Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 25. Aussprüche der Römer über das Gewohnheitsrecht.
lich die Nation binden könnte. Ganz irrig aber wäre es,
den res judicatae an sich, abgetrennt von Gewohnheits-
recht, eine solche Kraft beylegen zu wollen, da gerade im
Gegentheil ausdrücklich verordnet ist, durch Präjudicien
allein solle sich kein Richter bestimmen lassen (i). Das
kann also nur den Sinn haben, daß Präjudicien an sich
selbst ohne Einfluß, als Zeugnisse für ein Gewohnheits-
recht aber von dem höchsten Einfluß seyn sollen. -- Zur
Ergänzung dieser Bedingungen gehört noch die Regel,
daß ein erweislicher Irrthum das Daseyn des Gewohn-
heitsrechts ausschließt (k): ferner die andere, daß der
Kaiser entscheiden soll, wenn die Gewohnheit zu neu ist,
um für sich allein das Daseyn eines gemeinsamen Be-
wußtseyns außer Zweifel zu setzen (l). -- Mehr findet
sich im Römischen Recht über die Bedingungen des Ge-
wohnheitsrechts nicht. Namentlich ist ihm ganz fremd die
Ansicht, daß dasselbe, als eine bloße Thatsache, von dem-
jenigen bewiesen werden müsse, der sich darauf berufe (m).

Über die Wirkung des Gewohnheitsrechts endlich stellt
das Römische Recht den Grundsatz auf, daß es legis
vicem
vertrete (n). Das heißt, nach der oben gegebenen

(i) L. 13 C. de sent. et in-
terloc.
(7. 45.). S. o. § 24
Note r.
(k) L. 39 de leg. (1. 3.) s. o.
Note d. Puchta I. S. 99. Der
ganz natürliche Grund liegt darin,
daß die Gewohnheit nun die er-
weisliche Folge des Irrthums,
also nicht Ausdruck und Kenn-
zeichen eines gemeinsamen Rechts-
bewußtseyns ist, was ihr allein
Kraft verleihen kann.
(l) L. 11 C. de leg. (1. 14.).
(m) Puchta I. S. 110.
(n) S. o. § 22. Note x.

§. 25. Ausſprüche der Römer über das Gewohnheitsrecht.
lich die Nation binden könnte. Ganz irrig aber wäre es,
den res judicatae an ſich, abgetrennt von Gewohnheits-
recht, eine ſolche Kraft beylegen zu wollen, da gerade im
Gegentheil ausdrücklich verordnet iſt, durch Präjudicien
allein ſolle ſich kein Richter beſtimmen laſſen (i). Das
kann alſo nur den Sinn haben, daß Präjudicien an ſich
ſelbſt ohne Einfluß, als Zeugniſſe für ein Gewohnheits-
recht aber von dem höchſten Einfluß ſeyn ſollen. — Zur
Ergänzung dieſer Bedingungen gehört noch die Regel,
daß ein erweislicher Irrthum das Daſeyn des Gewohn-
heitsrechts ausſchließt (k): ferner die andere, daß der
Kaiſer entſcheiden ſoll, wenn die Gewohnheit zu neu iſt,
um für ſich allein das Daſeyn eines gemeinſamen Be-
wußtſeyns außer Zweifel zu ſetzen (l). — Mehr findet
ſich im Römiſchen Recht über die Bedingungen des Ge-
wohnheitsrechts nicht. Namentlich iſt ihm ganz fremd die
Anſicht, daß daſſelbe, als eine bloße Thatſache, von dem-
jenigen bewieſen werden müſſe, der ſich darauf berufe (m).

Über die Wirkung des Gewohnheitsrechts endlich ſtellt
das Römiſche Recht den Grundſatz auf, daß es legis
vicem
vertrete (n). Das heißt, nach der oben gegebenen

