Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Beylage VIII.
ches Recht, sondern gerade die Nothwendigkeit des facti-
schen Irrthums wird auch bey der indebita promissio aus-
drücklich anerkannt (e). Andere sagen, es sey eine specielle
Ausnahme, zur Aufrechthaltung des letzten Willens (f),
und diese Erklärung könnte zur Noth zugelassen werden.
Allein ich halte auch sie nicht für nöthig, und erkläre die
zweifelnde Äußerung Ulpians aus der Natur des vorliegen-
den Rechtssatzes. Dieser enthält eine Abänderung des frühe-
ren Rechts, nicht etwa durch eigentliches Gesetz begrün-
det, sondern durch praktisches Bedürfniß herbeygeführt, und
in dem Rescript eines Kaisers anerkannt, das ja kein Gesetz
war, ungeachtet der Aufnahme in die Semestria (§ 24).
Es konnte also als ungewisses Recht betrachtet werden,
und in dieser Sachlage konnte ein billiger, nachsichtiger
Prätor wohl Grund finden (benigne quis dixerit), den
Rechtsirrthum als unverschuldet anzusehen, und daher die
condictio indebiti zu gestatten.

Die übrigen Stellen geben weit weniger Schein; die
meisten trifft die gemeinschaftliche Bemerkung, daß in ihnen
eben so gut ein factischer, als ein Rechtsirrthum voraus-
gesetzt werden kann, daß wir also diesen erst willkührlich
hinzu denken müßten, um die Stellen für unsre Frage ent-
scheidend zu machen.

L. 17 § 10 ad mun. (50. 1.). Kann factischer Irr-
thum seyn.


(e) L. 6 C. h. t.
(f) Glück B. 13 S. 145, und
eben so vor ihm Westenberg und
Weber, die er anführt.

Beylage VIII.
ches Recht, ſondern gerade die Nothwendigkeit des facti-
ſchen Irrthums wird auch bey der indebita promissio aus-
drücklich anerkannt (e). Andere ſagen, es ſey eine ſpecielle
Ausnahme, zur Aufrechthaltung des letzten Willens (f),
und dieſe Erklärung könnte zur Noth zugelaſſen werden.
Allein ich halte auch ſie nicht für nöthig, und erkläre die
zweifelnde Äußerung Ulpians aus der Natur des vorliegen-
den Rechtsſatzes. Dieſer enthält eine Abänderung des frühe-
ren Rechts, nicht etwa durch eigentliches Geſetz begrün-
det, ſondern durch praktiſches Bedürfniß herbeygeführt, und
in dem Reſcript eines Kaiſers anerkannt, das ja kein Geſetz
war, ungeachtet der Aufnahme in die Semestria (§ 24).
Es konnte alſo als ungewiſſes Recht betrachtet werden,
und in dieſer Sachlage konnte ein billiger, nachſichtiger
Prätor wohl Grund finden (benigne quis dixerit), den
Rechtsirrthum als unverſchuldet anzuſehen, und daher die
condictio indebiti zu geſtatten.

Die übrigen Stellen geben weit weniger Schein; die
meiſten trifft die gemeinſchaftliche Bemerkung, daß in ihnen
eben ſo gut ein factiſcher, als ein Rechtsirrthum voraus-
geſetzt werden kann, daß wir alſo dieſen erſt willkührlich
hinzu denken müßten, um die Stellen für unſre Frage ent-
ſcheidend zu machen.

