Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. Rechts auf, unbekümmert um das Wesen und die Her-kunft ihres Inhalts, und um die Klassification derselben, welche nur aus der Verwandtschaft oder Verschiedenheit des Inhalts hervorgehen könnte. Es hat also bey ihnen diese Aufzählung, wie es ihrem praktischen Sinn ganz angemessen ist, die Natur einer Anweisung für den Rich- ter, wohin er sich zu wenden habe, um zur Belehrung über irgend eine Rechtsfrage zu gelangen. Zu dieser äußerlichen Auffassungsweise paßt denn auch sehr gut die mehrmals vorkommende Eintheilung des Rechts in jus scriptum und non scriptum (b), welche ganz buchstäblich zu nehmen ist, und worauf übrigens die Römer selbst gar kein besonderes Gewicht gelegt haben. Jus scriptum also heißt dasjenige Recht, dessen Entstehung mit einer schrift- lichen Aufzeichnung verbunden ist (c). Neuere Rechtsleh- (b) § 3. 9. 10. J. de jure nat. (1. 2.), L. 6 § 1 de J. et J. (1. 1.), L. 2 § 5. 12. de orig jur. (1. 2.). -- Die Stelle, die am bestimmtesten jede künstliche Deu- tung ausschließt, ist Cicero de partit. orat. C. 37 "sed propria legis et ea, quae scripta sunt, et ea quae sine litteris, aut gentium jure aut majorum more, retinentur." (c) So ist das Prätorische
Edict jus scriptum, auch wenn ihm altes Gewohnheitsrecht zum Grunde liegt, weil dieses durch die Aufnahme in das Edict auf solche Weise anerkannt, gewiß geworden, vielleicht auch umge- bildet worden ist, daß man es im Verhältniß zur Praxis als neu entstanden ansehen kann. Die responsa der Juristen wa- ren eben so jus scriptum, weil sie durch ihre schriftliche Abfas- sung bindende Kraft erhielten. Aber ein Satz des Gewohnheits- rechts wurde nicht dadurch zum jus scriptum, daß juristische Schriftsteller in ihren Rechtssy- stemen ihn aufnahmen und als wahr bezeugten. Denn dieses war nur wissenschaftliche Mit- theilung des Rechtssatzes, ohne Zusammenhang mit dessen Ent- stehung. -- Vgl. Thibaut § 10. -- Nicht sowohl unrichtig, als zu Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. Rechts auf, unbekümmert um das Weſen und die Her-kunft ihres Inhalts, und um die Klaſſification derſelben, welche nur aus der Verwandtſchaft oder Verſchiedenheit des Inhalts hervorgehen könnte. Es hat alſo bey ihnen dieſe Aufzählung, wie es ihrem praktiſchen Sinn ganz angemeſſen iſt, die Natur einer Anweiſung für den Rich- ter, wohin er ſich zu wenden habe, um zur Belehrung über irgend eine Rechtsfrage zu gelangen. Zu dieſer äußerlichen Auffaſſungsweiſe paßt denn auch ſehr gut die mehrmals vorkommende Eintheilung des Rechts in jus scriptum und non scriptum (b), welche ganz buchſtäblich zu nehmen iſt, und worauf übrigens die Römer ſelbſt gar kein beſonderes Gewicht gelegt haben. Jus scriptum alſo heißt dasjenige Recht, deſſen Entſtehung mit einer ſchrift- lichen Aufzeichnung verbunden iſt (c). Neuere Rechtsleh- (b) § 3. 9. 10. J. de jure nat. (1. 2.), L. 6 § 1 de J. et J. (1. 1.), L. 2 § 5. 12. de orig jur. (1. 2.). — Die Stelle, die am beſtimmteſten jede künſtliche Deu- tung ausſchließt, iſt Cicero de partit. orat. C. 37 „sed propria legis et ea, quae scripta sunt, et ea quae sine litteris, aut gentium jure aut majorum more, retinentur.” (c) So iſt das Prätoriſche
Edict jus scriptum, auch wenn ihm altes Gewohnheitsrecht zum Grunde liegt, weil dieſes durch die Aufnahme in das Edict auf ſolche Weiſe anerkannt, gewiß geworden, vielleicht auch umge- bildet worden iſt, daß man es im Verhältniß zur Praxis als neu entſtanden anſehen kann. Die responsa der Juriſten wa- ren eben ſo jus scriptum, weil ſie durch ihre ſchriftliche Abfaſ- ſung bindende Kraft erhielten. Aber ein Satz des Gewohnheits- rechts wurde nicht dadurch zum jus scriptum, daß juriſtiſche Schriftſteller in ihren Rechtsſy- ſtemen ihn aufnahmen und als wahr bezeugten. Denn dieſes war nur wiſſenſchaftliche Mit- theilung des Rechtsſatzes, ohne Zuſammenhang mit deſſen Ent- ſtehung. — Vgl. Thibaut § 10. — Nicht ſowohl unrichtig, als zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0162" n="106"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/> Rechts auf, unbekümmert um das Weſen und die Her-<lb/> kunft ihres Inhalts, und um die Klaſſification derſelben,<lb/> welche nur aus der Verwandtſchaft oder Verſchiedenheit<lb/> des Inhalts hervorgehen könnte. Es hat alſo bey ihnen<lb/> dieſe Aufzählung, wie es ihrem praktiſchen Sinn ganz<lb/> angemeſſen iſt, die Natur einer Anweiſung für den Rich-<lb/> ter, wohin er ſich zu wenden habe, um zur Belehrung<lb/> über irgend eine Rechtsfrage zu gelangen. Zu dieſer<lb/> äußerlichen Auffaſſungsweiſe paßt denn auch ſehr gut die<lb/> mehrmals vorkommende Eintheilung des Rechts in <hi rendition="#aq">jus<lb/> scriptum</hi> und <hi rendition="#aq">non scriptum</hi> <note place="foot" n="(b)">§ 3. 