Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
tionen, die überall durch Beyspiele anschaulich gemacht
werden sollen:

I. Nothwendig:
A. positiv:
a) physisch nothwendig.
Wenn den Tag nach meinem Tode die Sonne
aufgehen sollte; oder: wenn ich jemals sterben
sollte.
b) juristisch.
Wenn Titius überhaupt rechtsfähig seyn sollte (c).
B. negativ (d):
a) physisch nothwendig.
Wenn Titius unterläßt, den Mond zu ersteigen.
(c) Weil nämlich wir eine gänz-
liche Rechtsunfähigkeit nicht ken-
nen. Bey den Römern hätte
diese Bedingung den Sinn ge-
habt: "wenn Titius ein freyer
Mensch ist" (welches ja zweifel-
haft seyn konnte), und sie wäre
nicht nothwendig gewesen.
(d) Die Neueren nennen irrig
eine solche Bedingung: negativ
unmöglich, da sie doch in der
That nothwendig (und daneben
zugleich negativ) ist; da nämlich
der Gegenstand des Unterlassens
unmöglich ist, (welches eben den
falschen Ausdruck veranlaßt hat),
so ist die Bedingung selbst, d. h.
die Erfüllung, nothwendig. Al-
lerdings hat jenen unrichtigen
Sprachgebrauch schon Ulpian in
L. 50 § 1 de her. inst. (28. 5.).
"Si in non faciendo impossibi-
lis conditio institutione here-
dis sit expressa, secundum om-
nium sententiam heres erit, pe-
rinde ac si pure institutus es-
set."
Man könnte glauben, Ul-
pian habe nicht an diesen Fall ge-
dacht, sondern an den, welchen ich
mit II. B. bezeichnet habe, wobey
sein Ausdruck richtig seyn würde.
Das kann aber nicht angenom-
men werden, weil gerade dieser
Fall streitig war, so daß er von
ihm nicht sagen konnte: secun-
dum omnium sententiam.
Der-
selbe Sprachgebrauch liegt zum
Grunde in L. 7 de verb. oblig.
(45. 1.), und L. 20 pr. de cond.
inst.
(28. 7.). Diese ganze Be-
merkung ist gut ausgeführt von
Arndts S. 162--169.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
tionen, die überall durch Beyſpiele anſchaulich gemacht
werden ſollen:

I. Nothwendig:
A. poſitiv:
a) phyſiſch nothwendig.
Wenn den Tag nach meinem Tode die Sonne
aufgehen ſollte; oder: wenn ich jemals ſterben
ſollte.
b) juriſtiſch.
Wenn Titius überhaupt rechtsfähig ſeyn ſollte (c).
B. negativ (d):
a) phyſiſch nothwendig.
Wenn Titius unterläßt, den Mond zu erſteigen.
(c) Weil nämlich wir eine gänz-
liche Rechtsunfähigkeit nicht ken-
nen. Bey den Römern hätte
dieſe Bedingung den Sinn ge-
habt: „wenn Titius ein freyer
Menſch iſt“ (welches ja zweifel-
haft ſeyn konnte), und ſie wäre
nicht nothwendig geweſen.
(d) Die Neueren nennen irrig
eine ſolche Bedingung: negativ
unmöglich, da ſie doch in der
That nothwendig (und daneben
zugleich negativ) iſt; da nämlich
der Gegenſtand des Unterlaſſens
unmöglich iſt, (welches eben den
falſchen Ausdruck veranlaßt hat),
ſo iſt die Bedingung ſelbſt, d. h.
die Erfüllung, nothwendig. Al-
lerdings hat jenen unrichtigen
Sprachgebrauch ſchon Ulpian in
L. 50 § 1 de her. inst. (28. 5.).
„Si in non faciendo impossibi-
lis conditio institutione here-
dis sit expressa, secundum om-
nium sententiam heres erit, pe-
rinde ac si pure institutus es-
set.”
Man könnte glauben, Ul-
pian habe nicht an dieſen Fall ge-
dacht, ſondern an den, welchen ich
mit II. B. bezeichnet habe, wobey
ſein Ausdruck richtig ſeyn würde.
Das kann aber nicht angenom-
men werden, weil gerade dieſer
Fall ſtreitig war, ſo daß er von
ihm nicht ſagen konnte: secun-
dum omnium sententiam.
Der-
ſelbe Sprachgebrauch liegt zum
Grunde in L. 7 de verb. oblig.
(45. 1.), und L. 20 pr. de cond.
inst.
