Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.Irrthum und Unwissenheit. ihn nach älterem Recht selbst der Wille des Testators nichtentbinden; diese letzte Bestimmung wurde von M. Aurel durch ein Rescript aufgehoben, welches in die Semestria dieses Kaisers aufgenommen wurde (b). Nun hatte ein Erbe die ihm erlassene Caution dennoch geleistet. That er es, weil er von dem Erlaß im Testament Nichts wußte, so konnte er unstreitig mit der condictio indebiti die Be- freyung von der Caution verlangen. Wie aber, wenn er diesen Erlaß für unwirksam hielt, also in einem Rechts- irrthum befangen war? Darüber sagt hier Ulpian: "Adhuc tamen benigne quis dixerit, satisdationem con- dici posse." Auf den ersten Blick ist es einleuchtend, wie schüchtern und zweifelnd der Jurist seine Meynung vorbringt, gleich- sam versuchsweise; daran ist also wohl nicht zu denken, mit dieser einzelnen Äußerung die vielen entschiedenen Aus- sprüche für die entgegengesetzte Meynung zu entkräften. Aber wie ist auch nur diese zweifelnde Äußerung zu er- klären, da alle andere Stellen so entschieden sprechen? Man hat gesagt, es sey hier nur ein geringes Interesse im Spiel gewesen (c); das ist völlig willkührlich, und wo wäre die Gränze? Eine andere Erklärung ist die, es handle sich hier von einer indebita promissio, nicht solu- tio (d); aber beide haben nicht nur auch sonst überall glei- (b) L. 46 de pactis (2. 14.), L. 2 C. ut in poss. (6. 54.). Über die Semestria von D. Mar- cus vgl. das System § 24 Note v. (c) Cujacius opp. IV. 1432. (d) Donellus I. 21 § 18.
Irrthum und Unwiſſenheit. ihn nach älterem Recht ſelbſt der Wille des Teſtators nichtentbinden; dieſe letzte Beſtimmung wurde von M. Aurel durch ein Reſcript aufgehoben, welches in die Semestria dieſes Kaiſers aufgenommen wurde (b). Nun hatte ein Erbe die ihm erlaſſene Caution dennoch geleiſtet. That er es, weil er von dem Erlaß im Teſtament Nichts wußte, ſo konnte er unſtreitig mit der condictio indebiti die Be- freyung von der Caution verlangen. Wie aber, wenn er dieſen Erlaß für unwirkſam hielt, alſo in einem Rechts- irrthum befangen war? Darüber ſagt hier Ulpian: „Adhuc tamen benigne quis dixerit, satisdationem con- dici posse.” Auf den erſten Blick iſt es einleuchtend, wie ſchüchtern und zweifelnd der Juriſt ſeine Meynung vorbringt, gleich- ſam verſuchsweiſe; daran iſt alſo wohl nicht zu denken, mit dieſer einzelnen Äußerung die vielen entſchiedenen Aus- ſprüche für die entgegengeſetzte Meynung zu entkräften. Aber wie iſt auch nur dieſe zweifelnde Äußerung zu er- klären, da alle andere Stellen ſo entſchieden ſprechen? Man hat geſagt, es ſey hier nur ein geringes Intereſſe im Spiel geweſen (c); das iſt völlig willkührlich, und wo wäre die Gränze? Eine andere Erklärung iſt die, es handle ſich hier von einer indebita promissio, nicht solu- tio (d); aber beide haben nicht nur auch ſonſt überall glei- (b) L. 46 de pactis (2. 14.), L. 2 C. ut in poss. (6. 54.). Über die Semestria von D. Mar- cus vgl. das Syſtem § 24 Note v. (c) Cujacius opp. IV. 1432. (d) Donellus I. 21 § 18.
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Irrthum und Unwiſſenheit.
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entbinden; dieſe letzte Beſtimmung wurde von M. Aurel
durch ein Reſcript aufgehoben, welches in die Semestria
dieſes Kaiſers aufgenommen wurde (b). Nun hatte ein
Erbe die ihm erlaſſene Caution dennoch geleiſtet. That
er es, weil er von dem Erlaß im Teſtament Nichts wußte,
ſo konnte er unſtreitig mit der condictio indebiti die Be-
freyung von der Caution verlangen. Wie aber, wenn er
dieſen Erlaß für unwirkſam hielt, alſo in einem Rechts-
irrthum befangen war? Darüber ſagt hier Ulpian:
„Adhuc tamen benigne quis dixerit, satisdationem con-
dici posse.”
Auf den erſten Blick iſt es einleuchtend, wie ſchüchtern
und zweifelnd der Juriſt ſeine Meynung vorbringt, gleich-
ſam verſuchsweiſe; daran iſt alſo wohl nicht zu denken,
mit dieſer einzelnen Äußerung die vielen entſchiedenen Aus-
ſprüche für die entgegengeſetzte Meynung zu entkräften.
Aber wie iſt auch nur dieſe zweifelnde Äußerung zu er-
klären, da alle andere Stellen ſo entſchieden ſprechen?
Man hat geſagt, es ſey hier nur ein geringes Intereſſe
im Spiel geweſen (c); das iſt völlig willkührlich, und wo
wäre die Gränze? Eine andere Erklärung iſt die, es
handle ſich hier von einer indebita promissio, nicht solu-
tio (d); aber beide haben nicht nur auch ſonſt überall glei-
(b) L. 46 de pactis (2. 14.),
L. 2 C. ut in poss. (6. 54.).
Über die Semestria von D. Mar-
cus vgl. das Syſtem § 24 Note v.
(c) Cujacius opp. IV. 1432.
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