9. 10. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">J. de jure nat.</hi><lb/> (1. 2.), <hi rendition="#i">L.</hi> 6 § 1 <hi rendition="#i">de J. et J.</hi> (1.<lb/> 1.), <hi rendition="#i">L.</hi> 2 § 5. 12. <hi rendition="#i">de orig jur.</hi></hi><lb/> (1. 2.). — Die Stelle, die am<lb/> beſtimmteſten jede künſtliche Deu-<lb/> tung ausſchließt, iſt <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Cicero</hi> de<lb/> partit. orat. C. 37 „sed propria<lb/> legis et ea, <hi rendition="#i">quae scripta sunt,</hi><lb/> et ea quae <hi rendition="#i">sine litteris,</hi> aut<lb/> gentium jure aut majorum<lb/> more, retinentur.”</hi></note>, welche ganz buchſtäblich<lb/> zu nehmen iſt, und worauf übrigens die Römer ſelbſt gar<lb/> kein beſonderes Gewicht gelegt haben. <hi rendition="#aq">Jus scriptum</hi> alſo<lb/> heißt dasjenige Recht, deſſen Entſtehung mit einer ſchrift-<lb/> lichen Aufzeichnung verbunden iſt <note xml:id="seg2pn_13_1" next="#seg2pn_13_2" place="foot" n="(c)">So iſt das Prätoriſche<lb/> Edict <hi rendition="#aq">jus scriptum,</hi> auch wenn<lb/> ihm altes Gewohnheitsrecht zum<lb/> Grunde liegt, weil dieſes durch<lb/> die Aufnahme in das Edict auf<lb/> ſolche Weiſe anerkannt, gewiß<lb/> geworden, vielleicht auch umge-<lb/> bildet worden iſt, daß man es<lb/> im Verhältniß zur Praxis als<lb/> neu entſtanden anſehen kann.<lb/> Die <hi rendition="#aq">responsa</hi> der Juriſten wa-<lb/> ren eben ſo <hi rendition="#aq">jus scriptum,</hi> weil<lb/> ſie durch ihre ſchriftliche Abfaſ-<lb/> ſung bindende Kraft erhielten.<lb/> Aber ein Satz des Gewohnheits-<lb/> rechts wurde nicht dadurch zum<lb/><hi rendition="#aq">jus scriptum,</hi> daß juriſtiſche<lb/> Schriftſteller in ihren Rechtsſy-<lb/> ſtemen ihn aufnahmen und als<lb/> wahr bezeugten. Denn dieſes<lb/> war nur wiſſenſchaftliche Mit-<lb/> theilung des Rechtsſatzes, ohne<lb/> Zuſammenhang mit deſſen Ent-<lb/> ſtehung. — Vgl. <hi rendition="#g">Thibaut</hi> § 10.<lb/> — Nicht ſowohl unrichtig, als zu</note>. Neuere Rechtsleh-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0162]
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Rechts auf, unbekümmert um das Weſen und die Her-
kunft ihres Inhalts, und um die Klaſſification derſelben,
welche nur aus der Verwandtſchaft oder Verſchiedenheit
des Inhalts hervorgehen könnte. Es hat alſo bey ihnen
dieſe Aufzählung, wie es ihrem praktiſchen Sinn ganz
angemeſſen iſt, die Natur einer Anweiſung für den Rich-
ter, wohin er ſich zu wenden habe, um zur Belehrung
über irgend eine Rechtsfrage zu gelangen. Zu dieſer
äußerlichen Auffaſſungsweiſe paßt denn auch ſehr gut die
mehrmals vorkommende Eintheilung des Rechts in jus
scriptum und non scriptum (b), welche ganz buchſtäblich
zu nehmen iſt, und worauf übrigens die Römer ſelbſt gar
kein beſonderes Gewicht gelegt haben. Jus scriptum alſo
heißt dasjenige Recht, deſſen Entſtehung mit einer ſchrift-
lichen Aufzeichnung verbunden iſt (c). Neuere Rechtsleh-
(b) § 3. 9. 10. J. de jure nat.
(1. 2.), L. 6 § 1 de J. et J. (1.
1.), L. 2 § 5. 12. de orig jur.
(1. 2.). — Die Stelle, die am
beſtimmteſten jede künſtliche Deu-
tung ausſchließt, iſt Cicero de
partit. orat. C. 37 „sed propria
legis et ea, quae scripta sunt,
et ea quae sine litteris, aut
gentium jure aut majorum
more, retinentur.”
(c) So iſt das Prätoriſche
Edict jus scriptum, auch wenn
ihm altes Gewohnheitsrecht zum
Grunde liegt, weil dieſes durch
die Aufnahme in das Edict auf
ſolche Weiſe anerkannt, gewiß
geworden, vielleicht auch umge-
bildet worden iſt, daß man es
im Verhältniß zur Praxis als
neu entſtanden anſehen kann.
Die responsa der Juriſten wa-
ren eben ſo jus scriptum, weil
ſie durch ihre ſchriftliche Abfaſ-
ſung bindende Kraft erhielten.
Aber ein Satz des Gewohnheits-
rechts wurde nicht dadurch zum
jus scriptum, daß juriſtiſche
Schriftſteller in ihren Rechtsſy-
ſtemen ihn aufnahmen und als
wahr bezeugten. Denn dieſes
war nur wiſſenſchaftliche Mit-
theilung des Rechtsſatzes, ohne
Zuſammenhang mit deſſen Ent-
ſtehung. — Vgl. Thibaut § 10.
— Nicht ſowohl unrichtig, als zu
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