(28. 7.). Dieſe ganze Be-
merkung iſt gut ausgeführt von
Arndts S. 162—169.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0170" n="158"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Ent&#x017F;tehung und Untergang.</fw><lb/>
tionen, die überall durch Bey&#x017F;piele an&#x017F;chaulich gemacht<lb/>
werden &#x017F;ollen:</p><lb/>
            <list>
              <item><hi rendition="#aq">I.</hi> Nothwendig:<lb/><list><item><hi rendition="#aq">A.</hi> po&#x017F;itiv:<lb/><list><item><hi rendition="#aq">a)</hi> phy&#x017F;i&#x017F;ch nothwendig.<lb/><hi rendition="#et">Wenn den Tag nach meinem Tode die Sonne<lb/>
aufgehen &#x017F;ollte; oder: wenn ich jemals &#x017F;terben<lb/>
&#x017F;ollte.</hi></item><lb/><item><hi rendition="#aq">b)</hi> juri&#x017F;ti&#x017F;ch.<lb/><hi rendition="#et">Wenn Titius überhaupt rechtsfähig &#x017F;eyn &#x017F;ollte <note place="foot" n="(c)">Weil nämlich wir eine gänz-<lb/>
liche Rechtsunfähigkeit nicht ken-<lb/>
nen. Bey den Römern hätte<lb/>
die&#x017F;e Bedingung den Sinn ge-<lb/>
habt: &#x201E;wenn Titius ein freyer<lb/>
Men&#x017F;ch i&#x017F;t&#x201C; (welches ja zweifel-<lb/>
haft &#x017F;eyn konnte), und &#x017F;ie wäre<lb/>
nicht nothwendig gewe&#x017F;en.</note>.</hi></item></list></item><lb/><item><hi rendition="#aq">B.</hi> negativ <note place="foot" n="(d)">Die Neueren nennen irrig<lb/>
eine &#x017F;olche Bedingung: negativ<lb/><hi rendition="#g">unmöglich</hi>, da &#x017F;ie doch in der<lb/>
That nothwendig (und daneben<lb/>
zugleich negativ) i&#x017F;t; da nämlich<lb/>
der Gegen&#x017F;tand des Unterla&#x017F;&#x017F;ens<lb/>
unmöglich i&#x017F;t, (welches eben den<lb/>
fal&#x017F;chen Ausdruck veranlaßt hat),<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t die Bedingung &#x017F;elb&#x017F;t, d. h.<lb/>
die Erfüllung, nothwendig. Al-<lb/>
lerdings hat jenen unrichtigen<lb/>
Sprachgebrauch &#x017F;chon Ulpian in<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 50 § 1 <hi rendition="#i">de her. inst.</hi> (28. 5.).<lb/>
&#x201E;Si in non faciendo impossibi-<lb/>
lis conditio institutione here-<lb/>
dis sit expressa, secundum om-<lb/>
nium sententiam heres erit, pe-<lb/>
rinde ac si pure institutus es-<lb/>
set.&#x201D;</hi> Man könnte glauben, Ul-<lb/>
pian habe nicht an die&#x017F;en Fall ge-<lb/>
dacht, &#x017F;ondern an den, welchen ich<lb/>
mit <hi rendition="#aq">II. B.</hi> bezeichnet habe, wobey<lb/>
&#x017F;ein Ausdruck richtig &#x017F;eyn würde.<lb/>
Das kann aber nicht angenom-<lb/>
men werden, weil gerade die&#x017F;er<lb/>
Fall &#x017F;treitig war, &#x017F;o daß er von<lb/>
ihm nicht &#x017F;agen konnte: <hi rendition="#aq">secun-<lb/>
dum omnium sententiam.</hi> Der-<lb/>
&#x017F;elbe Sprachgebrauch liegt zum<lb/>
Grunde in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 7 <hi rendition="#i">de verb. oblig.</hi></hi><lb/>
(45. 1.), und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 20 <hi rendition="#i">pr. de cond.<lb/>
inst.</hi></hi> (28. 7.). Die&#x017F;e ganze Be-<lb/>
merkung i&#x017F;t gut ausgeführt von<lb/><hi rendition="#g">Arndts</hi> S. 162&#x2014;169.</note>:<lb/><list><item><hi rendition="#aq">a)</hi> phy&#x017F;i&#x017F;ch nothwendig.<lb/><hi rendition="#et">Wenn Titius unterläßt, den Mond zu er&#x017F;teigen.</hi></item><lb/></list></item></list></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0170] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. tionen, die überall durch Beyſpiele anſchaulich gemacht werden ſollen: I. Nothwendig: A. poſitiv: a) phyſiſch nothwendig. Wenn den Tag nach meinem Tode die Sonne aufgehen ſollte; oder: wenn ich jemals ſterben ſollte. b) juriſtiſch. Wenn Titius überhaupt rechtsfähig ſeyn ſollte (c). B. negativ (d): a) phyſiſch nothwendig. Wenn Titius unterläßt, den Mond zu erſteigen. (c) Weil nämlich wir eine gänz- liche Rechtsunfähigkeit nicht ken- nen. Bey den Römern hätte dieſe Bedingung den Sinn ge- habt: „wenn Titius ein freyer Menſch iſt“ (welches ja zweifel- haft ſeyn konnte), und ſie wäre nicht nothwendig geweſen. (d) Die Neueren nennen irrig eine ſolche Bedingung: negativ unmöglich, da ſie doch in der That nothwendig (und daneben zugleich negativ) iſt; da nämlich der Gegenſtand des Unterlaſſens unmöglich iſt, (welches eben den falſchen Ausdruck veranlaßt hat), ſo iſt die Bedingung ſelbſt, d. h. die Erfüllung, nothwendig. Al- lerdings hat jenen unrichtigen Sprachgebrauch ſchon Ulpian in L. 50 § 1 de her. inst. (28. 5.). „Si in non faciendo impossibi- lis conditio institutione here- dis sit expressa, secundum om- nium sententiam heres erit, pe- rinde ac si pure institutus es- set.” Man könnte glauben, Ul- pian habe nicht an dieſen Fall ge- dacht, ſondern an den, welchen ich mit II. B. bezeichnet habe, wobey ſein Ausdruck richtig ſeyn würde. Das kann aber nicht angenom- men werden, weil gerade dieſer Fall ſtreitig war, ſo daß er von ihm nicht ſagen konnte: secun- dum omnium sententiam. Der- ſelbe Sprachgebrauch liegt zum Grunde in L. 7 de verb. oblig. (45. 1.), und L. 20 pr. de cond. inst. (28. 7.). Dieſe ganze Be- merkung iſt gut ausgeführt von Arndts S. 162—169.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/170
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/170>, abgerufen am 24.11.2024.