Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
rigkeiten der Anwendung des wissenschaftlichen Rechts vermindert waren, so waren sie doch nicht gehoben (e), und diese Betrachtung bewog Justinian zu einer ganz neuen und weit durchgreifenderen Maaßregel.
Er ließ aus dem ganzen Umfang der juristischen Lite- ratur, ohne Rücksicht auf die von Valentinian III. gezo- gene Gränzen, dasjenige ausheben, was zu einer vollstän- digen Übersicht des Rechts, und namentlich für die Rechts- pflege, nöthig schien. Dieses wurde in Ein Buch zusam- men getragen und als Gesetz bekannt gemacht, alles Übrige aber abgeschafft. So war also jetzt ein Auszug des Jus zu einer Lex erhoben, und es war Nichts mehr vorhan- den, was in seiner ursprünglichen Gestalt, als Jus, hätte gelten dürfen. Für die Zukunft aber verbot er gänzlich die Entstehung einer neuen juristischen Literatur. Nur griechische Übersetzungen des lateinischen Textes, und (als mechanisches Hülfsmittel) kurze Angaben des Inhalts der Titel sollten erlaubt seyn: würde aber ein eigentliches Buch, ein Commentar über die Gesetze, geschrieben, so sollte dieses zerstört und der Verfasser mit der Strafe der Fälschung belegt werden (f). Das einzige Mittel zur Er- haltung und Fortpflanzung der Rechtswissenschaft sollte also der mündliche Unterricht in den Rechtsschulen seyn, die deshalb von Justinian mit einem neuen Lehrplan ver-
(e)Savigny Gesch. des R. R. im Mittelalter I § 3.
(f)L. 1 § 12, L. 2 § 21, L. 3 § 21 C. de vet. j. enucl. (1. 17.).
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
rigkeiten der Anwendung des wiſſenſchaftlichen Rechts vermindert waren, ſo waren ſie doch nicht gehoben (e), und dieſe Betrachtung bewog Juſtinian zu einer ganz neuen und weit durchgreifenderen Maaßregel.
Er ließ aus dem ganzen Umfang der juriſtiſchen Lite- ratur, ohne Rückſicht auf die von Valentinian III. gezo- gene Gränzen, dasjenige ausheben, was zu einer vollſtän- digen Überſicht des Rechts, und namentlich für die Rechts- pflege, nöthig ſchien. Dieſes wurde in Ein Buch zuſam- men getragen und als Geſetz bekannt gemacht, alles Übrige aber abgeſchafft. So war alſo jetzt ein Auszug des Jus zu einer Lex erhoben, und es war Nichts mehr vorhan- den, was in ſeiner urſprünglichen Geſtalt, als Jus, hätte gelten dürfen. Für die Zukunft aber verbot er gänzlich die Entſtehung einer neuen juriſtiſchen Literatur. Nur griechiſche Überſetzungen des lateiniſchen Textes, und (als mechaniſches Hülfsmittel) kurze Angaben des Inhalts der Titel ſollten erlaubt ſeyn: würde aber ein eigentliches Buch, ein Commentar über die Geſetze, geſchrieben, ſo ſollte dieſes zerſtört und der Verfaſſer mit der Strafe der Fälſchung belegt werden (f). Das einzige Mittel zur Er- haltung und Fortpflanzung der Rechtswiſſenſchaft ſollte alſo der mündliche Unterricht in den Rechtsſchulen ſeyn, die deshalb von Juſtinian mit einem neuen Lehrplan ver-
(e)Savigny Geſch. des R. R. im Mittelalter I § 3.
(f)L. 1 § 12, L. 2 § 21, L. 3 § 21 C. de vet. j. enucl. (1. 17.).
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Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
rigkeiten der Anwendung des wiſſenſchaftlichen Rechts
vermindert waren, ſo waren ſie doch nicht gehoben (e),
und dieſe Betrachtung bewog Juſtinian zu einer ganz
neuen und weit durchgreifenderen Maaßregel.
Er ließ aus dem ganzen Umfang der juriſtiſchen Lite-
ratur, ohne Rückſicht auf die von Valentinian III. gezo-
gene Gränzen, dasjenige ausheben, was zu einer vollſtän-
digen Überſicht des Rechts, und namentlich für die Rechts-
pflege, nöthig ſchien. Dieſes wurde in Ein Buch zuſam-
men getragen und als Geſetz bekannt gemacht, alles Übrige
aber abgeſchafft. So war alſo jetzt ein Auszug des Jus
zu einer Lex erhoben, und es war Nichts mehr vorhan-
den, was in ſeiner urſprünglichen Geſtalt, als Jus, hätte
gelten dürfen. Für die Zukunft aber verbot er gänzlich
die Entſtehung einer neuen juriſtiſchen Literatur. Nur
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mechaniſches Hülfsmittel) kurze Angaben des Inhalts der
Titel ſollten erlaubt ſeyn: würde aber ein eigentliches
Buch, ein Commentar über die Geſetze, geſchrieben, ſo
ſollte dieſes zerſtört und der Verfaſſer mit der Strafe der
Fälſchung belegt werden (f). Das einzige Mittel zur Er-
haltung und Fortpflanzung der Rechtswiſſenſchaft ſollte
alſo der mündliche Unterricht in den Rechtsſchulen ſeyn,
die deshalb von Juſtinian mit einem neuen Lehrplan ver-
(e) Savigny Geſch. des R.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/214>, abgerufen am 21.11.2024.
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