§. 64. Einschränkung der Rechtsfähigkeit. Einleitung.
übel verstandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, sind in den neueren Rechtssystemen verbreiteter und befestigter, als man glauben sollte; ja sie sind selbst bis in neuere Ge- setzgebungen eingedrungen. Wie anders können wir uns nun von der Herrschaft dieser verwirrenden Irrthümer befreyen, als indem wir eigene, gründliche Forschung an die Stelle der zu wenig geprüften Überlieferungen setzen? Hierin also liegt der zweyte Grund, der uns eine genaue Feststellung jener alten Lehre des Römischen Rechts un- entbehrlich macht.
Um den eben erwähnten unkritischen Einflüssen zu ent- gehen, will ich einstweilen von der bisher üblichen Be- handlung dieses Gegenstandes ganz absehen, auch sogar alle Kunstausdrücke, ächte oder unächte, vermeiden, und zunächst die reinen Rechtsregeln aufstellen, wie wir sie in unsren Quellen angegeben finden; dann erst wird es mög- lich seyn, auch die Kunstausdrücke kritisch festzustellen. Die Neueren bezeichnen sehr allgemein die oben angegebenen drey Unterschiede der Menschen mit den Kunstausdrücken status libertatis, civitatis, familiae; was daran wahr oder falsch ist, wird sich erst klar machen lassen, nachdem die Begriffe und Rechtsregeln selbst außer Zweifel gesetzt seyn werden. Ferner steht mit jenen drey Unterschieden in un- verkennbarer Beziehung eine dreyfache Capitis deminutio, die von den alten Juristen in so vielen Stellen ganz gleich- förmig erwähnt wird, daß wir darin uralte Rechtsbe- griffe und Kunstausdrücke nicht bezweifeln dürfen. Aber
§. 64. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit. Einleitung.
uͤbel verſtandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, ſind in den neueren Rechtsſyſtemen verbreiteter und befeſtigter, als man glauben ſollte; ja ſie ſind ſelbſt bis in neuere Ge- ſetzgebungen eingedrungen. Wie anders koͤnnen wir uns nun von der Herrſchaft dieſer verwirrenden Irrthümer befreyen, als indem wir eigene, gründliche Forſchung an die Stelle der zu wenig geprüften Überlieferungen ſetzen? Hierin alſo liegt der zweyte Grund, der uns eine genaue Feſtſtellung jener alten Lehre des Römiſchen Rechts un- entbehrlich macht.
Um den eben erwähnten unkritiſchen Einflüſſen zu ent- gehen, will ich einſtweilen von der bisher üblichen Be- handlung dieſes Gegenſtandes ganz abſehen, auch ſogar alle Kunſtausdrücke, ächte oder unächte, vermeiden, und zunächſt die reinen Rechtsregeln aufſtellen, wie wir ſie in unſren Quellen angegeben finden; dann erſt wird es mög- lich ſeyn, auch die Kunſtausdrücke kritiſch feſtzuſtellen. Die Neueren bezeichnen ſehr allgemein die oben angegebenen drey Unterſchiede der Menſchen mit den Kunſtausdrücken status libertatis, civitatis, familiae; was daran wahr oder falſch iſt, wird ſich erſt klar machen laſſen, nachdem die Begriffe und Rechtsregeln ſelbſt außer Zweifel geſetzt ſeyn werden. Ferner ſteht mit jenen drey Unterſchieden in un- verkennbarer Beziehung eine dreyfache Capitis deminutio, die von den alten Juriſten in ſo vielen Stellen ganz gleich- förmig erwähnt wird, daß wir darin uralte Rechtsbe- griffe und Kunſtausdrücke nicht bezweifeln dürfen. Aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0039"n="25"/><fwplace="top"type="header">§. 64. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit. Einleitung.</fw><lb/>
uͤbel verſtandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, ſind in<lb/>
