Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Irrthum und Unwissenheit.

Wenn sich zwey Parteyen vor einem incompetenten
Gericht einlassen, so wird dieses durch freywillige Proro-
gation competent; die Einlassung also gilt als stillschwei-
gende Erklärung, daß sie diesem Gericht durch freyen Ent-
schluß sich unterwerfen wollen (b). Glaubten sie aber irri-
gerweise, das Gericht sey ohnehin competent, so wollten
sie sich blos der vermeyntlichen Nothwendigkeit fügen;
dann kann ihre Einlassung nicht als stillschweigende freye
Unterwerfung ausgelegt werden, und sie hat daher nicht
die Kraft einer Prorogation (c). Hier wird nun der Irr-
thum fast immer ein Rechtsirrthum seyn, indem er die
Rechtsregeln über die örtlichen oder persönlichen Gränzen
des Gerichtssprengels zum Gegenstand haben wird, so daß
also hier, wie oben bemerkt, der Rechtsirrthum dieselbe
Wirkung hat, wie der factische Irrthum.

Wenn ein zur Erbschaft Berufener Geschäfte der Erb-
schaft besorgt, so liegt in dieser pro herede gestio eine
stillschweigende Antretung. Wenn er jedoch irrigerweise
das zur Erbschaft gehörende Geschäft nicht für ein sol-
ches, sondern für sein eigenes hielt, so kann unmöglich
seine Handlung als Ausdruck jenes Willens angesehen
werden (d).


(b) L. 1 de judiciis (5. 1.).
(c) L. 2 pr. de judiciis (5. 1.),
L. 15 de jurisd. (2. 1.).
Diese
beide Stellen gehören wiederum,
eben so wie die in Note a an-
geführte, unter diejenigen, welche
scheinbar jede Willenserklärung
für nicht vorhanden erklären, wenn
ihr ein Irrthum zum Grunde liegt
(Num. VII.). Gerade die Hälfte
der dort angeführten Sechs Stel-
len bezieht sich also lediglich auf
die eigenthümliche Natur der still-
schweigenden Willenserklärung.
(d) L. 20 pr. de adqu. her.
(29. 2.) ".. si quid non quasi
Irrthum und Unwiſſenheit.

Wenn ſich zwey Parteyen vor einem incompetenten
Gericht einlaſſen, ſo wird dieſes durch freywillige Proro-
gation competent; die Einlaſſung alſo gilt als ſtillſchwei-
gende Erklärung, daß ſie dieſem Gericht durch freyen Ent-
ſchluß ſich unterwerfen wollen (b). Glaubten ſie aber irri-
gerweiſe, das Gericht ſey ohnehin competent, ſo wollten
ſie ſich blos der vermeyntlichen Nothwendigkeit fügen;
dann kann ihre Einlaſſung nicht als ſtillſchweigende freye
Unterwerfung ausgelegt werden, und ſie hat daher nicht
die Kraft einer Prorogation (c). Hier wird nun der Irr-
thum faſt immer ein Rechtsirrthum ſeyn, indem er die
Rechtsregeln über die örtlichen oder perſönlichen Gränzen
des Gerichtsſprengels zum Gegenſtand haben wird, ſo daß
alſo hier, wie oben bemerkt, der Rechtsirrthum dieſelbe
Wirkung hat, wie der factiſche Irrthum.

Wenn ein zur Erbſchaft Berufener Geſchäfte der Erb-
ſchaft beſorgt, ſo liegt in dieſer pro herede gestio eine
ſtillſchweigende Antretung. Wenn er jedoch irrigerweiſe
das zur Erbſchaft gehörende Geſchäft nicht für ein ſol-
ches, ſondern für ſein eigenes hielt, ſo kann unmöglich
ſeine Handlung als Ausdruck jenes Willens angeſehen
werden (d).


