und die Welt, welche einem Menſchen nicht ins Hertz ſehen kann, betrog ſich an mir. Denn ich wurde von etlichen Perſonen angemercket, welche wol recht fromm ſeyn mochten. Dieſe beredeten mich das heilige Abendmahl zu empfahen. Aber ach! wie ungeſchickt war ich fuͤr ein ſo heiliges Gaſtmahl: weil es mir an den noͤthigen Eigenſchaften fehlte, die mich zu einem wuͤrdigen Gaſt machen ſollen. Deſſen ungeachtet unterwand ich mich von Zeit zu Zeit zum Tiſch des HErrn zu gehen, bis mich im Jahr 1718. ein ſolch ſchreckliches Gericht betraf, wel- ches mich gaͤntzlich von GOtt und ſeinem Dienſt abzog. Wor- in dieſes goͤttliche Gericht beſtanden, will ich unterſchiedener Urſachen halber nicht hieher ſetzen. Denn wenn ich es gleich thaͤte, ſo wuͤrden es doch die wenigſten glauben, weil es dem ſinnlichen Auge verborgen iſt. Und gleichwie meine Suͤnden wieder den allmaͤchtigen GOtt begangen worden, daß ſie der Welt verborgen geblieben: alſo ſtraffet mich der Allmaͤchtige auch, daß die Welt meine Straffe nicht gewahr wird. Mein Wunſch iſt nur, daß alle diejenigen, welchen dieſer Brief zu Ge- ſichte kommen ſolte, ein Exempel an mir nehmen, und ſich durch dieſen meinen Fall warnen laſſen moͤgen; daß ſie ſich nicht unterſtehen, ohne gebuͤhrende Vorbereitung zum Tiſch des HErrn zu nahen. Um die Zeit, da mich dieſes goͤttliche Gericht betraf, hoͤrte ich eine Predigt, deren Text aus Luc. 19. v. 41. 42. genommen war. Und als er (JEſus) nahe hin- zu kam, ſahe er die Stadt an, und weinete uͤber ſie, und ſprach: Wenn du es wuͤſteſt, ſo wuͤrdeſt du auch be- dencken zu dieſer deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber nun iſt es vor deinen Augen verborgen. Woraus der Prediger vorſtellete, 1) daß ein Tag der Gnaden waͤre, woran ſich ein ieder Menſch gluͤckſelig machen koͤnnte, wenn
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(I. Th.) Anatomiſch-Mediciniſche
zweiflung zu ſtuͤrtzen, als er vorhin geweſen war, mich zur Suͤn-
de zu reitzen. Und da ich meinen Tod vor Augen ſahe, ſo konn-
te ich nicht mehr ſicher ſeyn: daher beſtrebte ich mich mit allem
Vermoͤgen, meine vorige Gottloſigkeit zu bereuen. Aber ach was
kann ein Menſch thun, wenn ihn der Geiſt des HErrn verlaſſen
hat? Denn ich mochte es angreiffen, wie ich wolte, ſo konte ich
mich unter der Laſt meiner Suͤnden nicht aufrichten. Denn ich
hatte keinen Glauben, der mich verſichern moͤgen, daß mir mei-
ne Suͤnden ſolten vergeben werden. Und weil ich das wahre
Weſen der Religion nicht verſtund: ſo vermeinte ich, die aͤuſſer-
liche Uebungen derſelben wuͤrden mir eine Befoͤrderung zur Se-
ligkeit ſeyn. Alſo ging ich fleißig zur Kirchen, und hoͤrte die
Predigten mit Vergnuͤgen an, inſonderheit diejenigen, welche
bußfertigen Suͤndern Vergebung verhieſſen. Daher war ich
nun ſo ehrbar als iemand, und ſchien ſo fromm und andaͤchtig,
als die meiſten. Allein meine Buſſe entſprang aus keinem lau-
tern und aufrichtigen Hertzen; ſondern nur aus Furcht vor der
Straffe. Und die Welt, welche einem Menſchen nicht ins Hertz
ſehen kann, betrog ſich an mir. Denn ich wurde von etlichen
Perſonen angemercket, welche wol recht fromm ſeyn mochten.
Dieſe beredeten mich das heilige Abendmahl zu empfahen. Aber
ach! wie ungeſchickt war ich fuͤr ein ſo heiliges Gaſtmahl: weil
es mir an den noͤthigen Eigenſchaften fehlte, die mich zu einem
wuͤrdigen Gaſt machen ſollen. Deſſen ungeachtet unterwand
ich mich von Zeit zu Zeit zum Tiſch des HErrn zu gehen, bis
mich im Jahr 1718. ein ſolch ſchreckliches Gericht betraf, wel-
ches mich gaͤntzlich von GOtt und ſeinem Dienſt abzog. Wor-
in dieſes goͤttliche Gericht beſtanden, will ich unterſchiedener
Urſachen halber nicht hieher ſetzen. Denn wenn ich es gleich
thaͤte, ſo wuͤrden es doch die wenigſten glauben, weil es dem
ſinnlichen Auge verborgen iſt. Und gleichwie meine Suͤnden
wieder den allmaͤchtigen GOtt begangen worden, daß ſie der
Welt verborgen geblieben: alſo ſtraffet mich der Allmaͤchtige
auch, daß die Welt meine Straffe nicht gewahr wird. Mein
Wunſch iſt nur, daß alle diejenigen, welchen dieſer Brief zu Ge-
ſichte kommen ſolte, ein Exempel an mir nehmen, und ſich
durch dieſen meinen Fall warnen laſſen moͤgen; daß ſie ſich
nicht unterſtehen, ohne gebuͤhrende Vorbereitung zum Tiſch
des HErrn zu nahen. Um die Zeit, da mich dieſes goͤttliche
Gericht betraf, hoͤrte ich eine Predigt, deren Text aus Luc. 19.
v. 41. 42. genommen war. Und als er (JEſus) nahe hin-
zu kam, ſahe er die Stadt an, und weinete uͤber ſie, und
ſprach: Wenn du es wuͤſteſt, ſo wuͤrdeſt du auch be-
dencken zu dieſer deiner Zeit, was zu deinem Frieden
dienet. Aber nun iſt es vor deinen Augen verborgen.
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waͤre, woran ſich ein ieder Menſch gluͤckſelig machen koͤnnte,
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