Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.§. 97. Juristische Personen. Verfassung. (Fortsetzung.) (§ 86) angedeuteten Unterschied in dem Zustand der Cor-porationen. Viele derselben haben nämlich zu anderen Zwecken, unabhängig von ihrer privatrechtlichen Persön- lichkeit (§ 96), eine künstlich ausgebildete Verfassung, mit verschiedenen Organen der öffentlichen Gewalt in einer solchen Corporation. Indem nun von den Vertheidigern jener Lehre, der Totalität der Mitglieder (im Gegensatz jener constituirten Organe der öffentlichen Gewalt), eine unbegränzte Macht zugeschrieben wird, müssen sie diese Organe entweder ignoriren, oder blos als untergeordnete und abhängige Werkzeuge der laufenden Verwaltung an- sehen: beides mit völlig grundloser Willkühr. Durch fol- gendes Beyspiel einer der häufigsten und wichtigsten Cor- porationen wird dieses anschaulicher werden. In den deut- schen Städten findet sich von sehr alter Zeit her eine Ver- fassung mit Bürgermeister und Rath, daneben auch sehr gewöhnlich eine (zuweilen noch mannichfaltig eingerichtete) Bürgervertretung. Die Vertheidiger jener Lehre müssen nun annehmen, daß in den deutschen Städten Bürgermei- ster, Rath und Bürgervertretung nur beschränkte Verwal- tungsrechte haben, untergeordnet der allmächtigen Totali- tät der einzelnen Bürger; und in Vergleichung mit dieser Annahme ist offenbar die Frage, ob, bey der Ausmittlung des Willens dieser Totalität, Einstimmigkeit oder Stim- menmehrheit gelten soll, von untergeordneter Natur. Wollte man nun der erwähnten Lehre einige Haltung und Wahr- scheinlichkeit geben, so hätte man dieselbe von der Anwen- §. 97. Juriſtiſche Perſonen. Verfaſſung. (Fortſetzung.) (§ 86) angedeuteten Unterſchied in dem Zuſtand der Cor-porationen. Viele derſelben haben nämlich zu anderen Zwecken, unabhängig von ihrer privatrechtlichen Perſön- lichkeit (§ 96), eine künſtlich ausgebildete Verfaſſung, mit verſchiedenen Organen der oͤffentlichen Gewalt in einer ſolchen Corporation. Indem nun von den Vertheidigern jener Lehre, der Totalität der Mitglieder (im Gegenſatz jener conſtituirten Organe der öffentlichen Gewalt), eine unbegränzte Macht zugeſchrieben wird, müſſen ſie dieſe Organe entweder ignoriren, oder blos als untergeordnete und abhängige Werkzeuge der laufenden Verwaltung an- ſehen: beides mit völlig grundloſer Willkühr. Durch fol- gendes Beyſpiel einer der häufigſten und wichtigſten Cor- porationen wird dieſes anſchaulicher werden. In den deut- ſchen Städten findet ſich von ſehr alter Zeit her eine Ver- faſſung mit Bürgermeiſter und Rath, daneben auch ſehr gewöhnlich eine (zuweilen noch mannichfaltig eingerichtete) Bürgervertretung. Die Vertheidiger jener Lehre müſſen nun annehmen, daß in den deutſchen Städten Bürgermei- ſter, Rath und Bürgervertretung nur beſchränkte Verwal- tungsrechte haben, untergeordnet der allmächtigen Totali- tät der einzelnen Bürger; und in Vergleichung mit dieſer Annahme iſt offenbar die Frage, ob, bey der Ausmittlung des Willens dieſer Totalität, Einſtimmigkeit oder Stim- menmehrheit gelten ſoll, von untergeordneter Natur. Wollte man nun der erwähnten Lehre einige Haltung und Wahr- ſcheinlichkeit geben, ſo hätte man dieſelbe von der Anwen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0347" n="333"/><fw place="top" type="header">§. 97. Juriſtiſche Perſonen. Verfaſſung. (Fortſetzung.)