(b) L. 1 de judiciis (5. 1.).
(c) L. 2 pr. de judiciis (5. 1.),
L. 15 de jurisd. (2. 1.).
Dieſe
beide Stellen gehören wiederum,
eben ſo wie die in Note a an-
geführte, unter diejenigen, welche
ſcheinbar jede Willenserklärung
für nicht vorhanden erklären, wenn
ihr ein Irrthum zum Grunde liegt
(Num. VII.). Gerade die Hälfte
der dort angeführten Sechs Stel-
len bezieht ſich alſo lediglich auf
die eigenthümliche Natur der ſtill-
ſchweigenden Willenserklärung.
(d) L. 20 pr. de adqu. her.
(29. 2.) „.. si quid non quasi
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0377" n="365"/>
          <fw place="top" type="header">Irrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit.</fw><lb/>
          <p>Wenn &#x017F;ich zwey Parteyen vor einem incompetenten<lb/>
Gericht einla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wird die&#x017F;es durch freywillige Proro-<lb/>
gation competent; die Einla&#x017F;&#x017F;ung al&#x017F;o gilt als &#x017F;till&#x017F;chwei-<lb/>
gende Erklärung, daß &#x017F;ie die&#x017F;em Gericht durch freyen Ent-<lb/>
&#x017F;chluß &#x017F;ich unterwerfen wollen <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 1 <hi rendition="#i">de judiciis</hi> (5. 1.).</hi></note>. Glaubten &#x017F;ie aber irri-<lb/>
gerwei&#x017F;e, das Gericht &#x017F;ey ohnehin competent, &#x017F;o wollten<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich blos der vermeyntlichen Nothwendigkeit fügen;<lb/>
dann kann ihre Einla&#x017F;&#x017F;ung nicht als &#x017F;till&#x017F;chweigende freye<lb/>
Unterwerfung ausgelegt werden, und &#x017F;ie hat daher nicht<lb/>
die Kraft einer Prorogation <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 2 <hi rendition="#i">pr. de judiciis</hi> (5. 1.),<lb/><hi rendition="#i">L.</hi> 15 <hi rendition="#i">de jurisd.</hi> (2. 1.).</hi> Die&#x017F;e<lb/>
beide Stellen gehören wiederum,<lb/>
eben &#x017F;o wie die in Note <hi rendition="#aq">a</hi> an-<lb/>
geführte, unter diejenigen, welche<lb/>
&#x017F;cheinbar jede Willenserklärung<lb/>
für nicht vorhanden erklären, wenn<lb/>
ihr ein Irrthum zum Grunde liegt<lb/>
(Num. <hi rendition="#aq">VII.</hi>). Gerade die Hälfte<lb/>
der dort angeführten Sechs Stel-<lb/>
len bezieht &#x017F;ich al&#x017F;o lediglich auf<lb/>
die eigenthümliche Natur der &#x017F;till-<lb/>
&#x017F;chweigenden Willenserklärung.</note>. Hier wird nun der Irr-<lb/>
thum fa&#x017F;t immer ein Rechtsirrthum &#x017F;eyn, indem er die<lb/>
Rechtsregeln über die örtlichen oder per&#x017F;önlichen Gränzen<lb/>
des Gerichts&#x017F;prengels zum Gegen&#x017F;tand haben wird, &#x017F;o daß<lb/>
al&#x017F;o hier, wie oben bemerkt, der Rechtsirrthum die&#x017F;elbe<lb/>
Wirkung hat, wie der facti&#x017F;che Irrthum.</p><lb/>
          <p>Wenn ein zur Erb&#x017F;chaft Berufener Ge&#x017F;chäfte der Erb-<lb/>
&#x017F;chaft be&#x017F;orgt, &#x017F;o liegt in die&#x017F;er <hi rendition="#aq">pro herede gestio</hi> eine<lb/>
&#x017F;till&#x017F;chweigende Antretung. Wenn er jedoch irrigerwei&#x017F;e<lb/>
das zur Erb&#x017F;chaft gehörende Ge&#x017F;chäft nicht für ein &#x017F;ol-<lb/>
ches, &#x017F;ondern für &#x017F;ein eigenes hielt, &#x017F;o kann unmöglich<lb/>
&#x017F;eine Handlung als Ausdruck jenes Willens ange&#x017F;ehen<lb/>
werden <note xml:id="seg2pn_64_1" next="#seg2pn_64_2" place="foot" n="(d)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 20 <hi rendition="#i">pr. de adqu. her.</hi><lb/>
(29. 2.) &#x201E;.. si quid non quasi</hi></note>.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0377] Irrthum und Unwiſſenheit. Wenn ſich zwey Parteyen vor einem incompetenten Gericht einlaſſen, ſo wird dieſes durch freywillige Proro- gation competent; die Einlaſſung alſo gilt als ſtillſchwei- gende Erklärung, daß ſie dieſem Gericht durch freyen Ent- ſchluß ſich unterwerfen wollen (b). Glaubten ſie aber irri- gerweiſe, das Gericht ſey ohnehin competent, ſo wollten ſie ſich blos der vermeyntlichen Nothwendigkeit fügen; dann kann ihre Einlaſſung nicht als ſtillſchweigende freye Unterwerfung ausgelegt werden, und ſie hat daher nicht die Kraft einer Prorogation (c). Hier wird nun der Irr- thum faſt immer ein Rechtsirrthum ſeyn, indem er die Rechtsregeln über die örtlichen oder perſönlichen Gränzen des Gerichtsſprengels zum Gegenſtand haben wird, ſo daß alſo hier, wie oben bemerkt, der Rechtsirrthum dieſelbe Wirkung hat, wie der factiſche Irrthum. Wenn ein zur Erbſchaft Berufener Geſchäfte der Erb- ſchaft beſorgt, ſo liegt in dieſer pro herede gestio eine ſtillſchweigende Antretung. Wenn er jedoch irrigerweiſe das zur Erbſchaft gehörende Geſchäft nicht für ein ſol- ches, ſondern für ſein eigenes hielt, ſo kann unmöglich ſeine Handlung als Ausdruck jenes Willens angeſehen werden (d). (b) L. 1 de judiciis (5. 1.). (c) L. 2 pr. de judiciis (5. 1.), L. 15 de jurisd. (2. 1.). Dieſe beide Stellen gehören wiederum, eben ſo wie die in Note a an- geführte, unter diejenigen, welche ſcheinbar jede Willenserklärung für nicht vorhanden erklären, wenn ihr ein Irrthum zum Grunde liegt (Num. VII.). Gerade die Hälfte der dort angeführten Sechs Stel- len bezieht ſich alſo lediglich auf die eigenthümliche Natur der ſtill- ſchweigenden Willenserklärung. (d) L. 20 pr. de adqu. her. (29. 2.) „.. si quid non quasi

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/377
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/377>, abgerufen am 24.11.2024.