Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Beylage I. wenn man nur den allerdings übel gewählten Ausdruckpreisgiebt, so läßt sich die Ansicht selbst, von dieser Seite wohl vertheidigen. Jedes Rechtsverhältniß hat zur Grund- lage irgend einen Stoff, auf welchen die Rechtsform an- gewendet wird, und der also auch abstrahirt von dieser Form gedacht werden kann. Diese Materie ist in den meisten Rechtsverhältnissen insoferne von willkührlicher Art, daß ein dauerndes Bestehen des Menschengeschlechts auch ohne sie gedacht werden kann; so bey dem Eigenthum und den Obligationen. Nicht so bey den zwey oben genann- ten Verhältnissen, die vielmehr allgemeine Naturverhält- nisse sind, den Menschen mit den Thieren gemein, und ohne welche das Menschengeschlecht gar kein dauerndes Daseyn haben könnte. In der That also wird nicht das Recht, sondern die Materie des Rechts, das demselben zum Grunde liegende Naturverhältniß, den Thieren zuge- schrieben (p). Diese Ansicht nun ist nicht nur wahr, son- dern auch wichtig und der Beachtung werth; nur eignet sie sich nicht zu einer Eintheilung des Rechts, namentlich für das praktische Bedürfniß der Römer. Veranlassung dazu gab ohne Zweifel die Wahrnehmung, daß die Rechts- institute, auch wenn sie sich bey allen fremden Völkern fänden, dennoch in verschiedenem Grade als natürlich an- gesehen werden müßten. So z. B. konnte man nicht ver- (p) Nicht wesentlich verschieden
ist die Vertheidigung des Ulpian bey Donellus I. 6: Ulpian schreibe nicht das wirkliche Rechtsverhält- niß den Thieren zu, sondern nur etwas ihm Ähnliches. Jedoch ist damit die Eintheilung als solche noch nicht gerechtfertigt. Beylage I. wenn man nur den allerdings übel gewählten Ausdruckpreisgiebt, ſo läßt ſich die Anſicht ſelbſt, von dieſer Seite wohl vertheidigen. Jedes Rechtsverhältniß hat zur Grund- lage irgend einen Stoff, auf welchen die Rechtsform an- gewendet wird, und der alſo auch abſtrahirt von dieſer Form gedacht werden kann. Dieſe Materie iſt in den meiſten Rechtsverhältniſſen inſoferne von willkührlicher Art, daß ein dauerndes Beſtehen des Menſchengeſchlechts auch ohne ſie gedacht werden kann; ſo bey dem Eigenthum und den Obligationen. Nicht ſo bey den zwey oben genann- ten Verhältniſſen, die vielmehr allgemeine Naturverhält- niſſe ſind, den Menſchen mit den Thieren gemein, und ohne welche das Menſchengeſchlecht gar kein dauerndes Daſeyn haben könnte. In der That alſo wird nicht das Recht, ſondern die Materie des Rechts, das demſelben zum Grunde liegende Naturverhältniß, den Thieren zuge- ſchrieben (p). Dieſe Anſicht nun iſt nicht nur wahr, ſon- dern auch wichtig und der Beachtung werth; nur eignet ſie ſich nicht zu einer Eintheilung des Rechts, namentlich für das praktiſche Bedürfniß der Römer. Veranlaſſung dazu gab ohne Zweifel die Wahrnehmung, daß die Rechts- inſtitute, auch wenn ſie ſich bey allen fremden Völkern fänden, dennoch in verſchiedenem Grade als natürlich an- geſehen werden müßten. So z. B. konnte man nicht ver- (p) Nicht weſentlich verſchieden