(i) L. 13 C. de sent. et in-
terloc.
(7. 45.). S. o. § 24
Note r.
(k) L. 39 de leg. (1. 3.) ſ. o.
Note d. Puchta I. S. 99. Der
ganz natürliche Grund liegt darin,
daß die Gewohnheit nun die er-
weisliche Folge des Irrthums,
alſo nicht Ausdruck und Kenn-
zeichen eines gemeinſamen Rechts-
bewußtſeyns iſt, was ihr allein
Kraft verleihen kann.
(l) L. 11 C. de leg. (1. 14.).
(m) Puchta I. S. 110.
(n) S. o. § 22. Note x.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0205" n="149"/><fw place="top" type="header">§. 25. Aus&#x017F;prüche der Römer über das Gewohnheitsrecht.</fw><lb/>
lich die Nation binden könnte. Ganz irrig aber wäre es,<lb/>
den <hi rendition="#aq">res judicatae</hi> an &#x017F;ich, abgetrennt von Gewohnheits-<lb/>
recht, eine &#x017F;olche Kraft beylegen zu wollen, da gerade im<lb/>
Gegentheil ausdrücklich verordnet i&#x017F;t, durch Präjudicien<lb/>
allein &#x017F;olle &#x017F;ich kein Richter be&#x017F;timmen la&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(i)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 13 <hi rendition="#i">C. de sent. et in-<lb/>
terloc.</hi></hi> (7. 45.). S. o. § 24<lb/>
Note <hi rendition="#aq">r.</hi></note>. Das<lb/>
kann al&#x017F;o nur den Sinn haben, daß Präjudicien an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ohne Einfluß, als Zeugni&#x017F;&#x017F;e für ein Gewohnheits-<lb/>
recht aber von dem höch&#x017F;ten Einfluß &#x017F;eyn &#x017F;ollen. &#x2014; Zur<lb/>
Ergänzung die&#x017F;er Bedingungen gehört noch die Regel,<lb/>
daß ein erweislicher Irrthum das Da&#x017F;eyn des Gewohn-<lb/>
heitsrechts aus&#x017F;chließt <note place="foot" n="(k)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 39 <hi rendition="#i">de leg.</hi></hi> (1. 3.) &#x017F;. o.<lb/>
Note <hi rendition="#aq">d.</hi> <hi rendition="#g">Puchta</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 99. Der<lb/>
ganz natürliche Grund liegt darin,<lb/>
daß die Gewohnheit nun die er-<lb/>
weisliche Folge des Irrthums,<lb/>
al&#x017F;o nicht Ausdruck und Kenn-<lb/>
zeichen eines gemein&#x017F;amen Rechts-<lb/>
bewußt&#x017F;eyns i&#x017F;t, was ihr allein<lb/>
Kraft verleihen kann.</note>: ferner die andere, daß der<lb/>
Kai&#x017F;er ent&#x017F;cheiden &#x017F;oll, wenn die Gewohnheit zu neu i&#x017F;t,<lb/>
um für &#x017F;ich allein das Da&#x017F;eyn eines gemein&#x017F;amen Be-<lb/>
wußt&#x017F;eyns außer Zweifel zu &#x017F;etzen <note place="foot" n="(l)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 11 <hi rendition="#i">C. de leg.</hi></hi> (1. 14.).</note>. &#x2014; Mehr findet<lb/>
&#x017F;ich im Römi&#x017F;chen Recht über die Bedingungen des Ge-<lb/>
wohnheitsrechts nicht. Namentlich i&#x017F;t ihm ganz fremd die<lb/>
An&#x017F;icht, daß da&#x017F;&#x017F;elbe, als eine bloße That&#x017F;ache, von dem-<lb/>
jenigen bewie&#x017F;en werden mü&#x017F;&#x017F;e, der &#x017F;ich darauf berufe <note place="foot" n="(m)"><hi rendition="#g">Puchta</hi><hi rendition="#aq">I.</hi> S. 110.</note>.</p><lb/>
            <p>Über die Wirkung des Gewohnheitsrechts endlich &#x017F;tellt<lb/>
das Römi&#x017F;che Recht den Grund&#x017F;atz auf, daß es <hi rendition="#aq">legis<lb/>
vicem</hi> vertrete <note place="foot" n="(n)">S. o. § 22. Note <hi rendition="#aq">x.</hi></note>. Das heißt, nach der oben gegebenen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0205] §. 25. Ausſprüche der Römer über das Gewohnheitsrecht. lich die Nation binden könnte. Ganz irrig aber wäre es, den res judicatae an ſich, abgetrennt von Gewohnheits- recht, eine ſolche Kraft beylegen zu wollen, da gerade im Gegentheil ausdrücklich verordnet iſt, durch Präjudicien allein ſolle ſich kein Richter beſtimmen laſſen (i). Das kann alſo nur den Sinn haben, daß Präjudicien an ſich ſelbſt ohne Einfluß, als Zeugniſſe für ein Gewohnheits- recht aber von dem höchſten Einfluß ſeyn ſollen. — Zur Ergänzung dieſer Bedingungen gehört noch die Regel, daß ein erweislicher Irrthum das Daſeyn des Gewohn- heitsrechts ausſchließt (k): ferner die andere, daß der Kaiſer entſcheiden ſoll, wenn die Gewohnheit zu neu iſt, um für ſich allein das Daſeyn eines gemeinſamen Be- wußtſeyns außer Zweifel zu ſetzen (l). — Mehr findet ſich im Römiſchen Recht über die Bedingungen des Ge- wohnheitsrechts nicht. Namentlich iſt ihm ganz fremd die Anſicht, daß daſſelbe, als eine bloße Thatſache, von dem- jenigen bewieſen werden müſſe, der ſich darauf berufe (m). Über die Wirkung des Gewohnheitsrechts endlich ſtellt das Römiſche Recht den Grundſatz auf, daß es legis vicem vertrete (n). Das heißt, nach der oben gegebenen (i) L. 13 C. de sent. et in- terloc. (7. 45.). S. o. § 24 Note r. (k) L. 39 de leg. (1. 3.) ſ. o. Note d. Puchta I. S. 99. Der ganz natürliche Grund liegt darin, daß die Gewohnheit nun die er- weisliche Folge des Irrthums, alſo nicht Ausdruck und Kenn- zeichen eines gemeinſamen Rechts- bewußtſeyns iſt, was ihr allein Kraft verleihen kann. (l) L. 11 C. de leg. (1. 14.). (m) Puchta I. S. 110. (n) S. o. § 22. Note x.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/205
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/205>, abgerufen am 20.05.2024.