L. 17 § 10 ad mun. (50. 1.). Kann factiſcher Irr-
thum ſeyn.


(e) L. 6 C. h. t.
(f) Glück B. 13 S. 145, und
eben ſo vor ihm Weſtenberg und
Weber, die er anführt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0474" n="462"/><fw place="top" type="header">Beylage <hi rendition="#aq">VIII.</hi></fw><lb/>
ches Recht, &#x017F;ondern gerade die Nothwendigkeit des facti-<lb/>
&#x017F;chen Irrthums wird auch bey der <hi rendition="#aq">indebita promissio</hi> aus-<lb/>
drücklich anerkannt <note place="foot" n="(e)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 6 <hi rendition="#i">C. h. t.</hi></hi></note>. Andere &#x017F;agen, es &#x017F;ey eine &#x017F;pecielle<lb/>
Ausnahme, zur Aufrechthaltung des letzten Willens <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#g">Glück</hi> B. 13 S. 145, und<lb/>
eben &#x017F;o vor ihm We&#x017F;tenberg und<lb/>
Weber, die er anführt.</note>,<lb/>
und die&#x017F;e Erklärung könnte zur Noth zugela&#x017F;&#x017F;en werden.<lb/>
Allein ich halte auch &#x017F;ie nicht für nöthig, und erkläre die<lb/>
zweifelnde Äußerung Ulpians aus der Natur des vorliegen-<lb/>
den Rechts&#x017F;atzes. Die&#x017F;er enthält eine Abänderung des frühe-<lb/>
ren Rechts, nicht etwa durch eigentliches Ge&#x017F;etz begrün-<lb/>
det, &#x017F;ondern durch prakti&#x017F;ches Bedürfniß herbeygeführt, und<lb/>
in dem Re&#x017F;cript eines Kai&#x017F;ers anerkannt, das ja kein Ge&#x017F;etz<lb/>
war, ungeachtet der Aufnahme in die <hi rendition="#aq">Semestria</hi> (§ 24).<lb/>
Es konnte al&#x017F;o als ungewi&#x017F;&#x017F;es Recht betrachtet werden,<lb/>
und in die&#x017F;er Sachlage konnte ein billiger, nach&#x017F;ichtiger<lb/>
Prätor wohl Grund finden (<hi rendition="#aq">benigne quis dixerit</hi>), den<lb/>
Rechtsirrthum als unver&#x017F;chuldet anzu&#x017F;ehen, und daher die<lb/><hi rendition="#aq">condictio indebiti</hi> zu ge&#x017F;tatten.</p><lb/>
          <p>Die übrigen Stellen geben weit weniger Schein; die<lb/>
mei&#x017F;ten trifft die gemein&#x017F;chaftliche Bemerkung, daß in ihnen<lb/>
eben &#x017F;o gut ein facti&#x017F;cher, als ein Rechtsirrthum voraus-<lb/>
ge&#x017F;etzt werden kann, daß wir al&#x017F;o die&#x017F;en er&#x017F;t willkührlich<lb/>
hinzu denken müßten, um die Stellen für un&#x017F;re Frage ent-<lb/>
&#x017F;cheidend zu machen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 17 § 10 <hi rendition="#i">ad mun.</hi></hi> (50. 1.). Kann facti&#x017F;cher Irr-<lb/>
thum &#x017F;eyn.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[462/0474] Beylage VIII. ches Recht, ſondern gerade die Nothwendigkeit des facti- ſchen Irrthums wird auch bey der indebita promissio aus- drücklich anerkannt (e). Andere ſagen, es ſey eine ſpecielle Ausnahme, zur Aufrechthaltung des letzten Willens (f), und dieſe Erklärung könnte zur Noth zugelaſſen werden. Allein ich halte auch ſie nicht für nöthig, und erkläre die zweifelnde Äußerung Ulpians aus der Natur des vorliegen- den Rechtsſatzes. Dieſer enthält eine Abänderung des frühe- ren Rechts, nicht etwa durch eigentliches Geſetz begrün- det, ſondern durch praktiſches Bedürfniß herbeygeführt, und in dem Reſcript eines Kaiſers anerkannt, das ja kein Geſetz war, ungeachtet der Aufnahme in die Semestria (§ 24). Es konnte alſo als ungewiſſes Recht betrachtet werden, und in dieſer Sachlage konnte ein billiger, nachſichtiger Prätor wohl Grund finden (benigne quis dixerit), den Rechtsirrthum als unverſchuldet anzuſehen, und daher die condictio indebiti zu geſtatten. Die übrigen Stellen geben weit weniger Schein; die meiſten trifft die gemeinſchaftliche Bemerkung, daß in ihnen eben ſo gut ein factiſcher, als ein Rechtsirrthum voraus- geſetzt werden kann, daß wir alſo dieſen erſt willkührlich hinzu denken müßten, um die Stellen für unſre Frage ent- ſcheidend zu machen. L. 17 § 10 ad mun. (50. 1.). Kann factiſcher Irr- thum ſeyn. (e) L. 6 C. h. t. (f) Glück B. 13 S. 145, und eben ſo vor ihm Weſtenberg und Weber, die er anführt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/474
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/474>, abgerufen am 08.05.2024.