Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang. unter den Vertragsbegriff, die Hegel als Schändlichkeitbezeichnet (S. 116), bezieht sich lediglich auf die oben dar- gestellte Lehre von Kant, also auf die Auffassung der Ehe als eines obligatorischen, und zwar wechselseitig auf den Beyschlaf gerichteten, Vertrags. Allein was nöthigt uns, den in der Ehe liegenden Vertrag gerade so zu denken? Wenn der Geistliche die Verlobten fragt, ob sie einander Liebe und Treue beweisen wollen bis in den Tod, und sie diese Frage bejahen, so hat ihre Erklärung nicht den Sinn eines Versprechens bestimmter Handlungen, noch der Un- terwerfung unter den gerichtlichen Zwang, für den Fall daß diese Handlungen nicht geleistet würden; wohl aber hat sie den Sinn, daß sie sich der von dem Christenthum geforderten Gestalt der Ehe bewußt sind, und daß sie den übereinstimmenden Willen haben, in dieser Weise ihr ge- meinsames Leben zu führen. Weil von dieser Willenser- klärung die Anerkennung der Ehe als eines Rechtsverhält- nisses abhängt, nennen wir sie mit gutem Grund einen Vertrag. Man sage nicht, diese Auffassung sey gezwungen, oder mit Willkühr hineingetragen. Sie ist so sehr die na- türliche, daß Jeder, der sich darüber unbefangen Rechen- schaft geben will, gerade darauf kommen wird; sie ist ins- besondere die in allen christlichen Kirchen anerkannte, denn nur von diesem Standpunkt aus erklärt es sich, daß der Geistliche eine Handlung leitet und vermittelt, die zugleich einen kirchlichen und einen privatrechtlichen Character hat (f). (f) Das, was ich hier, gegen Hegel streitend, behaupte, ist, wie
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. unter den Vertragsbegriff, die Hegel als Schändlichkeitbezeichnet (S. 116), bezieht ſich lediglich auf die oben dar- geſtellte Lehre von Kant, alſo auf die Auffaſſung der Ehe als eines obligatoriſchen, und zwar wechſelſeitig auf den Beyſchlaf gerichteten, Vertrags. Allein was nöthigt uns, den in der Ehe liegenden Vertrag gerade ſo zu denken? Wenn der Geiſtliche die Verlobten fragt, ob ſie einander Liebe und Treue beweiſen wollen bis in den Tod, und ſie dieſe Frage bejahen, ſo hat ihre Erklärung nicht den Sinn eines Verſprechens beſtimmter Handlungen, noch der Un- terwerfung unter den gerichtlichen Zwang, für den Fall daß dieſe Handlungen nicht geleiſtet würden; wohl aber hat ſie den Sinn, daß ſie ſich der von dem Chriſtenthum geforderten Geſtalt der Ehe bewußt ſind, und daß ſie den übereinſtimmenden Willen haben, in dieſer Weiſe ihr ge- meinſames Leben zu führen. Weil von dieſer Willenser- klärung die Anerkennung der Ehe als eines Rechtsverhält- niſſes abhängt, nennen wir ſie mit gutem Grund einen Vertrag. Man ſage nicht, dieſe Auffaſſung ſey gezwungen, oder mit Willkühr hineingetragen. Sie iſt ſo ſehr die na- türliche, daß Jeder, der ſich darüber unbefangen Rechen- ſchaft geben will, gerade darauf kommen wird; ſie iſt ins- beſondere die in allen chriſtlichen Kirchen anerkannte, denn nur von dieſem Standpunkt aus erklärt es ſich, daß der Geiſtliche eine Handlung leitet und vermittelt, die zugleich einen kirchlichen und einen privatrechtlichen Character hat (f). (f) Das, was ich hier, gegen Hegel ſtreitend, behaupte, iſt, wie
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
unter den Vertragsbegriff, die Hegel als Schändlichkeit
bezeichnet (S. 116), bezieht ſich lediglich auf die oben dar-
geſtellte Lehre von Kant, alſo auf die Auffaſſung der Ehe
als eines obligatoriſchen, und zwar wechſelſeitig auf den
Beyſchlaf gerichteten, Vertrags. Allein was nöthigt uns,
den in der Ehe liegenden Vertrag gerade ſo zu denken?
Wenn der Geiſtliche die Verlobten fragt, ob ſie einander
Liebe und Treue beweiſen wollen bis in den Tod, und ſie
dieſe Frage bejahen, ſo hat ihre Erklärung nicht den Sinn
eines Verſprechens beſtimmter Handlungen, noch der Un-
terwerfung unter den gerichtlichen Zwang, für den Fall
daß dieſe Handlungen nicht geleiſtet würden; wohl aber
hat ſie den Sinn, daß ſie ſich der von dem Chriſtenthum
geforderten Geſtalt der Ehe bewußt ſind, und daß ſie den
übereinſtimmenden Willen haben, in dieſer Weiſe ihr ge-
meinſames Leben zu führen. Weil von dieſer Willenser-
klärung die Anerkennung der Ehe als eines Rechtsverhält-
niſſes abhängt, nennen wir ſie mit gutem Grund einen
Vertrag. Man ſage nicht, dieſe Auffaſſung ſey gezwungen,
oder mit Willkühr hineingetragen. Sie iſt ſo ſehr die na-
türliche, daß Jeder, der ſich darüber unbefangen Rechen-
ſchaft geben will, gerade darauf kommen wird; ſie iſt ins-
beſondere die in allen chriſtlichen Kirchen anerkannte, denn
nur von dieſem Standpunkt aus erklärt es ſich, daß der
Geiſtliche eine Handlung leitet und vermittelt, die zugleich
einen kirchlichen und einen privatrechtlichen Character hat (f).
(f) Das, was ich hier, gegen Hegel ſtreitend, behaupte, iſt, wie
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