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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 36. Mangelhafte Gesetze. Unbestimmter Ausdruck.

Auch die Vieldeutigkeit der Construction kann den Sinn
eines Gesetzes zweifelhaft machen, und obgleich dieselbe
in Rechtsgeschäften häufiger vorkommt, als in Gesetzen,
so ist sie doch in diesen nicht ohne Beyspiel (e).

So verschieden nun diese Gestalten des hier darge-
stellten Mangels seyn mögen, so haben sie doch das mit
einander gemein, daß jede derselben uns hindert, irgend
einen vollständigen Gedanken mit Sicherheit in dem so
beschaffenen Gesetze zu erkennen. -- Die Entstehung dieses
Mangels kann gegründet seyn in einem unklaren Gedan-
ken, oder in einer unvollkommenen Herrschaft über den
Ausdruck, oder auch in beiden Umständen zugleich. Für
den Ausleger ist diese Entstehung gleichgültig, denn für
ihn ist das Bedürfniß der Abhülfe stets gleich dringend
und unabweislich, da das Gesetz in dieser Gestalt zur
Feststellung einer Rechtsregel untauglich ist. Die Erkennt-
niß dieses Bedürfnisses ist auch vollkommen gewiß, da sie

Bedeutungen kommen vor bey
den Ausdrücken cognatio, pi-
gnus, hypotheca, adoptio (L.
1 § 1 de adopt. 1. 7.), familia
(L. 195 de V. S. 50. 16.).
--
Eben so kann der Vertrag ne
luminibus officiatur
sowohl auf
den gegenwärtigen Zustand allein,
als auf den gegenwärtigen und
künftigen zugleich gehen. L. 23
pr. de S. P. U.
(8. 2.). -- Die
Auslegung nach der weiteren
oder engeren Bedeutung nennt
man gewöhnlich lata oder stri-
cta:
jede Auslegung zu Entfer-
nung einer Zweydeutigkeit de-
clarativa.
Thibaut Pandekten
§ 48. 50. 53.
(e) Die Erklärung der schwie-
rigen L. 2 de div. temp. prae-
scr.
(44. 3.) hängt lediglich da-
von ab, ob die Schlußworte mihi
contra videtur
mit der ganzen
Stelle in Verbindung gedacht
werden sollen, oder nur mit ei-
nem Theile derselben. -- Bey-
spiele von vieldeutiger Construc-
tion in Rechtsgeschäften finden
sich bey Mühlenbruch I. § 59
not.
1.
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§. 36. Mangelhafte Geſetze. Unbeſtimmter Ausdruck.

Auch die Vieldeutigkeit der Conſtruction kann den Sinn
eines Geſetzes zweifelhaft machen, und obgleich dieſelbe
in Rechtsgeſchäften häufiger vorkommt, als in Geſetzen,
ſo iſt ſie doch in dieſen nicht ohne Beyſpiel (e).

So verſchieden nun dieſe Geſtalten des hier darge-
ſtellten Mangels ſeyn mögen, ſo haben ſie doch das mit
einander gemein, daß jede derſelben uns hindert, irgend
einen vollſtändigen Gedanken mit Sicherheit in dem ſo
beſchaffenen Geſetze zu erkennen. — Die Entſtehung dieſes
Mangels kann gegründet ſeyn in einem unklaren Gedan-
ken, oder in einer unvollkommenen Herrſchaft über den
Ausdruck, oder auch in beiden Umſtänden zugleich. Für
den Ausleger iſt dieſe Entſtehung gleichgültig, denn für
ihn iſt das Bedürfniß der Abhülfe ſtets gleich dringend
und unabweislich, da das Geſetz in dieſer Geſtalt zur
Feſtſtellung einer Rechtsregel untauglich iſt. Die Erkennt-
niß dieſes Bedürfniſſes iſt auch vollkommen gewiß, da ſie

Bedeutungen kommen vor bey
den Ausdrücken cognatio, pi-
gnus, hypotheca, adoptio (L.
1 § 1 de adopt. 1. 7.), familia
(L. 195 de V. S. 50. 16.).

Eben ſo kann der Vertrag ne
luminibus officiatur
ſowohl auf
den gegenwärtigen Zuſtand allein,
als auf den gegenwärtigen und
künftigen zugleich gehen. L. 23
pr. de S. P. U.
(8. 2.). — Die
Auslegung nach der weiteren
oder engeren Bedeutung nennt
man gewöhnlich lata oder stri-
cta:
jede Auslegung zu Entfer-
nung einer Zweydeutigkeit de-
clarativa.
Thibaut Pandekten
§ 48. 50. 53.
(e) Die Erklärung der ſchwie-
rigen L. 2 de div. temp. prae-
scr.
(44. 3.) hängt lediglich da-
von ab, ob die Schlußworte mihi
contra videtur
mit der ganzen
Stelle in Verbindung gedacht
werden ſollen, oder nur mit ei-
nem Theile derſelben. — Bey-
ſpiele von vieldeutiger Conſtruc-
tion in Rechtsgeſchäften finden
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1.
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[227/0283] §. 36. Mangelhafte Geſetze. Unbeſtimmter Ausdruck. Auch die Vieldeutigkeit der Conſtruction kann den Sinn eines Geſetzes zweifelhaft machen, und obgleich dieſelbe in Rechtsgeſchäften häufiger vorkommt, als in Geſetzen, ſo iſt ſie doch in dieſen nicht ohne Beyſpiel (e). So verſchieden nun dieſe Geſtalten des hier darge- ſtellten Mangels ſeyn mögen, ſo haben ſie doch das mit einander gemein, daß jede derſelben uns hindert, irgend einen vollſtändigen Gedanken mit Sicherheit in dem ſo beſchaffenen Geſetze zu erkennen. — Die Entſtehung dieſes Mangels kann gegründet ſeyn in einem unklaren Gedan- ken, oder in einer unvollkommenen Herrſchaft über den Ausdruck, oder auch in beiden Umſtänden zugleich. Für den Ausleger iſt dieſe Entſtehung gleichgültig, denn für ihn iſt das Bedürfniß der Abhülfe ſtets gleich dringend und unabweislich, da das Geſetz in dieſer Geſtalt zur Feſtſtellung einer Rechtsregel untauglich iſt. Die Erkennt- niß dieſes Bedürfniſſes iſt auch vollkommen gewiß, da ſie (d) (e) Die Erklärung der ſchwie- rigen L. 2 de div. temp. prae- scr. (44. 3.) hängt lediglich da- von ab, ob die Schlußworte mihi contra videtur mit der ganzen Stelle in Verbindung gedacht werden ſollen, oder nur mit ei- nem Theile derſelben. — Bey- ſpiele von vieldeutiger Conſtruc- tion in Rechtsgeſchäften finden ſich bey Mühlenbruch I. § 59 not. 1. (d) Bedeutungen kommen vor bey den Ausdrücken cognatio, pi- gnus, hypotheca, adoptio (L. 1 § 1 de adopt. 1. 7.), familia (L. 195 de V. S. 50. 16.). — Eben ſo kann der Vertrag ne luminibus officiatur ſowohl auf den gegenwärtigen Zuſtand allein, als auf den gegenwärtigen und künftigen zugleich gehen. L. 23 pr. de S. P. U. (8. 2.). — Die Auslegung nach der weiteren oder engeren Bedeutung nennt man gewöhnlich lata oder stri- cta: jede Auslegung zu Entfer- nung einer Zweydeutigkeit de- clarativa. Thibaut Pandekten § 48. 50. 53. 15*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/283>, abgerufen am 21.11.2024.