L. 16 § 2 de minor. (4. 4.). Eben so; wahrscheinlich Irrthum über den Inhalt oder die Auslegung des Testa- ments. So ist wenigstens die Stelle nach dem Justinia- nischen Recht auszulegen; der Verfasser der Stelle (Ulpian) wollte wohl sagen, diese Frau würde auch nach ihrer Volljährigkeit durch die Condiction geschützt seyn, weil nämlich zu seiner Zeit die Frauen auch durch den Rechts- irrthum nicht leiden konnten (Num. XXXI.). Man muß dann am Ende der Stelle lesen: munita (anstatt munitus), welches auch durch sehr alte Ausgaben unterstützt wird.
L. 10 C. de cond. ind. (4. 5.). Es hatte Einer zwey Sachen alternativ versprochen, und aus Irrthum beide abgeliefert. Darüber waren Alle einig, daß er Eine zu- rückfordern könne, nur das Wahlrecht war streitig; Ju- stinian entschied für das Wahlrecht des zurückfordernden Schuldners. -- Auch hier ist ein Rechtsirrthum nicht noth- wendig vorauszusetzen; der Inhalt oder die Auslegung der Stipulation konnte zweifelhaft seyn, besonders wenn die Erfüllung nicht von dem ursprünglichen Schuldner, sondern von dem Erben ausgieng. Hätte ein Rechtsirrthum (über die Natur der Alternativobligation) zum Grunde gelegen, so wäre es undenkbar, daß von so vielen über die Neben- frage streitenden Rechtslehrern nicht Einer diesen Haupt- punkt auch nur der Erwähnung werth gehalten haben sollte.
L. 16 § 4 de publicanis (39. 4.). Wer aus Irrthum dem Zollpächter zahlt, was er nicht schuldig ist, kann es zurück fordern. -- Auch hier kann der Irrthum ein facti-
Irrthum und Unwiſſenheit.
L. 16 § 2 de minor. (4. 4.). Eben ſo; wahrſcheinlich Irrthum über den Inhalt oder die Auslegung des Teſta- ments. So iſt wenigſtens die Stelle nach dem Juſtinia- niſchen Recht auszulegen; der Verfaſſer der Stelle (Ulpian) wollte wohl ſagen, dieſe Frau würde auch nach ihrer Volljährigkeit durch die Condiction geſchützt ſeyn, weil nämlich zu ſeiner Zeit die Frauen auch durch den Rechts- irrthum nicht leiden konnten (Num. XXXI.). Man muß dann am Ende der Stelle leſen: munita (anſtatt munitus), welches auch durch ſehr alte Ausgaben unterſtützt wird.
L. 10 C. de cond. ind. (4. 5.). Es hatte Einer zwey Sachen alternativ verſprochen, und aus Irrthum beide abgeliefert. Darüber waren Alle einig, daß er Eine zu- rückfordern könne, nur das Wahlrecht war ſtreitig; Ju- ſtinian entſchied für das Wahlrecht des zurückfordernden Schuldners. — Auch hier iſt ein Rechtsirrthum nicht noth- wendig vorauszuſetzen; der Inhalt oder die Auslegung der Stipulation konnte zweifelhaft ſeyn, beſonders wenn die Erfüllung nicht von dem urſprünglichen Schuldner, ſondern von dem Erben ausgieng. Hätte ein Rechtsirrthum (über die Natur der Alternativobligation) zum Grunde gelegen, ſo wäre es undenkbar, daß von ſo vielen über die Neben- frage ſtreitenden Rechtslehrern nicht Einer dieſen Haupt- punkt auch nur der Erwähnung werth gehalten haben ſollte.
L. 16 § 4 de publicanis (39. 4.). Wer aus Irrthum dem Zollpächter zahlt, was er nicht ſchuldig iſt, kann es zurück fordern. — Auch hier kann der Irrthum ein facti-
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Irrthum und Unwiſſenheit.
L. 16 § 2 de minor. (4. 4.). Eben ſo; wahrſcheinlich
Irrthum über den Inhalt oder die Auslegung des Teſta-
ments. So iſt wenigſtens die Stelle nach dem Juſtinia-
niſchen Recht auszulegen; der Verfaſſer der Stelle (Ulpian)
wollte wohl ſagen, dieſe Frau würde auch nach ihrer
Volljährigkeit durch die Condiction geſchützt ſeyn, weil
nämlich zu ſeiner Zeit die Frauen auch durch den Rechts-
irrthum nicht leiden konnten (Num. XXXI.). Man muß
dann am Ende der Stelle leſen: munita (anſtatt munitus),
welches auch durch ſehr alte Ausgaben unterſtützt wird.
L. 10 C. de cond. ind. (4. 5.). Es hatte Einer zwey
Sachen alternativ verſprochen, und aus Irrthum beide
abgeliefert. Darüber waren Alle einig, daß er Eine zu-
rückfordern könne, nur das Wahlrecht war ſtreitig; Ju-
ſtinian entſchied für das Wahlrecht des zurückfordernden
Schuldners. — Auch hier iſt ein Rechtsirrthum nicht noth-
wendig vorauszuſetzen; der Inhalt oder die Auslegung der
Stipulation konnte zweifelhaft ſeyn, beſonders wenn die
Erfüllung nicht von dem urſprünglichen Schuldner, ſondern
von dem Erben ausgieng. Hätte ein Rechtsirrthum (über
die Natur der Alternativobligation) zum Grunde gelegen,
ſo wäre es undenkbar, daß von ſo vielen über die Neben-
frage ſtreitenden Rechtslehrern nicht Einer dieſen Haupt-
punkt auch nur der Erwähnung werth gehalten haben ſollte.
L. 16 § 4 de publicanis (39. 4.). Wer aus Irrthum
dem Zollpächter zahlt, was er nicht ſchuldig iſt, kann es
zurück fordern. — Auch hier kann der Irrthum ein facti-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/475>, abgerufen am 17.02.2025.
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