Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Nach dem ältesten und durchgreifendsten Grundsatz wa- ren alle Impuberes zu juristischen Handlungen ganz un- fähig, und deshalb hatten sie stets einen Tutor, der für sie handelte (§ 106). Allein die strenge Durchführung die- ses Grundsatzes, auch in dem Fall wenn der Unmündige von väterlicher Gewalt frey, folglich im Besitz eines eige- nen Vermögens war, würde für den Rechtsverkehr im Ganzen sehr störend, für die Unmündigen selbst aber äu- ßerst nachtheilig gewesen seyn. Denn die meisten und wichtigsten Geschäfte des älteren Rechts konnten nur durch eigenes Handeln des Betheiligten zu Stande kommen, und die Vertretung durch einen Fremden (wie hier durch den Tutor) war dabey ganz unzulässig und wirkungslos. Folg- lich hätte der Tutor zwar die Felder des Unmündigen be- stellen, Pachtgelder und Kapitalzinsen erheben, den Unter- halt des Mündels bestreiten, kurz alles Dasjenige, was zur laufenden Verwaltung gehört, besorgen können: aber die vortheilhaftesten und nothwendigsten Rechtsgeschäfte, wie Mancipationen, Stipulationen, Kaufcontracte u. s. w., hätten zum großen Schaden des Unmündigen gänzlich un- terbleiben müssen. Wie war da zu helfen?
Zunächst durch folgende Betrachtung. Der Grundsatz der Pubertät, als Anfang und Bedingung der Handlungs- fähigkeit, beruht auf der Voraussetzung, von diesem Zeit- punkt an werde gewiß die nöthige Einsicht in die Natur der vorkommenden Geschäfte vorhanden seyn. Allein Nie- mand kann annehmen, daß diese Einsicht mit jenem Zeit-
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Nach dem älteſten und durchgreifendſten Grundſatz wa- ren alle Impuberes zu juriſtiſchen Handlungen ganz un- fähig, und deshalb hatten ſie ſtets einen Tutor, der für ſie handelte (§ 106). Allein die ſtrenge Durchführung die- ſes Grundſatzes, auch in dem Fall wenn der Unmündige von väterlicher Gewalt frey, folglich im Beſitz eines eige- nen Vermögens war, würde für den Rechtsverkehr im Ganzen ſehr ſtörend, für die Unmündigen ſelbſt aber äu- ßerſt nachtheilig geweſen ſeyn. Denn die meiſten und wichtigſten Geſchäfte des älteren Rechts konnten nur durch eigenes Handeln des Betheiligten zu Stande kommen, und die Vertretung durch einen Fremden (wie hier durch den Tutor) war dabey ganz unzuläſſig und wirkungslos. Folg- lich hätte der Tutor zwar die Felder des Unmündigen be- ſtellen, Pachtgelder und Kapitalzinſen erheben, den Unter- halt des Mündels beſtreiten, kurz alles Dasjenige, was zur laufenden Verwaltung gehört, beſorgen können: aber die vortheilhafteſten und nothwendigſten Rechtsgeſchäfte, wie Mancipationen, Stipulationen, Kaufcontracte u. ſ. w., hätten zum großen Schaden des Unmündigen gänzlich un- terbleiben müſſen. Wie war da zu helfen?
Zunächſt durch folgende Betrachtung. Der Grundſatz der Pubertät, als Anfang und Bedingung der Handlungs- fähigkeit, beruht auf der Vorausſetzung, von dieſem Zeit- punkt an werde gewiß die nöthige Einſicht in die Natur der vorkommenden Geſchäfte vorhanden ſeyn. Allein Nie- mand kann annehmen, daß dieſe Einſicht mit jenem Zeit-
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Nach dem älteſten und durchgreifendſten Grundſatz wa-
ren alle Impuberes zu juriſtiſchen Handlungen ganz un-
fähig, und deshalb hatten ſie ſtets einen Tutor, der für
ſie handelte (§ 106). Allein die ſtrenge Durchführung die-
ſes Grundſatzes, auch in dem Fall wenn der Unmündige
von väterlicher Gewalt frey, folglich im Beſitz eines eige-
nen Vermögens war, würde für den Rechtsverkehr im
Ganzen ſehr ſtörend, für die Unmündigen ſelbſt aber äu-
ßerſt nachtheilig geweſen ſeyn. Denn die meiſten und
wichtigſten Geſchäfte des älteren Rechts konnten nur durch
eigenes Handeln des Betheiligten zu Stande kommen, und
die Vertretung durch einen Fremden (wie hier durch den
Tutor) war dabey ganz unzuläſſig und wirkungslos. Folg-
lich hätte der Tutor zwar die Felder des Unmündigen be-
ſtellen, Pachtgelder und Kapitalzinſen erheben, den Unter-
halt des Mündels beſtreiten, kurz alles Dasjenige, was
zur laufenden Verwaltung gehört, beſorgen können: aber
die vortheilhafteſten und nothwendigſten Rechtsgeſchäfte,
wie Mancipationen, Stipulationen, Kaufcontracte u. ſ. w.,
hätten zum großen Schaden des Unmündigen gänzlich un-
terbleiben müſſen. Wie war da zu helfen?
Zunächſt durch folgende Betrachtung. Der Grundſatz
der Pubertät, als Anfang und Bedingung der Handlungs-
fähigkeit, beruht auf der Vorausſetzung, von dieſem Zeit-
punkt an werde gewiß die nöthige Einſicht in die Natur
der vorkommenden Geſchäfte vorhanden ſeyn. Allein Nie-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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