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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 72. Anomalische Rechte. Lebensversorgung.
den Ususfructus eines Hauses geben. In allen diesen Fäl-
len behält die Freyheit des Andern einen weiten Spielraum,
denn selbst im Fall des Ususfructus kann er das Haus
vermiethen und das Miethgeld verschwenden. Selbst der
Usus umfaßt doch das ganze Haus, so daß der Usuar
den leerstehenden Theil des Hauses vermiethen kann.
Beschränkt man aber das Recht streng auf den Vortheil
des Obdachs, das der Andere in dem Hause finden soll,
so hat es die größte Ähnlichkeit mit der oben erwähnten
Anweisung auf einen Freytisch, es ist dann partielle Ver-
sorgung mit strenger Vormundschaft, das heißt ohne allen
Spielraum der Freyheit des Berechtigten, oder mit ande-
ren Worten eine naturalis praestatio, wobey natürlich die
capitis deminutio außer Anwendung bleiben konnte (m).
Es steht nicht im Widerspruch mit dieser Erklärung, daß
ein solches Legat späterhin durch wohlwollende Interpre-
tation erweitert wurde, zuerst durch die Juristen auf den
Umfang des Usus, dann durch Justinian auf den des Usus-
fructus (n); diese Erweiterung gehört zu der späteren Um-
bildung des Instituts, neben welcher die aus der in alter
Zeit beschränkteren Natur hervorgegangene Ausschließung

(m) Thibaut Abhandlungen
N. 2 nimmt an, nach dem Sprach-
gebrauch habe habitatio ein Quar-
tier als Almosen für Arme bedeu-
tet, deswegen habe man sie mit
den Alimenten gleich gestellt, und
aus bloßer Milde die capitis de-
minutio
ausgeschlossen. In den
meisten Fällen mag wohl die ha-
bitatio
in diesem Sinn gegeben
worden seyn, aber dieses Zusam-
mentreffen war doch blos zufällig,
und der wahre Grund der juristi-
schen Eigenthümlichkeit lag hierin
nicht.
(n) L. 10 pr. de usu (7. 8.).
L. 13 C. de usufructu (3. 33.).
§ 5 J. de usu
(2. 5.).

§. 72. Anomaliſche Rechte. Lebensverſorgung.
den Uſusfructus eines Hauſes geben. In allen dieſen Fäl-
len behält die Freyheit des Andern einen weiten Spielraum,
denn ſelbſt im Fall des Uſusfructus kann er das Haus
vermiethen und das Miethgeld verſchwenden. Selbſt der
Uſus umfaßt doch das ganze Haus, ſo daß der Uſuar
den leerſtehenden Theil des Hauſes vermiethen kann.
Beſchränkt man aber das Recht ſtreng auf den Vortheil
des Obdachs, das der Andere in dem Hauſe finden ſoll,
ſo hat es die größte Ähnlichkeit mit der oben erwähnten
Anweiſung auf einen Freytiſch, es iſt dann partielle Ver-
ſorgung mit ſtrenger Vormundſchaft, das heißt ohne allen
Spielraum der Freyheit des Berechtigten, oder mit ande-
ren Worten eine naturalis praestatio, wobey natürlich die
capitis deminutio außer Anwendung bleiben konnte (m).
Es ſteht nicht im Widerſpruch mit dieſer Erklärung, daß
ein ſolches Legat ſpäterhin durch wohlwollende Interpre-
tation erweitert wurde, zuerſt durch die Juriſten auf den
Umfang des Uſus, dann durch Juſtinian auf den des Uſus-
fructus (n); dieſe Erweiterung gehört zu der ſpäteren Um-
bildung des Inſtituts, neben welcher die aus der in alter
Zeit beſchränkteren Natur hervorgegangene Ausſchließung

(m) Thibaut Abhandlungen
N. 2 nimmt an, nach dem Sprach-
gebrauch habe habitatio ein Quar-
tier als Almoſen für Arme bedeu-
tet, deswegen habe man ſie mit
den Alimenten gleich geſtellt, und
aus bloßer Milde die capitis de-
minutio
ausgeſchloſſen. In den
meiſten Fällen mag wohl die ha-
bitatio
in dieſem Sinn gegeben
worden ſeyn, aber dieſes Zuſam-
mentreffen war doch blos zufällig,
und der wahre Grund der juriſti-
ſchen Eigenthümlichkeit lag hierin
nicht.
(n) L. 10 pr. de usu (7. 8.).
L. 13 C. de usufructu (3. 33.).
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(2. 5.).
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[111/0125] §. 72. Anomaliſche Rechte. Lebensverſorgung. den Uſusfructus eines Hauſes geben. In allen dieſen Fäl- len behält die Freyheit des Andern einen weiten Spielraum, denn ſelbſt im Fall des Uſusfructus kann er das Haus vermiethen und das Miethgeld verſchwenden. Selbſt der Uſus umfaßt doch das ganze Haus, ſo daß der Uſuar den leerſtehenden Theil des Hauſes vermiethen kann. Beſchränkt man aber das Recht ſtreng auf den Vortheil des Obdachs, das der Andere in dem Hauſe finden ſoll, ſo hat es die größte Ähnlichkeit mit der oben erwähnten Anweiſung auf einen Freytiſch, es iſt dann partielle Ver- ſorgung mit ſtrenger Vormundſchaft, das heißt ohne allen Spielraum der Freyheit des Berechtigten, oder mit ande- ren Worten eine naturalis praestatio, wobey natürlich die capitis deminutio außer Anwendung bleiben konnte (m). Es ſteht nicht im Widerſpruch mit dieſer Erklärung, daß ein ſolches Legat ſpäterhin durch wohlwollende Interpre- tation erweitert wurde, zuerſt durch die Juriſten auf den Umfang des Uſus, dann durch Juſtinian auf den des Uſus- fructus (n); dieſe Erweiterung gehört zu der ſpäteren Um- bildung des Inſtituts, neben welcher die aus der in alter Zeit beſchränkteren Natur hervorgegangene Ausſchließung (m) Thibaut Abhandlungen N. 2 nimmt an, nach dem Sprach- gebrauch habe habitatio ein Quar- tier als Almoſen für Arme bedeu- tet, deswegen habe man ſie mit den Alimenten gleich geſtellt, und aus bloßer Milde die capitis de- minutio ausgeſchloſſen. In den meiſten Fällen mag wohl die ha- bitatio in dieſem Sinn gegeben worden ſeyn, aber dieſes Zuſam- mentreffen war doch blos zufällig, und der wahre Grund der juriſti- ſchen Eigenthümlichkeit lag hierin nicht. (n) L. 10 pr. de usu (7. 8.). L. 13 C. de usufructu (3. 33.). § 5 J. de usu (2. 5.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/125>, abgerufen am 21.11.2024.