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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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§. 114. Zwang und Irrthum.
scheinbar entgegenstehenden Zeugnisse keinen erheblichen
Zweifel erregen können (d). Ganz vorzüglich aber ist die
unzweifelhafte praktische Behandlung dieses Falles, von
welcher sogleich die Rede seyn wird, nur unter Voraus-
setzung jener Grundregel begreiflich.

Obgleich nun der Zwang zu einer Willenserklärung
die Freyheit des Handelnden an sich nicht aufhebt, folg-
lich der natürlichen Wirksamkeit der Erklärung nicht im
Wege steht, so steht er dennoch im geraden Widerspruch
mit dem Zweck alles Rechts, welcher auf die sichere und
selbstständige Entwicklung der Persönlichkeit gerichtet ist

esset noluissem, tamen coactus
volui:
sed per Praetorem re-
stituendus sum, ut abstinendi
mihi potestas tribuatur." --
L. 21. 22 de ritu nupt. (23. 2.).
".. Si patre cogente ducit uxo-
rem, quam non duceret si sui
arbitrii esset ... maluisse hoc
videtur
."
Es ist kein Grund vor-
handen, unter dem allgemeinen
Ausdruck dieser letzten Stelle, wie
Manche wollen, etwas Anderes
als den eigentlichen Zwang, näm-
lich die ehrfurchtsvolle Nachgie-
bigkeit gegen den ernsten Willen
des Vaters (metus reverentia-
lis)
zu verstehen.
(d) L. 6 § 7 de adqu. vel om.
her
. (29. 2.). "Celsus .. scripsit,
eum qui metu ... coactus, fal-
lens adierit hereditatem
.. he-
redem non fieri" etc. Fallens

steht für simulans, er hatte also
nur zum Schein etwa Handlun-
gen eines Erben (als gestio) aus
Furcht vorgenommen, folglich gar
nicht wirklich angetreten (fallens
adierit für simulaverit se adire).

Die Emendation pallens für fal-
lens
ist verwerflich. Vgl. über
die Stelle, außer der Glosse,
auch Cujacius in L. 21 quod me-
tus Opp. I. 971. Marckart in-
terpret. II. 13. -- L. 9 pr. qui
et a quib. manum
. (40. 9.).
In
der hier erwähnten erzwungnen
Handlung liegt gar keine Manu-
mission, sondern blos die an sich
unwirksame schriftliche Anerken-
nung der Freyheit. L. 17 pr.
eod
.
spricht von einem positiven,
polizeylichen Verbot der durch
Volksgewalt erzwungenen Frey-
lassungen; das Bedürfniß eines
solchen Verbots beweist gerade,
daß die Handlung ohne dasselbe
gültig gewesen wäre.

§. 114. Zwang und Irrthum.
ſcheinbar entgegenſtehenden Zeugniſſe keinen erheblichen
Zweifel erregen können (d). Ganz vorzüglich aber iſt die
unzweifelhafte praktiſche Behandlung dieſes Falles, von
welcher ſogleich die Rede ſeyn wird, nur unter Voraus-
ſetzung jener Grundregel begreiflich.

Obgleich nun der Zwang zu einer Willenserklärung
die Freyheit des Handelnden an ſich nicht aufhebt, folg-
lich der natürlichen Wirkſamkeit der Erklärung nicht im
Wege ſteht, ſo ſteht er dennoch im geraden Widerſpruch
mit dem Zweck alles Rechts, welcher auf die ſichere und
ſelbſtſtändige Entwicklung der Perſönlichkeit gerichtet iſt

esset noluissem, tamen coactus
volui:
sed per Praetorem re-
stituendus sum, ut abstinendi
mihi potestas tribuatur.” —
L. 21. 22 de ritu nupt. (23. 2.).
„.. Si patre cogente ducit uxo-
rem, quam non duceret si sui
arbitrii esset … maluisse hoc
videtur
.”
Es iſt kein Grund vor-
handen, unter dem allgemeinen
Ausdruck dieſer letzten Stelle, wie
Manche wollen, etwas Anderes
als den eigentlichen Zwang, näm-
lich die ehrfurchtsvolle Nachgie-
bigkeit gegen den ernſten Willen
des Vaters (metus reverentia-
lis)
zu verſtehen.
(d) L. 6 § 7 de adqu. vel om.
her
. (29. 2.). „Celsus .. scripsit,
eum qui metu … coactus, fal-
lens adierit hereditatem
.. he-
redem non fieri” etc. Fallens

ſteht für simulans, er hatte alſo
nur zum Schein etwa Handlun-
gen eines Erben (als gestio) aus
Furcht vorgenommen, folglich gar
nicht wirklich angetreten (fallens
adierit für simulaverit se adire).

