§. 30. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortsetzung.
ist also hierin völlig ähnlich den ausländischen Gesetzen, von welchen die Entscheidung manches Rechtsstreits ab- hängig seyn kann. Ihre Kenntniß wird von dem Richter nicht gefordert, und die Partey muß sie angeben und beweisen, ganz wie es hier von dem Gewohnheitsrecht bemerkt worden ist, also auch ohne daß sie dadurch mit eigentlichen Thatsachen völlig auf gleiche Linie treten.
Kommt es also in einem Rechtsstreit auf ein Gewohn- heitsrecht an, so wird der Richter, um darüber Gewiß- heit zu erlangen, nach freyer Erwägung der Umstände zu verfahren haben. Er kann seine Überzeugung schöpfen aus einzelnen Fällen der Übung einer Rechtsregel, und die nothwendige Beschaffenheit solcher Fälle ist schon oben festgestellt worden (§ 29). Er kann aber auch solche Per- sonen, die des Gewohnheitsrechts unmittelbar kundig sind, über dessen Inhalt vernehmen, die dann nicht sowohl als Zeugen, denn als Sachverständige betrachtet werden müs- sen, da sie nicht über einen Gegenstand sinnlicher Wahr- nehmung befragt werden (k). Es wäre nicht richtig, die- ses Verfahren als unmittelbare Anwendung des Justinia- nischen Gesetzes, welches davon redet, zu betrachten (Note d); denn Justinian sagt nicht, was der Richter thun solle, um ein Gewohnheitsrecht zu erfahren, sondern was er selbst gethan habe, um in einem bestimmten Fall
(k)PuchtaII. S. 125 fg. S. 135 fg. Er führt auch frühere Schriftsteller an, die dieses Ver- fahren billigen. -- Vgl. oben Note c.
§. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
iſt alſo hierin völlig ähnlich den ausländiſchen Geſetzen, von welchen die Entſcheidung manches Rechtsſtreits ab- hängig ſeyn kann. Ihre Kenntniß wird von dem Richter nicht gefordert, und die Partey muß ſie angeben und beweiſen, ganz wie es hier von dem Gewohnheitsrecht bemerkt worden iſt, alſo auch ohne daß ſie dadurch mit eigentlichen Thatſachen völlig auf gleiche Linie treten.
Kommt es alſo in einem Rechtsſtreit auf ein Gewohn- heitsrecht an, ſo wird der Richter, um darüber Gewiß- heit zu erlangen, nach freyer Erwägung der Umſtände zu verfahren haben. Er kann ſeine Überzeugung ſchöpfen aus einzelnen Fällen der Übung einer Rechtsregel, und die nothwendige Beſchaffenheit ſolcher Fälle iſt ſchon oben feſtgeſtellt worden (§ 29). Er kann aber auch ſolche Per- ſonen, die des Gewohnheitsrechts unmittelbar kundig ſind, über deſſen Inhalt vernehmen, die dann nicht ſowohl als Zeugen, denn als Sachverſtändige betrachtet werden müſ- ſen, da ſie nicht über einen Gegenſtand ſinnlicher Wahr- nehmung befragt werden (k). Es wäre nicht richtig, die- ſes Verfahren als unmittelbare Anwendung des Juſtinia- niſchen Geſetzes, welches davon redet, zu betrachten (Note d); denn Juſtinian ſagt nicht, was der Richter thun ſolle, um ein Gewohnheitsrecht zu erfahren, ſondern was er ſelbſt gethan habe, um in einem beſtimmten Fall
(k)PuchtaII. S. 125 fg. S. 135 fg. Er führt auch frühere Schriftſteller an, die dieſes Ver- fahren billigen. — Vgl. oben Note c.
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§. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
iſt alſo hierin völlig ähnlich den ausländiſchen Geſetzen,
von welchen die Entſcheidung manches Rechtsſtreits ab-
hängig ſeyn kann. Ihre Kenntniß wird von dem Richter
nicht gefordert, und die Partey muß ſie angeben und
beweiſen, ganz wie es hier von dem Gewohnheitsrecht
bemerkt worden iſt, alſo auch ohne daß ſie dadurch mit
eigentlichen Thatſachen völlig auf gleiche Linie treten.
Kommt es alſo in einem Rechtsſtreit auf ein Gewohn-
heitsrecht an, ſo wird der Richter, um darüber Gewiß-
heit zu erlangen, nach freyer Erwägung der Umſtände
zu verfahren haben. Er kann ſeine Überzeugung ſchöpfen
aus einzelnen Fällen der Übung einer Rechtsregel, und
die nothwendige Beſchaffenheit ſolcher Fälle iſt ſchon oben
feſtgeſtellt worden (§ 29). Er kann aber auch ſolche Per-
ſonen, die des Gewohnheitsrechts unmittelbar kundig ſind,
über deſſen Inhalt vernehmen, die dann nicht ſowohl als
Zeugen, denn als Sachverſtändige betrachtet werden müſ-
ſen, da ſie nicht über einen Gegenſtand ſinnlicher Wahr-
nehmung befragt werden (k). Es wäre nicht richtig, die-
ſes Verfahren als unmittelbare Anwendung des Juſtinia-
niſchen Geſetzes, welches davon redet, zu betrachten
(Note d); denn Juſtinian ſagt nicht, was der Richter
thun ſolle, um ein Gewohnheitsrecht zu erfahren, ſondern
was er ſelbſt gethan habe, um in einem beſtimmten Fall
(k) Puchta II. S. 125 fg. S.
135 fg. Er führt auch frühere
Schriftſteller an, die dieſes Ver-
fahren billigen. — Vgl. oben
Note c.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/247>, abgerufen am 16.02.2025.
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