</fw><lb/> (§ 86) angedeuteten Unterſchied in dem Zuſtand der Cor-<lb/> porationen. Viele derſelben haben nämlich zu anderen<lb/> Zwecken, unabhängig von ihrer privatrechtlichen Perſön-<lb/> lichkeit (§ 96), eine künſtlich ausgebildete Verfaſſung, mit<lb/> verſchiedenen Organen der oͤffentlichen Gewalt in einer<lb/> ſolchen Corporation. Indem nun von den Vertheidigern<lb/> jener Lehre, der Totalität der Mitglieder (im Gegenſatz<lb/> jener conſtituirten Organe der öffentlichen Gewalt), eine<lb/> unbegränzte Macht zugeſchrieben wird, müſſen ſie dieſe<lb/> Organe entweder ignoriren, oder blos als untergeordnete<lb/> und abhängige Werkzeuge der laufenden Verwaltung an-<lb/> ſehen: beides mit völlig grundloſer Willkühr. Durch fol-<lb/> gendes Beyſpiel einer der häufigſten und wichtigſten Cor-<lb/> porationen wird dieſes anſchaulicher werden. In den deut-<lb/> ſchen Städten findet ſich von ſehr alter Zeit her eine Ver-<lb/> faſſung mit Bürgermeiſter und Rath, daneben auch ſehr<lb/> gewöhnlich eine (zuweilen noch mannichfaltig eingerichtete)<lb/> Bürgervertretung. Die Vertheidiger jener Lehre müſſen<lb/> nun annehmen, daß in den deutſchen Städten Bürgermei-<lb/> ſter, Rath und Bürgervertretung nur beſchränkte Verwal-<lb/> tungsrechte haben, untergeordnet der allmächtigen Totali-<lb/> tät der einzelnen Bürger; und in Vergleichung mit dieſer<lb/> Annahme iſt offenbar die Frage, ob, bey der Ausmittlung<lb/> des Willens dieſer Totalität, Einſtimmigkeit oder Stim-<lb/> menmehrheit gelten ſoll, von untergeordneter Natur. Wollte<lb/> man nun der erwähnten Lehre einige Haltung und Wahr-<lb/> ſcheinlichkeit geben, ſo hätte man dieſelbe von der Anwen-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [333/0347]
§. 97. Juriſtiſche Perſonen. Verfaſſung. (Fortſetzung.)
(§ 86) angedeuteten Unterſchied in dem Zuſtand der Cor-
porationen. Viele derſelben haben nämlich zu anderen
Zwecken, unabhängig von ihrer privatrechtlichen Perſön-
lichkeit (§ 96), eine künſtlich ausgebildete Verfaſſung, mit
verſchiedenen Organen der oͤffentlichen Gewalt in einer
ſolchen Corporation. Indem nun von den Vertheidigern
jener Lehre, der Totalität der Mitglieder (im Gegenſatz
jener conſtituirten Organe der öffentlichen Gewalt), eine
unbegränzte Macht zugeſchrieben wird, müſſen ſie dieſe
Organe entweder ignoriren, oder blos als untergeordnete
und abhängige Werkzeuge der laufenden Verwaltung an-
ſehen: beides mit völlig grundloſer Willkühr. Durch fol-
gendes Beyſpiel einer der häufigſten und wichtigſten Cor-
porationen wird dieſes anſchaulicher werden. In den deut-
ſchen Städten findet ſich von ſehr alter Zeit her eine Ver-
faſſung mit Bürgermeiſter und Rath, daneben auch ſehr
gewöhnlich eine (zuweilen noch mannichfaltig eingerichtete)
Bürgervertretung. Die Vertheidiger jener Lehre müſſen
nun annehmen, daß in den deutſchen Städten Bürgermei-
ſter, Rath und Bürgervertretung nur beſchränkte Verwal-
tungsrechte haben, untergeordnet der allmächtigen Totali-
tät der einzelnen Bürger; und in Vergleichung mit dieſer
Annahme iſt offenbar die Frage, ob, bey der Ausmittlung
des Willens dieſer Totalität, Einſtimmigkeit oder Stim-
menmehrheit gelten ſoll, von untergeordneter Natur. Wollte
man nun der erwähnten Lehre einige Haltung und Wahr-
ſcheinlichkeit geben, ſo hätte man dieſelbe von der Anwen-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |