versieht eigentlich nur Schreibersdienst bey dem Ge- richtsgebrauch. So ist es in Frankreich in der That, und eine von dem Gerichtsgebrauch verschiedene The- orie existirt da eigentlich nicht, so daß alles, was über die Unsicherheit des praktischen Rechts gesagt worden ist, auch die Theorie trifft. Die Lehranstal- ten allein haben ihrer Natur nach eine ganz theore- tische Form: von diesen wird im folgenden Abschnitt bequemer gesprochen werden können.
Allerdings können einige Umstände eintreten, wodurch der Zustand der praktischen Rechtspflege günstiger ausfällt, als hier angedeutet worden ist. Durch Unkenntniß und Geistesträgheit kann es dahin kommen, daß einzelne Quellen und Schriftsteller in vielen Gerichten gleichförmig befolgt werden, so z. B. kann man die coutume von Paris mit ihrem Com- mentator Ferriere weit und breit bequem finden, auch wo sie sonst nicht gegolten hat. Auch mögen in der alten jurisprudence gar manche Sätze ziemlich allgemein angenommen gewesen seyn. Vielleicht ist es etwas der Art, was man sich unter dem oben ge- nannten droit commun (S. 74) denkt. Ferner muß man nicht glauben, daß gerade alle hier ge- nannte Uebel als solche empfunden werden müssen; die Römer des vierten und fünften Jahrhunderts nach Christus haben auch nicht daran gedacht, daß wir sie wegen ihres tiefen Verfalls bedauern wür- den. Im Ganzen aber ist doch nicht zu läugnen,
verſieht eigentlich nur Schreibersdienſt bey dem Ge- richtsgebrauch. So iſt es in Frankreich in der That, und eine von dem Gerichtsgebrauch verſchiedene The- orie exiſtirt da eigentlich nicht, ſo daß alles, was über die Unſicherheit des praktiſchen Rechts geſagt worden iſt, auch die Theorie trifft. Die Lehranſtal- ten allein haben ihrer Natur nach eine ganz theore- tiſche Form: von dieſen wird im folgenden Abſchnitt bequemer geſprochen werden können.
Allerdings können einige Umſtände eintreten, wodurch der Zuſtand der praktiſchen Rechtspflege günſtiger ausfällt, als hier angedeutet worden iſt. Durch Unkenntniß und Geiſtesträgheit kann es dahin kommen, daß einzelne Quellen und Schriftſteller in vielen Gerichten gleichförmig befolgt werden, ſo z. B. kann man die coutume von Paris mit ihrem Com- mentator Ferriere weit und breit bequem finden, auch wo ſie ſonſt nicht gegolten hat. Auch mögen in der alten jurisprudence gar manche Sätze ziemlich allgemein angenommen geweſen ſeyn. Vielleicht iſt es etwas der Art, was man ſich unter dem oben ge- nannten droit commun (S. 74) denkt. Ferner muß man nicht glauben, daß gerade alle hier ge- nannte Uebel als ſolche empfunden werden müſſen; die Römer des vierten und fünften Jahrhunderts nach Chriſtus haben auch nicht daran gedacht, daß wir ſie wegen ihres tiefen Verfalls bedauern wür- den. Im Ganzen aber iſt doch nicht zu läugnen,
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verſieht eigentlich nur Schreibersdienſt bey dem Ge-
richtsgebrauch. So iſt es in Frankreich in der That,
und eine von dem Gerichtsgebrauch verſchiedene The-
orie exiſtirt da eigentlich nicht, ſo daß alles, was
über die Unſicherheit des praktiſchen Rechts geſagt
worden iſt, auch die Theorie trifft. Die Lehranſtal-
ten allein haben ihrer Natur nach eine ganz theore-
tiſche Form: von dieſen wird im folgenden Abſchnitt
bequemer geſprochen werden können.
Allerdings können einige Umſtände eintreten,
wodurch der Zuſtand der praktiſchen Rechtspflege
günſtiger ausfällt, als hier angedeutet worden iſt.
Durch Unkenntniß und Geiſtesträgheit kann es dahin
kommen, daß einzelne Quellen und Schriftſteller in
vielen Gerichten gleichförmig befolgt werden, ſo z. B.
kann man die coutume von Paris mit ihrem Com-
mentator Ferriere weit und breit bequem finden,
auch wo ſie ſonſt nicht gegolten hat. Auch mögen
in der alten jurisprudence gar manche Sätze ziemlich
allgemein angenommen geweſen ſeyn. Vielleicht iſt es
etwas der Art, was man ſich unter dem oben ge-
nannten droit commun (S. 74) denkt. Ferner
muß man nicht glauben, daß gerade alle hier ge-
nannte Uebel als ſolche empfunden werden müſſen;
die Römer des vierten und fünften Jahrhunderts
nach Chriſtus haben auch nicht daran gedacht, daß
wir ſie wegen ihres tiefen Verfalls bedauern wür-
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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/89>, abgerufen am 16.07.2024.
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