den neueren Rechtsſyſtemen verbreiteter und befeſtigter, als<lb/>
man glauben ſollte; ja ſie ſind ſelbſt bis in neuere Ge-<lb/>ſetzgebungen eingedrungen. Wie anders koͤnnen wir uns<lb/>
nun von der Herrſchaft dieſer verwirrenden Irrthümer<lb/>
befreyen, als indem wir eigene, gründliche Forſchung an<lb/>
die Stelle der zu wenig geprüften Überlieferungen ſetzen?<lb/>
Hierin alſo liegt der zweyte Grund, der uns eine genaue<lb/>
Feſtſtellung jener alten Lehre des Römiſchen Rechts un-<lb/>
entbehrlich macht.</p><lb/><p>Um den eben erwähnten unkritiſchen Einflüſſen zu ent-<lb/>
gehen, will ich einſtweilen von der bisher üblichen Be-<lb/>
handlung dieſes Gegenſtandes ganz abſehen, auch ſogar<lb/>
alle Kunſtausdrücke, ächte oder unächte, vermeiden, und<lb/>
zunächſt die reinen Rechtsregeln aufſtellen, wie wir ſie in<lb/>
unſren Quellen angegeben finden; dann erſt wird es mög-<lb/>
lich ſeyn, auch die Kunſtausdrücke kritiſch feſtzuſtellen. Die<lb/>
Neueren bezeichnen ſehr allgemein die oben angegebenen<lb/>
drey Unterſchiede der Menſchen mit den Kunſtausdrücken<lb/><hirendition="#aq">status libertatis, civitatis, familiae;</hi> was daran wahr oder<lb/>
falſch iſt, wird ſich erſt klar machen laſſen, nachdem die<lb/>
Begriffe und Rechtsregeln ſelbſt außer Zweifel geſetzt ſeyn<lb/>
werden. Ferner ſteht mit jenen drey Unterſchieden in un-<lb/>
verkennbarer Beziehung eine dreyfache <hirendition="#aq">Capitis deminutio,</hi><lb/>
die von den alten Juriſten in ſo vielen Stellen ganz gleich-<lb/>
förmig erwähnt wird, daß wir darin uralte Rechtsbe-<lb/>
griffe und Kunſtausdrücke nicht bezweifeln dürfen. Aber<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[25/0039]
§. 64. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit. Einleitung.
uͤbel verſtandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, ſind in
den neueren Rechtsſyſtemen verbreiteter und befeſtigter, als
man glauben ſollte; ja ſie ſind ſelbſt bis in neuere Ge-
ſetzgebungen eingedrungen. Wie anders koͤnnen wir uns
nun von der Herrſchaft dieſer verwirrenden Irrthümer
befreyen, als indem wir eigene, gründliche Forſchung an
die Stelle der zu wenig geprüften Überlieferungen ſetzen?
Hierin alſo liegt der zweyte Grund, der uns eine genaue
Feſtſtellung jener alten Lehre des Römiſchen Rechts un-
entbehrlich macht.
Um den eben erwähnten unkritiſchen Einflüſſen zu ent-
gehen, will ich einſtweilen von der bisher üblichen Be-
handlung dieſes Gegenſtandes ganz abſehen, auch ſogar
alle Kunſtausdrücke, ächte oder unächte, vermeiden, und
zunächſt die reinen Rechtsregeln aufſtellen, wie wir ſie in
unſren Quellen angegeben finden; dann erſt wird es mög-
lich ſeyn, auch die Kunſtausdrücke kritiſch feſtzuſtellen. Die
Neueren bezeichnen ſehr allgemein die oben angegebenen
drey Unterſchiede der Menſchen mit den Kunſtausdrücken
status libertatis, civitatis, familiae; was daran wahr oder
falſch iſt, wird ſich erſt klar machen laſſen, nachdem die
Begriffe und Rechtsregeln ſelbſt außer Zweifel geſetzt ſeyn
werden. Ferner ſteht mit jenen drey Unterſchieden in un-
verkennbarer Beziehung eine dreyfache Capitis deminutio,
die von den alten Juriſten in ſo vielen Stellen ganz gleich-
förmig erwähnt wird, daß wir darin uralte Rechtsbe-
griffe und Kunſtausdrücke nicht bezweifeln dürfen. Aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/39>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.