Die Emendation pallens für fal-
lens
iſt verwerflich. Vgl. über
die Stelle, außer der Gloſſe,
auch Cujacius in L. 21 quod me-
tus Opp. I. 971. Marckart in-
terpret. II. 13. — L. 9 pr. qui
et a quib. manum
. (40. 9.).
In
der hier erwähnten erzwungnen
Handlung liegt gar keine Manu-
miſſion, ſondern blos die an ſich
unwirkſame ſchriftliche Anerken-
nung der Freyheit. L. 17 pr.
eod
.
ſpricht von einem poſitiven,
polizeylichen Verbot der durch
Volksgewalt erzwungenen Frey-
laſſungen; das Bedürfniß eines
ſolchen Verbots beweiſt gerade,
daß die Handlung ohne daſſelbe
gültig geweſen wäre.
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[103/0115] §. 114. Zwang und Irrthum. ſcheinbar entgegenſtehenden Zeugniſſe keinen erheblichen Zweifel erregen können (d). Ganz vorzüglich aber iſt die unzweifelhafte praktiſche Behandlung dieſes Falles, von welcher ſogleich die Rede ſeyn wird, nur unter Voraus- ſetzung jener Grundregel begreiflich. Obgleich nun der Zwang zu einer Willenserklärung die Freyheit des Handelnden an ſich nicht aufhebt, folg- lich der natürlichen Wirkſamkeit der Erklärung nicht im Wege ſteht, ſo ſteht er dennoch im geraden Widerſpruch mit dem Zweck alles Rechts, welcher auf die ſichere und ſelbſtſtändige Entwicklung der Perſönlichkeit gerichtet iſt (c) (d) L. 6 § 7 de adqu. vel om. her. (29. 2.). „Celsus .. scripsit, eum qui metu … coactus, fal- lens adierit hereditatem .. he- redem non fieri” etc. Fallens ſteht für simulans, er hatte alſo nur zum Schein etwa Handlun- gen eines Erben (als gestio) aus Furcht vorgenommen, folglich gar nicht wirklich angetreten (fallens adierit für simulaverit se adire). Die Emendation pallens für fal- lens iſt verwerflich. Vgl. über die Stelle, außer der Gloſſe, auch Cujacius in L. 21 quod me- tus Opp. I. 971. Marckart in- terpret. II. 13. — L. 9 pr. qui et a quib. manum. (40. 9.). In der hier erwähnten erzwungnen Handlung liegt gar keine Manu- miſſion, ſondern blos die an ſich unwirkſame ſchriftliche Anerken- nung der Freyheit. L. 17 pr. eod. ſpricht von einem poſitiven, polizeylichen Verbot der durch Volksgewalt erzwungenen Frey- laſſungen; das Bedürfniß eines ſolchen Verbots beweiſt gerade, daß die Handlung ohne daſſelbe gültig geweſen wäre. (c) esset noluissem, tamen coactus volui: sed per Praetorem re- stituendus sum, ut abstinendi mihi potestas tribuatur.” — L. 21. 22 de ritu nupt. (23. 2.). „.. Si patre cogente ducit uxo- rem, quam non duceret si sui arbitrii esset … maluisse hoc videtur.” Es iſt kein Grund vor- handen, unter dem allgemeinen Ausdruck dieſer letzten Stelle, wie Manche wollen, etwas Anderes als den eigentlichen Zwang, näm- lich die ehrfurchtsvolle Nachgie- bigkeit gegen den ernſten Willen des Vaters (metus reverentia- lis) zu verſtehen.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/115>, abgerufen am 25.11.2024.