iſt die Vertheidigung des Ulpian bey Donellus I. 6: Ulpian ſchreibe nicht das wirkliche Rechtsverhält- niß den Thieren zu, ſondern nur etwas ihm Ähnliches. Jedoch iſt damit die Eintheilung als ſolche noch nicht gerechtfertigt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0472" n="416"/><fw place="top" type="header">Beylage <hi rendition="#aq">I.</hi></fw><lb/> wenn man nur den allerdings übel gewählten Ausdruck<lb/> preisgiebt, ſo läßt ſich die Anſicht ſelbſt, von dieſer Seite<lb/> wohl vertheidigen. Jedes Rechtsverhältniß hat zur Grund-<lb/> lage irgend einen Stoff, auf welchen die Rechtsform an-<lb/> gewendet wird, und der alſo auch abſtrahirt von dieſer<lb/> Form gedacht werden kann. Dieſe Materie iſt in den<lb/> meiſten Rechtsverhältniſſen inſoferne von willkührlicher Art,<lb/> daß ein dauerndes Beſtehen des Menſchengeſchlechts auch<lb/> ohne ſie gedacht werden kann; ſo bey dem Eigenthum und<lb/> den Obligationen. Nicht ſo bey den zwey oben genann-<lb/> ten Verhältniſſen, die vielmehr allgemeine Naturverhält-<lb/> niſſe ſind, den Menſchen mit den Thieren gemein, und<lb/> ohne welche das Menſchengeſchlecht gar kein dauerndes<lb/> Daſeyn haben könnte. In der That alſo wird nicht das<lb/> Recht, ſondern die Materie des Rechts, das demſelben<lb/> zum Grunde liegende Naturverhältniß, den Thieren zuge-<lb/> ſchrieben <note place="foot" n="(p)">Nicht weſentlich verſchieden<lb/> iſt die Vertheidigung des Ulpian<lb/> bey <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Donellus</hi> I.</hi> 6: Ulpian ſchreibe<lb/> nicht das wirkliche Rechtsverhält-<lb/> niß den Thieren zu, ſondern nur<lb/> etwas ihm Ähnliches. Jedoch iſt<lb/> damit die Eintheilung als ſolche<lb/> noch nicht gerechtfertigt.</note>. Dieſe Anſicht nun iſt nicht nur wahr, ſon-<lb/> dern auch wichtig und der Beachtung werth; nur eignet<lb/> ſie ſich nicht zu einer Eintheilung des Rechts, namentlich<lb/> für das praktiſche Bedürfniß der Römer. Veranlaſſung<lb/> dazu gab ohne Zweifel die Wahrnehmung, daß die Rechts-<lb/> inſtitute, auch wenn ſie ſich bey allen fremden Völkern<lb/> fänden, dennoch in verſchiedenem Grade als natürlich an-<lb/> geſehen werden müßten. So z. B. konnte man nicht ver-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [416/0472]
Beylage I.
wenn man nur den allerdings übel gewählten Ausdruck
preisgiebt, ſo läßt ſich die Anſicht ſelbſt, von dieſer Seite
wohl vertheidigen. Jedes Rechtsverhältniß hat zur Grund-
lage irgend einen Stoff, auf welchen die Rechtsform an-
gewendet wird, und der alſo auch abſtrahirt von dieſer
Form gedacht werden kann. Dieſe Materie iſt in den
meiſten Rechtsverhältniſſen inſoferne von willkührlicher Art,
daß ein dauerndes Beſtehen des Menſchengeſchlechts auch
ohne ſie gedacht werden kann; ſo bey dem Eigenthum und
den Obligationen. Nicht ſo bey den zwey oben genann-
ten Verhältniſſen, die vielmehr allgemeine Naturverhält-
niſſe ſind, den Menſchen mit den Thieren gemein, und
ohne welche das Menſchengeſchlecht gar kein dauerndes
Daſeyn haben könnte. In der That alſo wird nicht das
Recht, ſondern die Materie des Rechts, das demſelben
zum Grunde liegende Naturverhältniß, den Thieren zuge-
ſchrieben (p). Dieſe Anſicht nun iſt nicht nur wahr, ſon-
dern auch wichtig und der Beachtung werth; nur eignet
ſie ſich nicht zu einer Eintheilung des Rechts, namentlich
für das praktiſche Bedürfniß der Römer. Veranlaſſung
dazu gab ohne Zweifel die Wahrnehmung, daß die Rechts-
inſtitute, auch wenn ſie ſich bey allen fremden Völkern
fänden, dennoch in verſchiedenem Grade als natürlich an-
geſehen werden müßten. So z. B. konnte man nicht ver-
(p) Nicht weſentlich verſchieden
iſt die Vertheidigung des Ulpian
bey Donellus I. 6: Ulpian ſchreibe
nicht das wirkliche Rechtsverhält-
niß den Thieren zu, ſondern nur
etwas ihm Ähnliches. Jedoch iſt
damit die Eintheilung als ſolche
noch nicht gerechtfertigt.
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