den vier Monaten zwischen dem 182. und 300. Tage vor der Geburt irgend einmal vertrauten Umgang mit der Mutter gehabt hat, so wird dem Kind der Anspruch gegen ihn, wie gegen einen Vater, gestattet, und daran knüpfen sich zugleich Ansprüche der Mutter. Daß man dieses an- nahm, war unvermeidlich, als Nothbehelf, weil sich kein anderer Ausweg zeigte. Nur muß man sich nicht täuschen, als ob hierin eine wirkliche Analogie des Römischen Rechts angewendet würde. Denn die Vermuthung des Römischen Rechts gründet sich auf die Heiligkeit der Ehe, die ihre Würde auf Alles verbreitet, was während ihrer Dauer vorgeht. Völlig verschieden davon ist die Vermuthung ei- nes Causalzusammenhangs zwischen einem erwiesenen ein- zelnen Beyschlaf und einer nach 182 bis 300 Tagen er- folgten Niederkunft. Ja diese letzte Vermuthung zeigt sich, consequent durchgeführt, ganz unhaltbar, indem sie darauf führt, daß ein Kind in der That von vielen Vätern er- zeugt seyn könne (Note d). Man muß also nur anerkennen, daß jene Vermuthung bey unehelichen Kindern eine will- kührliche, aber unvermeidliche Annahme ist.
Die zweyte Frage betrifft die Behandlung desselben Gegenstandes in neueren Gesetzgebungen. Diese haben meist die Vermuthung des Römischen Rechts angenommen, nur mit einigen Modificationen.
Das Französische Gesetzbuch schließt sich am engsten an das Römische Recht an. Die Vermuthung setzt es zwischen 180 und 300 Tage, und läßt nur, als Gegenbe-
Vitalität.
den vier Monaten zwiſchen dem 182. und 300. Tage vor der Geburt irgend einmal vertrauten Umgang mit der Mutter gehabt hat, ſo wird dem Kind der Anſpruch gegen ihn, wie gegen einen Vater, geſtattet, und daran knüpfen ſich zugleich Anſprüche der Mutter. Daß man dieſes an- nahm, war unvermeidlich, als Nothbehelf, weil ſich kein anderer Ausweg zeigte. Nur muß man ſich nicht täuſchen, als ob hierin eine wirkliche Analogie des Römiſchen Rechts angewendet würde. Denn die Vermuthung des Römiſchen Rechts gründet ſich auf die Heiligkeit der Ehe, die ihre Würde auf Alles verbreitet, was waͤhrend ihrer Dauer vorgeht. Voͤllig verſchieden davon iſt die Vermuthung ei- nes Cauſalzuſammenhangs zwiſchen einem erwieſenen ein- zelnen Beyſchlaf und einer nach 182 bis 300 Tagen er- folgten Niederkunft. Ja dieſe letzte Vermuthung zeigt ſich, conſequent durchgeführt, ganz unhaltbar, indem ſie darauf führt, daß ein Kind in der That von vielen Vätern er- zeugt ſeyn koͤnne (Note d). Man muß alſo nur anerkennen, daß jene Vermuthung bey unehelichen Kindern eine will- kührliche, aber unvermeidliche Annahme iſt.
Die zweyte Frage betrifft die Behandlung deſſelben Gegenſtandes in neueren Geſetzgebungen. Dieſe haben meiſt die Vermuthung des Römiſchen Rechts angenommen, nur mit einigen Modificationen.
Das Franzöſiſche Geſetzbuch ſchließt ſich am engſten an das Roͤmiſche Recht an. Die Vermuthung ſetzt es zwiſchen 180 und 300 Tage, und läßt nur, als Gegenbe-
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Vitalität.
den vier Monaten zwiſchen dem 182. und 300. Tage vor
der Geburt irgend einmal vertrauten Umgang mit der
Mutter gehabt hat, ſo wird dem Kind der Anſpruch gegen
ihn, wie gegen einen Vater, geſtattet, und daran knüpfen
ſich zugleich Anſprüche der Mutter. Daß man dieſes an-
nahm, war unvermeidlich, als Nothbehelf, weil ſich kein
anderer Ausweg zeigte. Nur muß man ſich nicht täuſchen,
als ob hierin eine wirkliche Analogie des Römiſchen Rechts
angewendet würde. Denn die Vermuthung des Römiſchen
Rechts gründet ſich auf die Heiligkeit der Ehe, die ihre
Würde auf Alles verbreitet, was waͤhrend ihrer Dauer
vorgeht. Voͤllig verſchieden davon iſt die Vermuthung ei-
nes Cauſalzuſammenhangs zwiſchen einem erwieſenen ein-
zelnen Beyſchlaf und einer nach 182 bis 300 Tagen er-
folgten Niederkunft. Ja dieſe letzte Vermuthung zeigt ſich,
conſequent durchgeführt, ganz unhaltbar, indem ſie darauf
führt, daß ein Kind in der That von vielen Vätern er-
zeugt ſeyn koͤnne (Note d). Man muß alſo nur anerkennen,
daß jene Vermuthung bey unehelichen Kindern eine will-
kührliche, aber unvermeidliche Annahme iſt.
Die zweyte Frage betrifft die Behandlung deſſelben
Gegenſtandes in neueren Geſetzgebungen. Dieſe haben meiſt
die Vermuthung des Römiſchen Rechts angenommen, nur
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Das Franzöſiſche Geſetzbuch ſchließt ſich am engſten
an das Roͤmiſche Recht an. Die Vermuthung ſetzt es
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/429>, abgerufen am 16.02.2025.
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